„We let the blind man lead the way too long – easy to see where we went wrong“

Katastrophen scheinen sich zu häufen in diesen Wochen und Monaten – seien es seismische, epidemische oder politische. Das jüngste Erd­beben in der Türkei und Syrien ist nur eine davon, aber eine besonders verheerende. Mit Stand vom 14. Februar meldete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Zahl der Todesopfer nach dem Erdbeben in der Türkei 31.643 und in Syrien mehr als 5.700 beträgt. Während wir den Verlust von Menschenleben und die Zerstörung von Häusern, Gebäuden und Hoffnungen betrauern, fragen wir uns, wie wir es zulassen konnten, dass eine gut vorhersehbare Naturkatastrophe so grosse Aus­wirkungen hat.

Es ist nicht leicht, diese Worte zu schreiben. So untröstlich und am Boden zerstört ich auch bin – wie viele türkische Bürger bin ich wütend. Ich bin wütend, dass wir als Land überhaupt nicht auf ein Erdbeben in einer Region vorbereitet waren, in der drei tektonische Platten aufeinandertreffen. Es war immer nur eine Frage der Zeit, bis der Boden unter uns wieder zu beben beginnen würde, denn die Türkei, die an der Grenze der eurasischen, afrikanischen und arabischen tektonischen Platten liegt, ist ein brodelnder Topf intensiver seismischer Aktivität. Die Region erlebte eine Vielzahl von Beben, von denen zwei besonders hervorzuheben sind: das verheerende Beben in der Stadt Erzincan im Jahr 1939, bei dem über 32.000 Menschen ums Leben kamen, und das Erdbeben in Düzce 1999, bei dem über 17.000 Menschen starben. Da die Region als Erdbeben­gebiet gilt, wurde lange Zeit erwartet, dass es in den betroffenen Gebieten zu weiteren Erdbeben kommen würde, insbesondere nach dem Erdbeben in Elazig im Jahr 2020. Der Schnittpunkt um Kahramanmaras, das Epizentrum des Bebens, löste in der Nähe zwei Erdbeben in kurzer Folge aus. Die Medien und Menschen rund um den Globus nennen diese jüngsten Beben eine Natur­katastrophe; die grösste, die mein Land je erlebt hat – ich nenne es eine vom Menschen verursachte Katastrophe.

Hikmet Günsay, der Gründer von Özburak Construction, hat nach eigenen Angaben mehr als 1.500 Häuser gebaut. Eines davon ist die zwölf­stöckige Renaissance-Residenz in Hatay, die als „ein Platz im Paradies“ vermarktet wird. Sie stürzte mit 800 Bewohnern in sich zusammen. Wem würden Sie die Schuld zuschreiben: der Regierung, den Bewohnern des Gebäudes oder dem Bauunternehmer?

Ich kann nicht akzep­tieren, dass unsichere Gebäude in einem be­kannten Erdbeben­gebiet gebaut und als erd­bebensicher verkauft wurden, nur um dann zu Staub zu zerfallen. Ich kann nicht akzeptieren, dass Bauunternehmern die Integrität und der Respekt vor dem Leben und ihrer Arbeit fehlt – entweder lügen sie offen über die Sicherheit ihrer Gebäude oder verstecken sich hinter Vorschriften, um Sicherheitsbedenken zu ignorieren. Ich kann nicht akzeptieren, dass die Regierung – eine Institution, deren Hauptaufgabe es ist, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewähr­leisten – dies zugelassen hat. Wir verfügten über die Technologie und die Mittel, um erdbeben­sichere Gebäude zu errichten, einschliesslich Sockelisolatoren, die die Energie eines Erdbebens absorbieren und verhindern, dass sie sich auf das Gebäude überträgt.

Ich kann nichts davon akzeptieren. Es ist schwierig, die Bilder der Trümmer abzuschütteln und in die Zukunft zu blicken. Ich weiss nicht, wann wir es schaffen können – wenn überhaupt.

Ekin Deniz Dere, geboren in Ankara, Türkei, zog 2015 mit 18 nach Wien, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Derzeit studiert sie im Magisterstudiengang Kognitionswissenschaften und ist seit Oktober 2021 als Redakteurin bei Forbes DA tätig.

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