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Auch wenn das Silicon Valley noch nicht an ihre Tür geklopft hat, hat sie bereits jetzt die IT-Branche in ihren Bann gezogen – kaum eine andere Frau ist so vom technologischen Wandel getrieben wie Leonie Flückiger. Jung, ehrgeizig und mit einem gesunden Mass an Selbstbewusstsein will Flückiger den Status quo der Technikbranche ändern: 2019 hat sie zusammen mit ihrem Team Adresta eine App entwickelt, die für mehr Komfort und Sicherheit am Luxusgütermarkt sorgt.
Wirft man einen Blick in die Chefetagen der grossen IT-Konzerne, so sitzen dort laut New York Times mehr Männer mit Namen John als weibliche CEOs – niemand kann den Gender-Gap leugnen, der in der Tech-Landschaft existiert. Doch eine neue Generation von technikaffinen Frauen ist momentan im Begriff, diese eklatante Kluft zu schliessen und in die Digitalisierungsoffensive zu gehen. An ihrer Spitze steht die 29-jährige Leonie Flückiger, Gründerin von Adresta, einem Unternehmen, das Uhrenfälschern im grossen Stil gefährlich werden könnte.
Das Konzept ist simpel: Adresta erstellt mithilfe von Blockchain-Technologie für jede Uhr, deren Hersteller Partner von Adresta ist, einen digitalen Klon. Auf diesem Klon ist die gesamte Produkthistorie vom Zeitpunkt der Fertigstellung bis zum Verkauf festgeschrieben. Die Uhr verfügt ergo über einen ID-Ausweis, der jederzeit über die Adresta-App zugänglich ist. Dadurch können Plagiate leichter aufgedeckt werden, und im Fall eines Verlusts oder Diebstahls hat der Kunde seine Uhr bereits digital abgesichert.
Studien des Schweizer Uhrenverbands haben bewiesen, dass auf rund 23 Millionen jährlich exportierte Schweizer Luxusuhren rund 40 Millionen – also fast doppelt so viele – Uhrenfälschungen kommen. Dadurch würden der gesamten Uhrenindustrie Einnahmen in Höhe von 1,9 Mrd. € wegbrechen, was bei einem jährlichen Gesamtumsatz von 22 Mrd. € ein grosses Problem für die Branche darstellt. Dieses Problem sahen auch Leonie Flückiger und ihre zwei Co-Gründer Mathew Chittazhathu und Nicolas Borgeaud: Zukünftig mehr Transparenz und Sicherheit in der Uhrenindustrie, so lautete ihre Vision. Was es brauchte, war nur ein konkretes Ziel, geballte Innovationskraft sowie eine starke Stehaufmännchen-Mentalität, und ihre Vision wurde Realität – Adresta war geboren.
Flückiger ist jener Typus junger Geschäftsfrauen, die sich weder das Wort abschneiden noch in die Karten schauen lassen, dies wird beim Interview schnell klar. Sie spricht pointiert und mit einem Ausmass an rhetorischer Souveränität, wie man sie vermutlich nur nach jahrelangem Verhandeln mit Investoren bekommt. Flückiger war nie, was man als „typisches Mädchen“ bezeichnen würde – stattdessen verbrachte sie ihre Zeit lieber auf dem Fussballplatz, wo sie schon früh lernte, was es bedeutet, sich als Frau in einer Männerdomäne zu behaupten.
Trotz ihres Talents für die Informatik schloss sie einen technischen Studiengang zunächst aus: „Ursprünglich wollte ich Industriedesign studieren, aber meine Studienberaterin riet mir, mich an der Technischen Universität Zürich einzuschreiben“, erzählt die junge Schweizerin. „Technik war für mich nicht der nächste logische Schritt. Aber ich habe ihn gewagt und an der Universität meine Leidenschaft für Technologie entdeckt.“
Diese Universität war es auch, die Flückiger die richtigen Impulse bot und das Startkapital bereitstellte, damit mit zwei Mitarbeitern der Helvetia Versicherungsgesellschaft Adresta gegründet werden konnte. Die Vision war früh klar – mehr Sicherheit und digitaler Komfort in der Uhrenindustrie. Schon bald stand eine App bereit, mit der man nicht nur Luxusuhren innerhalb weniger Sekunden digital versichern, sondern gleichzeitig auch eine stärkere Vertrauensbasis zwischen Händler und Endkunde erzeugen konnte. Mit der Schweiz als Hochburg der Uhrenindustrie waren auch die optimalen Voraussetzungen gegeben, als 2019 schliesslich der Startschuss fiel.
„Am Anfang mussten wir unsere Technologie an Hersteller und Verkäufer kommunizieren. Damals war ich mit rund 200 Kunden und Experten im Gespräch und vertrat unser Unternehmen auf diversen Veranstaltungen wie etwa dem World Economic Forum oder der Dubai Watch Week“, so Flückiger. Die Auftragslage belohnte ihre Mühen: In seiner Höchstphase hatte das Start-up 13 Luxusuhrenmarken unter Vertrag und bot seinen Service auf dem gesamten Luxusgütermarkt an. 2022 wurde Adresta schliesslich von der Bucherer Group, dem grössten Luxusuhrenhändler der Welt, übernommen – zweifelsohne Flückigers bisher grösster Erfolg: „Wenn es dir als Gründer gelingt, dein Start-up erfolgreich zu verkaufen, dann weisst du, dass du alles richtig gemacht hast; dann weisst du, dass du etwas geschaffen hast, das Wert generiert“, so die Gründerin.
Zugeflogen ist Flückiger der Erfolg allerdings nicht, ganz im Gegenteil: Ihr war stets klar, dass sie immer stärker im Fokus stand als ihre männlichen Kollegen. „Wenn man als Frau das Vertrauen eines Investors gewinnen will, darf man sich weder fachliche noch rhetorische Fehler erlauben“, schildert sie. Eines ihrer Kernanliegen als Unternehmensführerin war immer ein diverses Team: „Ich habe immer viele Frauen angestellt und dafür gekämpft, dass unser Beirat auch stark weiblich besetzt ist. Meine grösste Erfüllung im Alltag bestand darin, Frauen dabei zu helfen, sich beruflich zu verwirklichen.“
Dass der Anteil an Frauen in der Schweizer IT-Branche nach Angaben des Bundesamts für Statistik bei nur 24 Prozent liegt, findet auch Flückiger problematisch: „Es hilft nicht, Frauen einfach nur zu motivieren, den Sprung in die Technik zu wagen. Wir müssen sie auch unterstützen, in diesen Berufen zu bleiben, und dürfen erst damit aufhören, bis sie ihren Platz an der Spitze eingefordert haben.“
Leonie Flückiger hat es bereits an die Führungsspitze eines Unternehmens geschafft und fordert junge Frauen auf, es ihr gleichzutun. Ihr Rat an sie: „Ich habe mir beigebracht, authentisch zu sein. Warum sollte ich mich verstellen, nur weil man so bis heute Business gemacht hat?“
Seit dem Verkauf des Start-ups ist Flückiger bei der renommierten Unternehmensberatung McKinsey tätig. Sie macht jungen Frauen Mut, an visionären Zielen festzuhalten und Geschlechterrollen neu zu denken – Männer müssen das Feld räumen, damit mehr weibliche Talente die Möglichkeit haben, die Digitalisierung aktiv voranzutreiben.
Mit Adresta ist es Leonie Flückiger gelungen, Luxusuhren fälschungssicher zu machen – und gleichzeitig die sehr traditionelle Uhrenindustrie ins digitale Zeitalter zu befördern.
Text: Helene Hohenwarter
Fotos: Adresta, Watches and Wonders Genf 2022