Wächter des verborgenen Schatzes

Der Uhrenhersteller A. Lange & Söhne und seine zahlreichen Markenwächter.

James-Bond-Darsteller Daniel Craig trägt und wirbt für Omega, Model und Schauspielerin Cara Delevingne trägt Tag Heuer, wie übrigens auch Manchester-United-Coach José Mourinho. Tennisspieler Roger Federer hat bei seinen Preisverleihungen hingegen Rolex-Uhren am Handgelenk, Kate Winslet präferiert Longines, David Beckham mag seit kurzer Zeit nicht mehr Rolex, sondern Tudor. Die Liste liesse sich ewig ­weiterführen, denn Stars und Sportler haben sich als Botschafter für Uhrenmarken durchgesetzt. Testimonials sind in der Branche mehr Regel als Ausnahme.

Doch bekanntermassen bestätigt Zweiteres Ersteres. In diesem Fall ist Zweiteres der im sächsischen Glashütte beheimatete Uhrenproduzent A. Lange & Söhne, der von solchen Deals wenig zu halten scheint. Obwohl, korrigiert CEO Wilhelm Schmid, einen Botschafter habe es jahrzehntelang sehr wohl gegeben: Walter Lange. Der Urenkel des Unternehmensgründers verstarb 2017. Wilhelm Schmid: „Das Loch, das Walter Lange hinterlässt, lässt sich nicht schliessen. Er war die Brücke zur Vergangenheit. Doch wir arbeiten in seinem Geiste und wollen die Werte bewahren und weiterführen.“

Das von Langes Urgrossvater Ferdinand Adolph 1845 unter dem Namen A. Lange & Cie. ­gegründete Unternehmen produzierte über 100 Jahre lang Uhren in Glashütte, bevor der in der ehemaligen DDR gelegene Betrieb nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht wurde. Es entstand der aus mehreren Uhrenproduzenten zusammengefasste volkseigene Betrieb „Glashütter ­Uhrenbetriebe“. Nach der Wiedervereinigung ging daraus die Glas­hütte Uhrenbetrieb GmbH hervor.

Walter Lange wollte das Familienunternehmen jedoch erneut loslösen und gründete 1990 die Lange Uhren GmbH, mit der er die Markenrechte für A. Lange & Söhne erwarb. Unter Mithilfe des damaligen IWC-Präsidenten Günter Blümlein wurde A. Lange & Söhne zu einer erfolgreichen Marke, der schliesslich 2001 in den Schweizer Luxuskonzern Richemont überging.

Doch selbst als Tochter von Richemont agiert man anders als die Konkurrenz. Understatement ist das Motto, die komplizierten Uhrwerke finden sich nicht auf den stets reduzierten Uhrenblättern, sondern bedürfen eines zweiten Blicks ins Innere der Uhr. A. Lange & Söhne ist eine Marke für Uhrensammler, deren Exklusivität im Gegensatz zu Marken wie IWC, Rolex oder Patek Philippe nur von Kennern erkannt werden soll.

Weniger „understated“ sind jedoch die Preise, die die Sachsen für ihre Zeitmesser verlangen. Mit Uhren, die sich zwischen 15.000 € (Saxonia Thin) und 1,9 Millionen € (für die auf sechs Stück limitierte Grand Complication) bewegen, macht A. Lange & Söhne bei Weitem keine Uhren für den Massenmarkt. Schmid: „Die Leute, die uns mögen, kaufen im Wesentlichen eines: einen unglaublichen Anteil an Handarbeit.“ Egal, ob es sich um die günstigste Uhr handle – die immer noch teuer ist – oder die teuerste. Diese Strategie hat den Vorteil, dass die Konjunkturanfälligkeit der Branche, die zuletzt einige Krisenjahre verdauen musste, A. Lange & Söhne weniger stark trifft. ­Genaue Produktions- und Umsatzzahlen darf Schmid aufgrund der Zugehörigkeit zum Richemont-Konzern nicht nennen, Branchenblätter schätzen die Erlöse jedoch auf jährlich rund 150 Millionen € bei ungefähr 5.000 verkauften Uhren. Dass A. Lange & Söhne mit seinen 600 Mitarbeitern aber Umsätze im niedrigen dreistelligen Millionen­bereich verdient, ist wahrscheinlich.

Doch wie positioniert man eine Marke, die nicht jeder kennen soll? Schränkt das Traditionsbewusstsein die Innovationsfähigkeit ein? Und welche Vergleiche zieht Schmid, der lange Jahre in der Automobilbranche tätig war, zur Uhrenproduktion.

Wofür steht die Marke A. Lange & Söhne?
Eine Marke ist ja nichts anderes als eine Persönlichkeit. Die Leute, die uns mögen und Geld investieren, kaufen bei uns im Wesentlichen eines: einen unglaublichen Anteil an Handarbeit. Egal, ob das die günstigste Uhr ist – die immer noch teuer ist – oder die teuerste. Der zweite Punkt ist das Deutsche in unserer Marke: Alles ist einerseits unglaublich gut ablesbar und klar strukturiert, das ist das Un­derstatement am Zifferblatt. Aber wenn man die Uhr umdreht und ins Werk schaut, nimmt man auch die Opulenz und dekorative Vielfalt wahr. Auch unsere einzigartige Historie ist bedeutend, und der Kontakt mit Kunden und Partnern. Wer uns kennenlernt, weiss, wovon ich spreche.

Uhrenmarken konkurrieren zunehmend über Testimonials und Marketingmassnahmen. A. Lange & Söhne nimmt an diesem Rennen nicht teil – wieso?
Wir sind Uhrmacher mit Passion. Wir hatten jahrelang einen starken Markenbotschafter, nämlich Herrn Lange, der letztes Jahr leider verstorben ist. Aber wir haben auch unsere Mitarbeiter, die Botschafter der Marke sind. Mein erster Arbeitstag war der 6. Dezember 2010, am Abend war die Feier zum 165. Geburtstag der Marke. Als ich danach ins Bett ging, habe ich meiner Frau gesagt, dass ich noch nie eine Marke gesehen habe, die so viele Wächter hat. Was ich mir da von Konzessionären, Mitarbeitern et cetera alles anhören musste über die Persönlichkeit der Marke A. Lange & Söhne, das war beeindruckend.

Sie sind kein Fan des Begriffs Luxus, sprechen lieber von Exklusivität. Was hat es damit auf sich?
Ich hörte mal eine Werbung, da ging es um das luxuriöseste Müsli. Die Werbung wies darauf hin, dass dieses Müsli mehr Rosinen hätte als andere. Wenn das heutzutage Luxus bedeutet, müssen wir uns für unsere Marke etwas anderes überlegen. Exklusivität trifft uns aber sowieso viel besser. Wir sind nun mal nicht überall erhältlich, nicht überall bekannt.

Setzen Sie Exklusivität denn mit Rarität gleich?
Exklusivität beschreibt für mich eher begrenzte Ressourcen. Und ein Uhrmacher, unsere eingesetzten Materialien Gold und Platin oder ein Graveur sind nur begrenzt verfügbar. Rarität hingegen ist, wenn etwas nicht wieder produziert werden kann. Etwa ein BMW 507, der nie wieder gebaut wird und von dem nur noch wenige Exemplare exisitieren. Natürlich gibt es auch solche Uhren bei uns, sonst sehe ich aber unsere Marke eher im Bereich der Exklusivität.

Die Behauptung, exklusiv zu sein, würden viele Uhrenmarken für sich beanspruchen. Warum ist sie bei Ihnen zutreffend?
Ich überlasse diese Einschätzung jedem Einzelnen selbst. Aber gehen Sie doch mal zu fünf Juwelieren und sehen Sie sich an, welche Uhren Sie überall finden und in welcher Stückzahl.

Schätzungen zufolge produzieren Sie pro Jahr 5.000 Uhren und setzen rund 150 Millionen € um. Stimmt das?
Dazu kann ich nichts sagen, und die Zahlen sind auch jedes Jahr unterschiedlich. Wenn wir in einem Jahr etwa mehr komplizierte Uhren bauen, geht die Stückzahl natürlich nach unten. Für uns sind massive Nachfragesteigerungen, wie wir sie etwa 2013 oder 2014 erlebten, sowieso unmöglich zu erfüllen. Denn dafür benötigen wir Spezialisten, Uhrmacher, etc., die drei bis fünf Jahre in der Ausbildung sind.

Ist der Fokus auf Experten hilfreich gegen Dämpfer in der Branche, etwa durch den Nachfragerückgang aus China der letzten Jahre?
Wir sprechen sehr stark Uhrensammler an, in der ganzen Welt. Die haben meist das nötige Kleingeld – wir sind ja nicht ganz preiswert. Und sie haben eine Leidenschaft. Das ist dann weniger konjunkturanfällig als eine Fokussierung auf ein Land oder eine gewisse Mode.

 

Wie schwierig ist es, kenntnis­reiche Uhrensammler zufriedenzustellen?
Der Feind des Guten ist das Bessere, das Bessere ist dann nämlich der neue Standard. Vor und nach jeder SIHH (Salon International de la Haute Horlogerie; Uhrenmesse, Anm.) verspüren wir also diesen Druck. Ein Sammler ist ein Fachmann oder eine Fachfrau, die haben durchaus Ahnung von dem, was wir machen. Es gilt also, sie jedes Jahr ein Stück weit zu überraschen.

Sie waren zuvor acht Jahre bei BMW tätig. Wie unterscheiden sich die beiden Branchen?
Wir Deutschen dürfen durchaus stolz auf unsere Automobilindustrie sein. Deutsche Automarken haben weltweit einen sehr guten Ruf. Made in Germany hilft – das betrifft ja auch A. Lange & Söhne. Doch es gibt durchaus Unterschiede. Wir haben ja den Anspruch, möglichst viel per Hand zu machen, ein Automobil­hersteller ist daran interessiert, relativ viel zu industrialisieren. Doch die Kundensegmente überschneiden sich natürlich

Schränkt Sie Ihr Traditions­bewusstsein hinsichtlich ­Innovationen ein?
Genau im Gegenteil: Unser ­Motto ist „Never stand still – bleib nie stehen.“ Das kann ein Problem sein, denn wenn man denkt, eine Uhr sei fertig, kommt jemand daher, der die Uhr wiederum verändern und verbessern will. Unsere Werte und Traditionen haben durchaus etwas Befeuerndes. Wir wollen uns Schritt für Schritt ­weiterentwickeln. Damit werden wir nicht das am schnellsten wachsende Unternehmen sein, aber gewährleisten Beständigkeit.

Andere Uhrenmarken experimentieren mit Smart Watches, Braces und verstärken ihre Präsenz auf Social Media. Das ist für Sie vermutlich kein Thema, oder?
Ich glaube, dass das einfach ein ganz anderer Markt ist. Wir sind vergleichbar mit einem wertvollen Oldtimer. Sie benötigen ja heutzutage keine Uhr mehr, um zu wissen, welche Zeit es ist. Wir sind vielmehr Ausdruck einer Persönlichkeit als eines Zwecks. Smart Devices dienen einem Zweck. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir produzieren. Auf Englisch würde man sagen: „We outlived our usefulness long ago.“

Frauenuhren spielen bei Ihnen nur eine untergeordnete Rolle. Lässt man sich hier nicht ein wertvolles Marktsegment ent­gehen?
Ich glaube, Frauen können am besten selber entscheiden, was sie mögen. Und dann ist es relativ egal, für wen die Uhren ursprünglich designt wurden. Ich kenne eine ganze Menge Frauen, die eine Lange 1 tragen, und auch ein paar, die einen Datograph haben. Wir sollten uns von diesem Rollenmodell, wonach Uhren nur für Frauen oder Männer sind, verabschieden. Es gibt genug Frauen, die an mechanischen Uhren Spass haben. Aber wir haben einfach auch ein Kapazitätsthema in der Fabrik, wir können nicht beliebig viele Uhren bauen. Wir müssen uns also fokussieren, haben aber in kleinen Stückzahlen durchaus auch speziell für Frauen entwickelte Modelle.

Wie interpretieren Sie Ihre Rolle als „Chef der Markenwächter“ bei A. Lange & Söhne?
Ich sehe mich als Taktgeber, Motivator – als derjenige, der für die Rahmenbedingungen verantwortlich ist.

Wilhelm Schmid
studierte Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Aachen. Seinen Abschluss machte der aus dem nordrhein-westfälischen Jülich stammende Manager 1980. Vor seiner Zeit als CEO bei A. Lange & Söhne – er trat den Posten 2010 an – war Schmid lange Jahre in der Autobranche tätig, unter anderem als Director von BMW in Südafrika.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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