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Beim Börsengang im April 2021 sammelte Zymergen, ein Biotech-Unternehmen aus den USA, 500 Mio. US-$ ein, zusätzlich zu einer Risikofinanzierung von mehr als 1 Mrd. US-$. Im August wurde der CEO entlassen, und das Unternehmen wollte nicht sagen, wann es kommerzielle Einnahmen erzielen könnte. Was ist schief gelaufen?
An einem Donnerstagmorgen im April 2021 prangte auf der 60 Meter-hohen LED-Tafel am Times Square in New York ein fetter Slogan: „We Make Tomorrow". Das Unternehmen hinter der Anzeige war Zymergen, ein kalifornisches Unternehmen für synthetische Biologie, das gerade mit einer Marktkapitalisierung von 3 Mrd. US-$ an die Börse gegangen war. Die drei Gründer – Josh Hoffman, Zach Serber und Jed Dean – posierten vor dem Bildschirm und lächelten unter ihren Corona-Masken, auf denen das gelbe Zymergen-Logo zu sehen war.
Das Start-up hatte mehr als 1 Mrd. US-$ Risikokapital von Unternehmen wie SoftBank und Baillie Gifford erhalten und die Investoren von dessen Vision überzeugt: Produkte, die normalerweise aus Petrochemikalien hergestellt werden - von optischen Folien für Smartphone-Bildschirme bis hin zu Mückenschutzmitteln - auf eine Weise herzustellen, die besser für die Umwelt ist. Durch eine „Partnerschaft mit der Natur", so der Firmenprospekt, würde Zymergen Mikroben entwickeln, die zur Herstellung dieser Produkte fermentiert werden könnten (so wie Hefe zur Herstellung von Brot oder Bier fermentiert wird). Seit Jahren versprechen Unternehmen der synthetischen Biologie, dass die Fähigkeit, Zellen zu programmieren, die Welt ebenso dramatisch verändern wird wie die Computertechnik. Der Börsengang von Zymergen im April 2021 markierte einen Wendepunkt für das aufstrebende Feld.
Doch nur vier Monate später machte Zymergen eine verblüffende Ankündigung. Das Unternehmen teilte mit, dass es im Jahr 2021 keine Produktumsätze erzielen werde und auch für das Jahr 2022 mit „unwesentlichen Produktumsätzen" rechne. Es behauptete auch, dass es 10 Produkte in der Pipeline habe, die im Jahr 2022 auf den Markt kommen sollen. In einer Erklärung vom August räumte Zymergen jedoch ein, dass es bei ihrem ersten Produkt, einer optischen Folie, „technische Probleme" gab und sich die Markteinführung verzögerte. Hoffman, der 50-jährige CEO des Unternehmens, wurde entlassen. Jay Flatley, der 68-jährige frühere CEO des Gentechnik-Riesen Illumina, der am Tag vor dem Börsengang Vorsitzender von Zymergen geworden war, übernahm die Position des Interim-CEO.
Die Zymergen-Aktie brach an diesem Tag um 69 % ein und verlor fast 2,5 Mrd. US-$ an Marktwert. Die Enthüllung war schockierend für ein Unternehmen, das mehr als 1 Mrd. US-$ an Risikokapital und weitere 530 Millionen US-$ bei seinem Börsengang aufgebracht hatte.
Wenn hochkarätige Unternehmen wie WeWork oder Theranos scheitern, sind oft die Firmengründer dafür verantwortlich. Aber bei diesen von Risikokapitalgebern finanzierten Unternehmen gibt es eine Menge an Schuld zu verteilen. Die Kreditinstitute wie Goldman Sachs und J.P. Morgan haben es im Fall Zymergen möglicherweise versäumt, eine angemessene Due-Diligence-Prüfung durchzuführen.
In hochmodernen Bereichen wie der synthetischen Biologie, der Weltraumforschung und autonomen Fahrzeugen kann es manchmal schwierig sein, vielversprechende Unternehmen von einem Hype oder gar Betrug zu unterscheiden. Diese Start-ups können die nächsten lebensverändernden Produkte hervorbringen, aber der Prozess dauert in der Regel Jahre. Viele Unternehmen scheitern auf diesem Weg. Beim Börsengang von Zymergen kam noch eine weitere Herausforderung hinzu: Der Bereich der synthetischen Biologie selbst ist so neu, dass Aktienanalysten, die sich damit befassen, in der Regel entweder Spezialisten für Chemikalien oder Experten für Biotechnologie sind, die sich hauptsächlich auf Medikamente konzentrieren, bei denen es andere regulatorische und marketingbezogene Probleme gibt.
Trotz der fehlenden Einnahmen aus dem eigenen Betrieb nahm Zymergen für die Expansion weiterhin Geld auf. Weniger als ein Jahr nach der Übernahme von Radiant warb Zymergen erfolgreich um den Vision Fund von SoftBank, dem japanischen Tech-Investmentfonds des Milliardärs Masayoshi Son. Das Unternehmen, das dafür bekannt ist, grosse Summen in Unternehmen aus dem Silicon Valley zu investieren, führte im Dezember 2018 eine Investitionsrunde in Höhe von 400 Millionen US-$ zugunsten von Zymergen durch.
Im April 2019 kündigte Zymergen eine mehrjährige Partnerschaft mit dem japanischen Unternehmen Sumitomo Chemical an, um neue Materialien für die Elektronikindustrie zu entwickeln. Im Herbst mietete Zymergen 300.000 Quadratmeter Fläche in Emeryville, die zuvor ein Forschungszentrum von Novartis waren. Zymergen gründete auch eine Design-Software-Niederlassung in Seattle und stellte rund 250 Software-Ingenieure ein.
Im April 2020 brachte das Unternehmen Hyaline, eine biobasierte Polymerfolie, auf den Markt, das Zymergen in seinem Prospekt als eine Marktchance von 1 Mrd. US-$ bezeichnete. Da die Pandemie jedoch die globalen Lieferketten störte, entliess das Unternehmen einen Monat später etwa 10 bis 15 % seiner Belegschaft. Trotz der Probleme leitete die Investment-Management-Firma Baillie Gifford eine Finanzierungsrunde, die Zymergen im Juli letzten Jahres 350 Millionen US-$ einbrachte.
Hyaline hingegen erzielte im Jahr 2020 nur 13 Millionen US-$ an Einnahmen aus Forschung -und Entwicklungs-Dienstleistungen und Kooperationsvereinbarungen. Bei der Geschwindigkeit, mit der Zymergen Geld verbrannte, wäre die von Baillie Gifford geleitete Finanzierung Ende 2021 aufgebraucht.
Der Börsengang von Zymergen im April 2021 erbrachte 530 Mio. US-$ und wurde mit mehr als dem 200-fachen des Umsatzes von 2020 bewertet. Doch die Börsenaufsichtsbehörde (SEC) hatte Bedenken. Aus der Korrespondenz mit der SEC im Februar ging hervor, dass die Aufsichtsbehörden die Pläne des Unternehmens zur Steigerung der Einnahmen und der Rentabilität, die aktuelle Finanzlage und die ausstehende Verschuldung, die zum Zeitpunkt des Börsengangs eine Kreditfazilität in Höhe von 100 Millionen US-$ umfasste, in Frage stellten.
Heute verfügt Zymergen noch über reichlich Barmittel – insgesamt 578 Millionen US-$, einschliesslich der Erlöse aus dem Börsengang, per 30. Juni. Das neue Management von Zymergen hat erklärt, dass das Unternehmen seine Ausgaben senken muss, und Branchenbeobachter rechnen mit einem massiven Personalabbau, vielleicht um 50 % oder mehr. Im September hat Zymergen 120 Mitarbeiter entlassen. Bis Juni 2021 hatte Zymergen laut seinem letzten Quartalsbericht einen Gesamtverlust von 959 Millionen US-$ angehäuft.
Was Ex-CEO-Hoffman vor zwei Jahren in einem Interview mit Forbes sagte, ist für sein ehemaliges Unternehmen heute vielleicht noch aktueller: „Die Idee, die Biologie für industrielle Zwecke zu nutzen, war lange Zeit ein Traum. Solange man es nicht in grossem Massstab umsetzen kann, ist es ein Traum mit wunderbarer Anziehungskraft, aber es ist unwahrscheinlich, dass er Wirkung zeigt."
Text: Forbes US
Übersetzung: Naila Baldwin
Fotos: Forbes US