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Für Markus Schaefer und Hiromi Hosoya ist Architektur mehr als nur Gebäude und gutes Design. Die beiden sind die Gründer des Architektur- und Stadtforschungsbüros Hosoya Schaefer Architects in Zürich. Nach aussen hin erwecken sie Projekte zum Leben, hinter den Kulissen beschäftigen sie sich mit komplexen Fragen rund um den urbanen Raum: Was macht Städte langfristig intelligent, nachhaltig und erfüllend?
Auf die kurze Frage, was eine Smart City ausmacht, holt Markus Schaefer weiter aus. „Smart City ist ein schwieriger Begriff“, sagt der Schweizer Architekt und Urbanist. „Städte im 21. Jahrhundert haben teils jahrzehntealte Strassen sowie Wasser-, Strom- und Telekomleitungen der letzten Jahrhunderte im Boden und nun zusätzlich digitale Infrastrukturen mit völlig neuen Möglichkeiten der Kommunikation und der Einbeziehung der Menschen in Entscheidungsprozesse. Eine Stadt, die die Summe dieser Technologien zum Nutzen aller einsetzt und dafür wieder gute Regeln und Institutionen schafft – das ist vielleicht eine Smart City.“ Am Ende kommt Schaefer zu einem einfachen Schluss: „Ich würde es einfach eine gut gemachte, gut organisierte moderne Stadt nennen.“
Schaefer sitzt uns gegenüber, neben Hiromi Hosoya. Heute sind beide in gedeckten Farben gekleidet, die sich nahtlos in das klare Design ihres Grossraumbüros einfügen. Die Partner – geschäftlich und privat – gründeten 2003 das Architektur- und Stadtforschungsbüro Hosoya Schaefer Architects. Mit einem Team von 30 Mitarbeitern in der Schweiz und in Japan hat das Unternehmen bereits an bedeutenden Projekten in ganz Europa gearbeitet: am Engadin Airport in St. Moritz (Europas höchstgelegener Regionalflughafen auf 1.707 Metern über dem Meeresspiegel), am ZDF-Fernsehstudio in Mainz, am Elbbrückenquartier der HafenCity Hamburg oder am TechCluster Zug.
Um auf das Thema Smart Citys zurückzukommen: „Jetzt ist es sehr verwässert. Es bedeutet nicht mehr so viel“, argumentiert Schaefer. „Das Gefährliche an dieser Smart-City-Diskussion ist, dass der Traum dahinter zu sein scheint, dass nur dank Technologie alles besser und neuer werden kann; dass wir uns mit technischen Lösungen ganz einfach aus dem Schlamassel befreien können, in dem wir uns gerade befinden. Und das ist sicher eine Fiktion – Technologie ist nicht die Lösung für alles.“
„Ich würde es einfach eine gut gemachte, gut organisierte moderne Stadt nennen.“
Schon nach wenigen Minuten unseres Gesprächs ist klar, dass die beiden mehr als nur Architekten sind – beide beschreiben ihren beruflichen Werdegang als unkonventionell. Hosoya wurde in Osaka geboren und absolvierte ein Bachelorstudium in englischer Literatur in Kioto, Schaefer hingegen stammt aus Zürich und schloss die Universität Zürich mit einem Master in Neurobiologie ab. Die beiden lernten einander während ihres Masterstudiums der Architektur an der Harvard University kennen. Aber warum Architektur? „Ich wollte in meinem Leben nie auf der passiven Seite, sondern immer auf der aktiven, der planenden Seite stehen“, sagt Hosoya.
Ihre Arbeit hat die beiden seitdem in die ganze Welt geführt: Schaefer wurde Direktor und Mitbegründer des Forschungs- und Designstudios AMO von OMA / Rem Koolhaas in den Niederlanden, Hosoya landete beim renommierten Architekturbüro Toyo Ito & Associates in Tokio. Beide arbeiteten als Professoren an der Akademie der bildenden Künste Wien, bevor sie ihr eigenes Architekturbüro im Zürcher Stadtteil Altstetten gründeten. Ihr erstes Projekt war ein Restaurant für die Autostadt, den Themenpark des Volkswagenkonzerns in Wolfsburg. Fast 20 Jahre später hat das Architekturbüro Hosoya Schaefer Architects an mehr als 70 Architektur- und Städtebauprojekten gearbeitet und erwirtschaftet rund 3,5 Millionen CHF pro Jahr.
An architektonischen Talenten mangelt es der Schweiz nicht – Herzog & de Meuron, Le Corbusier oder Jean Tschumi gehören zu den meistzitierten Namen. Aber Hosoya und Schaefer glauben, dass sie eine Nische schaffen, in der sie Wissenschaft und Architektur unter einem Dach vereinen. „Wenn wir an ein traditionelles Architekturbüro denken, werden Architekten im Wesentlichen damit beauftragt, ein Gebäude zu entwerfen und zu bauen“, sagt Hosoya. „Sobald das Gebäude gebaut ist, ist das Projekt beendet.“
„Ich denke, die Schlüsselwörter sind Menschen, Greifbarkeit und Vergnügen.“
Im Jahr 2014 wurden die Partner gebeten, den Salon Suisse für die Biennale von Venedig zum Thema „The Next 100 Years – Scenarios for an Alpine City State“ zu kuratieren. „Wir wollen in Zukunft in Städten leben, in denen lokal und regional gewirtschaftet wird, die ein gemeinsames Narrativ haben, soziale Beziehungen bieten und uns ein erfülltes Leben ermöglichen“, sagt Schaefer. „Gleichzeitig müssen wir über die Instabilitäten der Zukunft nachdenken. Wir leben auf einem Planeten mit über siebeneinhalb Milliarden Menschen – das sind doppelt so viele wie zu meiner Geburt. Natürlich ist das eine instabile und fragile Situation, für die wir weder biologisch-evolutionär noch historisch-kulturell einen Präzedenzfall kennen.“
Ein Paradebeispiel dafür ist die weltweite Pandemie, die im vergangenen Jahr viele Menschen am Boden gehalten und die Materialflüsse und die Produktion unterbrochen hat. „Covid-19 ist ein Fenster in die Zukunft. Es ist ein Symptom einer generellen Fragilität, die durch das Ausmass der Vernetzung entsteht, die unserer modernen, globalen Gesellschaft zugrunde liegt“, erklärt Schaefer. „Unser System ist so vernetzt, dass sich jede Instabilität, egal ob Virus, Bankenkrise oder Logistik-Engpass, sofort ausbreitet.“ Er hofft, dass die Menschen nach der Krise lokaler leben („Relokalisierung bedeutet nicht Isolation“) und weniger konsumieren. „Wir müssen eine Art zweite Aufklärung erreichen, bei der wir wissen, wie wir uns wirklich nachhaltig organisieren können“, sagt Schaefer. „Das Einzige, was wir beitragen können, sind gute Orte als Architekten und gute Ideen als Schriftsteller.“
Ihre Arbeit ist komplex, aber wir kehren noch einmal zu einer einfachen Frage zurück: Was macht eine utopische Stadt aus? An dieser Stelle schlägt Hosoya ihr Buch auf und verweist auf ein Werk des flämischen Renaissancemalers Pieter Bruegel aus dem Jahr 1560 mit dem Titel „Kinderspiele“ – es zeigt eine Szene, in der mehr als 230 Kinder auf einem offenen Platz spielen, schwimmen und auf Bäume klettern. „Ich denke, die Schlüsselwörter sind Menschen, Greifbarkeit und Vergnügen“, sagt Hosoya.
Text: Olivia Chang
Fotos: David Willen, Jos Schmid, Hosoya Schaefer Architects
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 7–21 zum Thema „Smart Cities“.