Zukunft Smart Cities

Georg Kapsch, CEO des Verkehrstechnologie-Anbieters Kapsch Traffic Com, fordert im Interview unbürokratischere und zügigere Entscheidungen von der Politik – etwa um Staus zu vermeiden sowie öffentlichen Verkehr und Einsatzfahrzeuge zu priorisieren. Kapsch hat die Instrumente bereits seit längerer Zeit und wartet auf grünes Licht. Doch der Mangel an politischem Willen verhindert die Implementierung.

Der Wiener Verkehrstechnologie-Anbieter Kapsch Traffic Com hat nach schwierigen Jahren wieder an Schwung gewonnen. Dank erfolgreicher Projekte und Entschädigungen aus dem gescheiterten Mautprojekt in Deutschland wurde laut CEO Georg Kapsch „eine solide Grundlage für die Zukunft geschaffen“. Konkret sank der Umsatz von 553,4 Mio. € auf 538,8 Mio. €, während das EBIT auf 70,3 Mio. € stieg (Vorjahr: 5,2 Mio. €). Der Nettogewinn betrug 23,2 Mio. € (Vorjahr: minus 24,8 Mio. €), was 1,72 € pro Aktie entspricht (Vorjahr: minus 1,91 €).

Der Aktienkurs liegt aktuell (Stand Redaktionsschluss 19. September) bei 8 €, was CEO ­Georg Kapsch nicht zufriedenstellt: „Mir ist selbst schleierhaft, warum der Kurs dort ist, wo er ist. Unsere Performance rechtfertigt natürlich nicht einen Aktienkurs von 30, 40 oder gar 70 €, wo er einmal war; aber dort, wo er jetzt ist, das ist auch nicht gerechtfertigt“, sagt er. Jetzt müssten bei Kapsch Traffic Com die Ärmel hochgekrempelt werden: „Wir müssen unsere Performance weiter verbessern. Der Auftragseingang ist gut, die Bilanz saniert, aber das EBIT ist noch nicht da, wo es sein sollte“, so Kapsch.

Eine bessere Performance strebt er sowohl für das Hauptsegment Mautdienstleistungen als auch für das Verkehrsmanagement an. Während Ersteres durch den Rückgang der Mineralölsteuer noch relevanter wird, spielen auch Verkehrslösungen eine wachsende Rolle, doch laut Kapsch mahlen die Mühlen der Politik zu langsam, obwohl die technologischen Lösungen bereits vorhanden sind. Beispielsweise existiert die Technologie zur Priorisierung von Verkehrsteilnehmern wie Strassenbahnen, Bussen und Einsatzfahrzeugen bereits – trotz der Verfügbarkeit solcher Systeme bleibt die breitere Implementierung aber ein ungelöstes Problem. Ein zentraler Aspekt, den Kapsch hervorhebt, ist die Diskrepanz zwischen den technolo­gischen ­Möglichkeiten und deren Umsetzung: „Die Technologie, um Fahrzeuge und Infrastruktur ­besser miteinander zu vernetzen, ist bereits da“, so der CEO. Technologien wie Cooperative Road Transport Systems (CRTS) und Vehicle-to-Everything (V2X) sind theoretisch in der Lage, den Verkehrsfluss zu optimieren, indem sie Echtzeitdaten ­zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur austauschen. Diese Systeme können Warnungen direkt ins Fahrzeug-Dashboard integrieren – ein Schritt, der in den USA und Deutschland bereits realisiert wird.

Jedoch stehen laut Kapsch zwei wesent­liche Hindernisse der breiten Einführung dieser Technologien im Weg: „Es gibt langwierige bürokratische Prozesse und häufig fehlt der politische Wille, diese Technologien zügig umzusetzen“, kritisiert er. Die langsamen Verwaltungsprozesse verzögern laut ihm die Einführung entscheidender Innovationen.

Der zweite Stolper­stein ist die Automobilindustrie. Die Hersteller haben lange Entwicklungszyklen und sind zögerlich, neue Technologien zu integrieren, solange die Infrastruktur noch nicht vollständig bereit ist. „Die Auto­hersteller sagen oft, dass sie erst dann neue Technologien in ihre Fahrzeuge integrieren werden, wenn die Infrastruktur bereit ist – doch umgekehrt ist das leider genauso“, erläutert Kapsch. Diese gegenseitige Abhängigkeit erschwere die schnelle Einführung neuer Technologien. Sein Unternehmen bemühe sich, zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln, stösst dabei jedoch an Grenzen: „Als relativ kleines Unternehmen haben wir begrenzte Möglichkeiten im Vergleich zu grossen Städten oder Automobil­herstellern“, so Kapsch. Die Herausforderung bestehe darin, als kleiner Akteur im Verkehrswesen eine vermittelnde Rolle einzunehmen, während grössere Player oft langsamer voranschreiten.

An der Einführung einer Innenstadtmaut in vielen Grossstädten, einschliesslich seiner Heimatstadt Wien, führt seiner Meinung nach kein Weg vorbei: „Eine Bepreisung ist ­unvermeidlich. Städte wie Stockholm, Göteborg und London setzen bereits auf City- oder Congestion Charging“, sagt er. Laut Kapsch könnten der Gürtel und der Ring in Wien als Grenzen für verschiedene Tarif­zonen dienen. Eine einfache Lösung sei hier aber nicht gegeben, denn hohe ­Gebühren für das Einfahren in die Stadt würden vor ­allem ­finanziell gut gestellte Personen bevorzugen, während ­ärmere Menschen gezwungen wären, auf ­öffent­liche Verkehrsmittel oder Fahrräder umzusteigen.

„Dieses Argument verstehen wir, ­daher haben wir die Idee eines ­Mobilitätspasses ­ent­wickelt. Nutzer öffentlicher Verkehrs­mittel könnten Punkte sammeln, die für Maut oder Parkgebühren eingelöst werden können. Ähn­liche Konzepte existieren bereits in einigen ­US-amerikanischen Städten. Ein Mobilitätspass könnte den gesamten Verkehrsbereich integrieren, sowohl den öffentlichen Nahverkehr als auch den Individualverkehr“, erklärt Kapsch. Vorwürfe, dass der ehemalige Präsident der ­österreichischen Indus­triellenvereinigung wenig soziales Gewissen habe, weist Kapsch in diesem Kontext zurück: „Mein Vater und mein Gross­vater haben alle Wert auf Menschen gelegt. Ich bin kein Turbo­kapitalist, ich bin ein Sozial­liberaler und mir ­liegen die Menschen am Herzen. Das ist für mich die oberste Priorität.“

Kapsch betont weiters, dass die intelligente Nutzung und Kombination von Daten aus verschiedenen Quellen entscheidend sein wird, um den Verkehr in der Zukunft effizient zu gestalten. Eine gezielte Verkehrssteuerung könnte ebenfalls dazu beitragen, Staus in ­Innenstädten zu reduzieren. „Mit geringen Zeitverkürzungen oder -verlängerungen an den Ampeln können wir den Stau um 30 % reduzieren. Das geht relativ einfach, wenn man Daten von Fahrzeugen und der Infrastruktur kombiniert und zentral steuert“, so Kapsch. „Eine weitere Lösung, an der wir arbeiten, ist ein intelligentes Navigationssystem für Fahrzeuge.“ Dieses System soll sowohl die aktuelle Verkehrslage als auch die spezifischen Anforderungen jeder Stadt berücksichtigen. „Wenn etwa 5 bis 10 % der Fahrer dieses System nutzen und den vorgeschlagenen Routen folgen, können Verkehrsströme besser verteilt und Staus reduziert werden. Diese Daten fliessen zurück in die Verkehrsmanagement-Plattform, um die Steuerung der Ampeln zu optimieren“, erklärt Kapsch.

Der CEO der Kapsch Group spricht gerne über die lange Tradition des Unternehmens, legt jedoch besonderen Wert darauf, eines klarzustellen: „Unsere Geschichte reicht 132 Jahre zurück, aber das bedeutet nicht, dass wir in unserem Führungsstil, Denken oder im Blick auf Märkte und Technologien veraltet sind.“

Tatsächlich war das Unternehmen stets innovativ: In den 1920er-Jahren, als das Radio zum Massenmedium wurde, war die Kapsch AG sowohl an der Entwicklung der Infrastruktur als auch an der Produktion der Endgeräte ­beteiligt. Später erweiterte das Unternehmen sein Angebot auf Fernseher und erschloss neue Geschäftsfelder wie Batterien und Zahnpastatuben. Ab den 1980er-Jahren widmete sich die Kapsch-Gruppe verstärkt modernen Formen der Telekommunikation; ­Georg Kapsch stieg 1982, ein Jahr nach seinem Abschluss an der Wirtschaftsuniversität Wien, ins Familienunternehmen ein und wurde 1989 in den Vorstand berufen.

„Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch die Freiheit haben sollte, sich nach seinen eigenen Vorstellungen zu bewegen, sei es auf die umweltfreundlichste, kostengünstigste, schnellste oder bequemste Weise.“

Georg Kapsch

Die Jahrtausendwende brachte bedeutende Veränderungen mit sich – bis zu diesem Zeitpunkt von zwei Eigentümerfamilien geleitet ging das Unternehmen nun vollständig in die Hände jenes Familienzweigs über, dem Georg Kapsch angehört. 2001 wurde er zum CEO ernannt, ein Jahr später folgte sein Bruder als COO nach und übernahm den Telekommunikationsbereich, während die Schwester Elisabeth Kapsch das Immobiliengeschäft leitete. Obwohl das Platzen der Dotcom-Blase das Unternehmen stark unter Druck setzte, gelang es den Kapsch-Brüdern gemeinsam mit Finanzchef Franz Semmernegg, das Ruder herumzureissen. „In der alten Konstellation hätten wir keine Überlebenschance gehabt, weil jede Entscheidung Monate gedauert hätte. So konnten wir schnelle Entscheidungen treffen“, erzählt Kapsch.

Ab 2000 hat Kapsch Traffic Com im Mautgeschäft eine bemerkenswerte internationale ­Expansion hingelegt, seit 2007 ist das Unternehmen im Prime Market der Wiener Börse gelistet. Nachdem das Unternehmen zunächst in Australien und Lateinamerika aktiv wurde, versuchte es ab 2007, den nordamerikanischen Markt zu erschliessen. Dies gelang zunächst nicht, jedoch konnte Kapsch 2010 Mark IV IVHS, einen Anbieter von Komponenten für elektronische Mautsysteme, akquirieren. Durch diese Übernahme trat Kapsch erfolgreich in den US-Markt ein. Heute ist Nordamerika der zweitgrösste Markt für Kapsch Traffic Com, nur knapp hinter Europa. Das Unternehmen hat erfolgreiche Projekte in über 50 Ländern realisiert und ist mit Tochter­gesellschaften und Niederlassungen in mehr als 25 Staaten vertreten. „Wir bearbeiten eigentlich die ganze Welt, es gibt nur ein paar Länder, die wir nicht bearbeiten, wie China, Japan und Korea. Die Welt ist gross genug, wir müssen nicht überall sein“, stellt Kapsch klar.

Das Wachstum des Unternehmens setzte sich bis 2020 fort, dann trat eine Krise ein. Diese wurde durch zu hohe Investitionen in den US-Markt, mangelnde Anpassung an lokale Gegebenheiten, die globale Wirtschaftslage und Managementfehler ausgelöst. Im Jahr 2021 kam es zu einem grossen Umstrukturierungsprozess, um den reibungslosen Übergang zur nächsten Generation zu sichern – Kapsch Business Com löste sich aus der Kapsch Group heraus, womit der volle Fokus auf Kapsch Traffic Com und der Kapsch Aktiengesellschaft liegt. In anderen Worten: Die Telekommunikation und der IT-Bereich haben sich abgespaltet, was auch den Weggang von Kari Kapsch nach sich zog. In der Geschäftsführung der Kapsch-Group Beteiligungs GmbH verblieben sind Georg Kapsch und seine Schwester Elisabeth Kapsch.

All das erinnert ein wenig an die Geschehnisse von vor rund 20 Jahren: Ein Krisenfall führt dazu, dass sich die Familie neu aufstellt und die Situation sich verbessert. Und es gibt schon Pläne für die Übergabe an die nächste Generation: ­Samuel Kapsch, einer von zwei Söhnen von ­Georg Kapsch, leitet seit 2022 das Lateinamerika-­Geschäft von Kapsch Traffic Com. Auch sein Bruder Jacob Kapsch ist im Unternehmen tätig; beide haben wirtschaftliche Studien abgeschlossen.

Für eine mögliche Nachfolge könnten auch die drei Töchter von Elisabeth Kapsch infrage kommen, von denen zwei eine technische Aus­bildung absolviert haben. Die Voraussetzungen für eine Nachfolge sind eindeutig definiert: „Eine adäquate Ausbildung und Erfahrung sind zwingend erforderlich, um hier arbeiten zu können. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, kann nicht ins Unternehmen kommen – sonst würden aufgrund des fehlenden Wissens und auch der Frustration der anderen Mitarbeiter und Führungskräfte Probleme entstehen, wenn jemand nur aufgrund seines Namens eingestellt wird“, sagt Georg Kapsch, der nicht plant, sich in naher Zukunft aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. „Es gibt noch keinen festen Zeitpunkt für meinen Abschied, aber ich bin überzeugt, dass irgendwann ein klarer Schnitt nötig ist, bei dem jemand übernimmt und ich gehe. Sobald ich gehe, gehe ich dann auch – ich halte nichts von Ratschlägen aus der Ferne, da die technologische Branche zu schnelllebig ist, um solche Tipps effektiv umzusetzen“, sagt der 65-Jährige.

Georg Kapsch ist seit Juli 1989 Mitglied des Vorstands der Kapsch AG, seit Oktober 2001 leitet er die Kapsch Group-Beteiligungs GmbH sowie die Kapsch Traffic Com AG. Von 2012 bis 2020 war er Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung.

Fotos: Kapsch Traffic Com

Paul Resetarits,
Redakteur

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