Zukunft der Arbeit

Wie die Gig Economy den Arbeitsmarkt aufmischt und wie dieser künftig reguliert werden kann.

Die Überraschung war nicht allzu gross, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Dezember 2017 einen vorläufigen Schlussstrich unter den Uber-Rechtsstreit zog. Und dennoch: Das Urteil schlägt hohe Wellen – Vertreter der etablierten Wirtschaft weisen die rasant wachsende Gig Economy damit womöglich in ihre Schranken.

2014 hatte die Taxi-Vereinigung Asociación Profesional Élite Taxi aus Barcelona den Fahrdienst aus dem Silicon Valley des unfairen Wettbewerbs durch Preisdumping bezichtigt: Uber hatte keine Konzession und unterbot so die sonst geltenden Taxitarife. Der EuGH gab den Katalanen recht: Nunmehr soll die EU-weite Jurisdiktion den Fahrdienst als Transport­unternehmen betrachten und nicht, wie von Uber gefordert, als reine Vermittlungsplattform. Während Uber-CEO Dara Khosrowshahi auf Twitter beschwichtigt, entrüsten sich Vertreter der Gig Economy bei der Computer & Communications Industry Association, das Urteil sei „eine Absage an die Ambitionen der EU, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen“.

Tatsächlich dreht sich der Konflikt um eine grundsätzliche Frage: Dienen Uber, Deliveroo, Airbnb und Co als digitale Marktplätze, die schlicht Angebot und Nach­frage zusammenführen? Oder sind sie die nächste Generation von Arbeit­gebern? Laut EuGH sind sie jedenfalls mehr als nur Vermittler, weshalb sich der Regulierung im Präzedenzfall Uber eine Folgefrage aufdrängt: Welche Verantwortung kommt dem Unternehmen gegenüber seinen Fahrern zu?

 

Das Ausmass der über digitale Plattformen vermittelten Arbeit ist im Begriff, zu der in Medien und Öffentlichkeit bereits wahrgenommenen Präsenz der „Gig Economy“ aufzuschliessen. In einer Studie des Beratungshauses McKinsey aus dem Jahr 2016 wird geschätzt, dass in 15 EU-Industriestaaten sowie den USA von insgesamt 162 Millionen selbstständig Tätigen rund 15 Prozent bereits Online-Plattformen genutzt haben, um Geld zu verdienen. Das sind immerhin 6,8 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung in diesen Ländern. Was ihre Tätigkeiten per Definition gemeinsam haben, ist der hohe Grad an Autonomie für den Fahrer, Händler oder Vermieter, ein Verdienst pro Leistung anstelle eines fixen Einkommens nach Arbeitszeit sowie der kurzfristige Charakter der in Mini-Aufgaben („Gigs“) zerstückelten Arbeit.

Die Plattformen haben zweifellos einen Reiz. Für jene, die in ihrer Arbeit Flexibilität und Selbstbestimmung gegenüber der mit herkömmlichen Anstellungen einhergehenden Job- und Einkommenssicherheit bevorzugen, bieten sie die Chance, ihre Vorstellungen eines modernen Arbeitsstils in die Tat umzusetzen. Auch als Lückenfüller für ökonomisch inaktive Tageszeiten öffnet die besonders in Grossstädten permanente Nachfrage nach Transport, Essen und Handwerkern eine Türe zu Nebenverdiensten. Von neun Millionen selbstständig Tätigen, die Leistungen ausschliesslich online erbringen, entscheiden sich laut McKinsey rund drei Viertel freiwillig für die Arbeit in der Gig Economy. Ihnen gegenüber stehen jene, die vom Arbeitsmarkt nur unzureichendes Einkommen beziehen können und aus finanzieller Notwendigkeit und einem Mangel an Alternativen den Schritt in die Gig Economy machen. Auch für sie nimmt die Arbeit entweder wegen ihrer zeitlich flexiblen Natur die Funktion des Lückenfüllers ein oder stellt aber das Haupteinkommen dar, was jedoch nur auf eine Minderheit von rund acht Prozent der „digitalen Arbeiter“ zutrifft. Egal ob freiwillig oder nicht, es verdienen bereits viele ihr primäres Einkommen mit Leistungen, die über Software-Plattformen vermittelt werden. Dabei nimmt die Plattform, wie der Fall Uber zeigt, zwar Einfluss auf entscheidende Konditionen, verweigert sich aber der Rolle des Arbeitgebers. Entsteht dadurch eine Gesellschaftsgruppe der Un­abhängigen, deren Selbstständigkeit sich auf die Möglichkeit zur In­aktivität – eine zynische Freiheit für Geringverdiener – ­beschränkt?

Nicht offiziell, doch de facto ist das der Fall. Das zeigen Ubers Praktiken in Österreich. Lässt man sich „von Uber“ von A nach B bringen, entsteht das Geschäft meist zwischen dem Kunden und einem Mietwagenunternehmen; einem Subunternehmen, bei dem der Fahrer engagiert ist und das seinen Service über die Plattform anbietet. Uber fungiert dabei zwar nur als Vermittler, legt aber die Entlohnung fest. Die App setzt Preise für angefragte Fahrten automatisch und behält 25 Prozent davon ein (20 Prozent bei Fahrern, die vor September 2017 eingestiegen sind). Auch das Sub­unternehmen erhält von dem restlichen Fahrpreis einen meist nicht unbeträchtlichen Anteil, 65 Prozent hiess es in einem Fall. Damit blieben von einer Fahrt um beispielsweise 10 € etwa 2,6 € auf dem Konto des Fahrers. Hinzu kommt, dass dieser den Wagen bereitstellen und anfallende Benzin- und Wartungskosten selbst tragen muss.

Ähnliches führte im Jahr 2015 nach mehrjährigem Rechtsstreit zwischen dem US-amerikanischen Logistikunternehmen FedEx und seinen Fahrern zu einem Vergleich in Höhe von 228 Millionen US-$ (185 Millionen €): Der Versand­riese hatte über 2.000 Mitarbeiter fälschlicherweise als ­Freiberufler eingestuft und die Kosten für Uniformen, Paketscanner und Fahrzeuge, aber auch die Versicherung auf diese abgewälzt. Für Uber und andere Gig-Unternehmen ist zwar langfristig zu erwarten, dass die noch anwachsende Nachfrage Sättigungserscheinungen zeigen wird (im wahrsten Sinn des Wortes bei der Essenszustellung). Doch hat die Zahl jener, die ihr primäres oder gar einziges Einkommen über Software-Plattformen verdienen, ohnehin bereits ein Ausmass erreicht, das die Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörden auf sich zieht.

Unser rechtlicher Arbeitnehmerbegriff ist immer noch vom Fabrikarbeiter geprägt, der von 9 bis 17 Uhr an seinem Arbeitsplatz sein muss.

Das herkömmliche Rechtssystem erscheint dabei zu rigide für neue Arbeitsformen, die nur schwer in existierende Schemata am Arbeitsmarkt passen. Mit der Verschiebung von Arbeitsprozessen in die digitale Welt und deren kontinuierlichem Wandel können konventionelle Regulierungsstrategien nur schwer Schritt halten. So sieht das auch Franz Marhold, Professor für Arbeits- und Sozial­recht an der WU Wien: „Unsere tradierten arbeitsrechtlichen Abgrenzungs­methoden – Zeit- und Ortsgebundenheit – passen zum Teil nicht mehr.“ Indem der Dienstnehmer nach Belieben auf der Plattform aktiv werden kann, ist er „nicht zeitabhängig und entscheidet selbst, wo er arbeitet, oft auch, von wo aus er arbeitet.“ Diese Schwierigkeiten rühren daher, „dass unser rechtlicher Arbeitnehmerbegriff immer noch vom Fabrikarbeiter geprägt ist, der von 9 bis 17 Uhr an seinem Arbeitsort anwesend sein muss. Mit diesen flexiblen Formen kommen wir arbeitsrechtlich schwer zurecht“, so Marhold. Die Konsequenz ­daraus ist, dass sonst übliche arbeitsrechtliche Ansprüche auf soziale Absicherung, zum Beispiel Lohnfortzahlungen im Kranken­stand oder Urlaub, für in der Gig Economy Arbeitende entfallen.

Es muss also etwas geschehen, um diese Lücken zu schliessen: Entweder wird sich der bestehende Rechtsrahmen zunehmend an die Anforderungen dieser neuen Geschäftsformen anpassen müssen – oder umgekehrt.

Das EuGH-Urteil von Dezember setzt Präzedenz für Letzteres und schlägt einen Pfad ein, der Herausforderungen für Ubers Geschäftsmodell erwarten lässt. Ein zentraler Erfolgsfaktor des kalifornischen „Einhorns“ ist der Kostenvorteil im Wettbewerb mit traditionellen Fahrdiensten (neben Transparenz und Vertrauenswürdigkeit für Kunden und Flexibilität für Zuverdiener).

Dieser kompetitive Vorsprung des Unternehmens erwächst aber gerade daraus, dass es für den gleichen Transportweg und -modus staatlich fixierte Taxitarife unterbietet und seine Personalkosten ­minimiert, indem es nur als Vermittler zu agieren versucht.

Laut Firmenbuch hat Uber Österreich derzeit nur fünf Mitarbeiter, die Anzahl der Fahrer hierzulande wird aber auf etwa 700 geschätzt. Der Europäische Gerichtshof bemerkte im Dezember, dass „Uber einen entscheidenden Einfluss auf die Bedingungen ausübt, unter denen die Fahrer die Leistung erbringen“. Dass Uber die Preis- und die Lohnsetzung bestimmt und das Arbeitsverhältnis beenden kann, sind eigentlich klassische Merkmale für einen Arbeitgeber.

Die Plattform-Unternehmen sind also mehr als nur Intermediäre, über die sich Marktteilnehmer effizienter organisieren können. Zwar impliziert die rechtliche Zuordnung des Fahrdienstes zum Transportbereich noch keinen unmittelbaren Umbruch im arbeitsrechtlichen Umgang mit den Uber-Fahrern, aber das Fundament dafür ist nun EU-weit gelegt. Schmälert die Regulierung den Kostenvorteil, indem sie Lizenzierungen und konventionelle Anstellungsverhältnisse verlangt, erodiert eine der Säulen, auf denen Ubers Erfolg basiert. Wenn der Europäische Gerichtshof Uber für mehr als nur einen digi­talen Marktplatz hält, wird er diese Auffassung wohl auch in anderen Fällen beibehalten. Wichtiger noch: Dem Gerichtshof ist offenbar klar, dass Plattformen einen Einfluss haben, der gewöhnlich nur dem Arbeit­geber zukommt.

Doch der Vermeidung von klassischen Anstellungen und den damit einhergehenden Kosten verdanken viele Plattformen überhaupt erst ihren Erfolg. Ein von der Regulierung erzwungener Schritt hin zu einer Belegschaft, die tatsächlich alle Tätigen umfasst, wäre eine harte Prüfung für die auf Apps basierende Plattformökonomie. Das Ende würde er aber wohl nur für die spezielle Strahlkraft der Gig Economy bedeuten.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

Arthur Corazza,
Editorial Team

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