Unabhängig mit System

Für Walter Kreisel ist Energie nicht primär ein politisches, sondern ein strukturelles Thema: Mit Neoom entwickelter Hard- und Software für eine dezentrale Energielandschaft. Das Geschäftsmodell orientiert sich am Transaktions­volumen statt an Strompreisen – und soll damit unabhängig von Marktvolatilität funktionieren.

Walter Kreisel ist kein Freund der Farbe Grün. „Wir sollten dem unglaublichen Potenzial der Energiewende keine Farbe verpassen“, sagt der Gründer der Neoom Group. Kreisel ist auch Geschäftsführer des Cleantech-­Unternehmens, das als Peer-to-Peer-Plattform für Solarspeicher und intelligente Energiesysteme fungiert. Sein Ansatz für eine CO2-freie Welt ist ebenso pragmatisch wie innovativ. Die Grundidee: Konsumenten produzieren ihre Energie selbst, indem sie in autarke Energiesysteme für ihre Privathaushalte und Unternehmen investieren. „Wenn mich jemand fragt, was wir machen, sage ich immer: ,Wir wollen verändern, wie Energie konsumiert wird‘“, so Kreisel.

Der Unternehmer weiss aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. 2008 baute Kreisel ein Haus für seine wachsende Familie, seine Frau erwartete Zwillinge. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kreisel, der sich selbst als „Öko-Spätzünder“ bezeichnet, erneuerbaren Energien kaum Beachtung geschenkt. Doch Kreisel wollte sich nicht damit abfinden, dass die Energiesysteme, die ihm für den Bau nahegelegt wurden, nicht seinen Anforderungen entsprachen. „Die Energiebranche war damals noch sehr traditionell – also habe ich viel recherchiert, Komponenten verbunden und mein eigenes Haus energieautark gebaut“, erzählt der Neoom-Chef. Er war damals noch im Elektronik-Fachhandel seiner Eltern tätig. Das dort gesammelte Wissen nutzte Kreisel, um noch während seines MBA-Studiums an der Hohen Warte in Wien im Jahr 2011 Hometec zu gründen, einen Anbieter für Smart-Home-Lösungen. Damit einhergehend wuchs auch sein Interesse an smarten Energiesystemen.

Sieben Jahre nach der Gründung firmierte Kreisel sein Unternehmen Hometec zu Neoom um, über die die Holding Neoom AG gestülpt wurde. Heute beschäftigt die Unternehmensgruppe rund 200 Mitarbeiter, die Energielösungen wie Stromspeicher und Ladestationen an private und gewerbliche Endanwender sowie Wiederverkäufer veräussern. „Wir sind ein klassisches B2B2C-Unternehmen“, sagt Kreisel. Neoom fungiert als Technologieplattform, die Hard- und Software­lösungen für dezentrale Energie mit Installationspartnern und Endkunden vernetzt. Die Installationspartner übernehmen die Anwendung vor Ort und schliessen Serviceverträge ab, das Software-Abonnement für die Inbetriebnahme der Energielösungen wird aber direkt mit Neoom abgeschlossen.

Neoom verdient am Transaktionsvolumen, nicht an den Strompreisen. „Unser Geschäftsmodell ist vergleichbar mit Handelsplattformen: Neoom profitiert an der Einsparung von Kosten und CO2 unserer Kunden – und nicht am Preis der zugekauften Energiemenge von Versorgern“, erklärt Kreisel. Rund zehn Tonnen CO2 sparen seine Kunden im Jahr ein, abhängig davon, welche Teile des Haushalts an das Neoom-System angeschlossen werden, sagt Kreisel. Im Durchschnitt werfe die Investition 10 bis 20 % Rendite pro Jahr ab, das entspreche einer Amortisationszeit von fünf bis zehn Jahren. „Im gewerblichen Bereich, etwa bei Bäckern oder Autohäusern, rechnen sich unsere Anlagen oft noch schneller“, so Kreisel. Die Entwicklung von Hardware zu Software zu Software as a Service bezeichnet er rückblickend als den klügsten Schachzug: Um Investitionssicherheit gegenüber rechtlichen und politischen Veränderungen zu gewährleisten, werden notwendige Anpassungen als Software-Update bereitgestellt.

In der „Free City“ in Freistadt, Oberösterreich, werden diese Lösungen erarbeitet. Das im Juni 2023 eröffnete Gelände ist zu 100 % energieautark. Den Strom, der aus den Photovoltaik-Anlagen auf dem Gebäude gewonnen wird, lagert Neoom als Blickfang in einem riesigen Speicher, der vom Eingang aus zu sehen ist. Kreisel erzählt, dass auf dem Parkplatz, den man dafür überquert, an einem normalen Tag rund 60 Elektroautos an den Ladesäulen hängen. Die „Free City“ bezeichnet für ihn nicht nur Freistadt, sondern auch unternehmerische Freiheit und die Freiheit von Energieabhängigkeit: „Angesichts der hohen Energiepreise ist es unglaublich, dass der Markt die von uns angebotenen Technologien noch nicht konsequent nutzt“, sagt Kreisel.

Die eigene unternehmerische Freiheit hat er sich hart erarbeitet: Als er zehn Jahre alt war, erkrankte sein Vater an Krebs – bereits während der Schulzeit arbeitete Kreisel deshalb so viel wie möglich im elterlichen Unternehmen mit. Gemeinsam konnte die Familie die Unternehmensschulden abbauen, und sein Vater wurde wieder gesund. Kreisel blieb dem Familienbetrieb erhalten, zuerst als Lehrling, später als Mitarbeiter. Trotzdem wurde Kreisel nach und nach klar, dass er seine Zukunft nicht darin sieht, das Familienunternehmen weiterzuführen. Heute ist er mit knapp 20 % ­grösster Shareholder seines eigenen Unternehmens – und träumt vom Börsengang.

„Dafür müssen wir unsere Strukturen weiter ausbauen, mittel- bis langfristig auch international wachsen und zweistellige Millionengewinne erzielen“, sagt Kreisel dazu. Mehrere grosse Finanzierungsrunden hat Neoom in den ersten Jahren bereits durchlaufen, bis zur Series-B-Runde ist Eigen- und Fremdkapital eingeflossen. Investoren sind unter anderem die ING-Bank und die B&C-Gruppe. Seit der letzten Kapitalrunde Ende 2022 finanziert sich das Unternehmen selbst. Immerhin hat es in den vergangenen zwei Jahren knapp unter 100 Mio. € erwirtschaftet. Die Einnahmen stammen zu gleichen Teilen von privaten und gewerblichen Kunden; 5 bis 6 % sind zudem wiederkehrende Einnahmen aus Energiegemeinschaften, die Neoom aktiv fördert.

Ursprünglich wollte sich Neoom breiter aufstellen: Vor drei Jahren hat Kreisel den Neoom Innovation Hub gegründet, um sich als Accelerator an jungen Start-ups zu beteiligen, die Teil der Neoom-Plattform werden könnten. So ist etwa der mobile Wasser­generator „Phantor“ entstanden, der Trinkwasser aus der Luft ­filtert. Doch das Unternehmen stiess wachstums­technisch an seine Grenzen. Also entschloss sich ­Kreisel, den Fokus wieder aufs Kerngeschäft zu legen.

Dafür gibt es schliesslich genug zu tun. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) der Europäischen Union sieht vor, dass erneuerbare Energien bis 2030 mindestens 42,5 % des gesamten Endenergieverbrauchs ausmachen. Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz übersetzt diese Richtlinien in österreichisches Recht – und skizziert die Vision, dafür „eine Million Dächer mit Photovoltaik auszustatten“. Neoom produziert aktuell vor allem für den DACH-Raum, möchte aber weiter in den europäischen Markt expandieren. „Wir wollen in dieser Entwicklung nicht Blackberry sein, sondern Apple“, sagt Kreisel in Anlehnung an die Geschichte des Handyherstellers Blackberry, der den Anschluss an den technologischen Fortschritt verpasst hat und von der Bildfläche verschwunden ist. Der Geschäftsführer setzt auf Eigenverantwortung – bei sich wie auch bei seinen Kunden. Förderungen für erneuerbare Energien sieht er kritisch: „Die Vorteile erneuerbarer Energien sind klar, deshalb werden sie sich langfristig auch ohne zusätzliche staatliche Förderung durchsetzen“, so Kreisel. Ob das stimmt, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen – aber sollte Kreisel recht behalten, könnte Neoom deutlich auf der Gewinnerseite stehen.

Fotos: Neoom AG

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