Swiss German

Wie der deutsche Manager Thomas Klühr die heilige Kuh der Schweizer vom Eis geholt hat.

In einem globalen Wettbewerb wie in der Airlinebranche führen Subventionen zu Marktverzerrungen. Man kann dann nicht mehr von fairem Wettbewerb sprechen.“ Thomas Klühr macht keinen Hehl daraus, was er von staatlichen Unterstützungen für Fluglinien hält. Doch einige Beobachter der Schweizer Wirtschaftspolitik hätten da – insbesondere mit Blick auf die Geschichte der heute von Klühr geführten Fluglinie Swiss – vielleicht eine andere Meinung. Denn die Swiss, die nach der Insolvenz der Swissair und durch Umbenennung der Crossair die neue nationale Fluggesellschaft der Schweiz geworden war, war Anfang dieses Jahrtausends finanziell ziemlich angeschlagen.

Die Fluglinie kämpfte mit ­massiven Verlusten, 2002 stand ein Minus von fast einer Milliarde Franken unter dem Strich (980 Millionen CHF, zu heutigem Wechselkurs 825 Millionen €), 2003 waren es 687 Millionen ­Franken (heute 578 Millionen €). Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit British Airways wurden ergebnis­los abgebrochen, bevor sich die Gross­aktionäre Credit Suisse, UBS, Eidgenossenschaft sowie der Kanton Zürich mit der Lufthansa über einen Verkauf einigten – zu einem Preis von 310 Millionen €. Und eben das ist es, was vielen Beobachtern auch heute noch sauer aufstösst. Denn der Verkauf der nationalen Fluglinie an einen deutschen Konzern, während wenige Jahre später die Schweizer Banken mit Staatsgeld gerettet wurden, ist ­vielen Schweizern nicht erklärbar. Doch – und das muss erwähnt werden: Unter dem Dach der Lufthansa erholte sich die Swiss nachhaltig.

Und zwar in einem Ausmass, dass 2017 ein Rekordergebnis zu ­Buche stand, das auch Thomas Klühr durchaus stolz macht: „Ich bin ein bescheidener Mensch, aber dieses Ergebnis war mehr als ordentlich“, sagt der heutige CEO der Fluglinie. So erreichte die Swiss 2017 eine Gewinnsteigerung um 31 Prozent auf 561 Millionen CHF (472 Millionen €), der Umsatz kletterte auf 4,95 Milliarden CHF (4,17 Milliarden €), die EBIT-Marge stieg von 8,9 auf 11,3 Prozent.

In die Beschreibung seiner Bescheidenheit fügt sich das Büro, in dem uns Thomas Klühr empfängt, ­relativ nahtlos ein. Es findet sich so gut wie kein Schnickschnack in diesem Raum – überhaupt strahlt der ganze Hauptsitz der Swiss eine Reduziertheit aus, die sich auch am Flughafen Zürich ­finden lässt. Als wir reinkommen, ist Klührs Schreibtisch hochgefahren, sodass der Manager bei unserem Eintreten stehend am PC arbeitet. Seit ­Februar 2016 ist Thomas Klühr CEO der Swiss und zieht damit die Fäden bei einem Unternehmen, das die Identität der Schweizer ähnlich stark prägt wie ­Roger Federer oder das Matterhorn – was auch die heute noch vorhandene Wut mancher auf die fehlende staat­liche Unterstützung in den Krisen­jahren erklären dürfte.

Auf sein Resümee nach seinen ersten beiden Jahren angesprochen, zieht Klühr ein positives Fazit – und bestätigt die starke Identifikation mit dem Unternehmen. „Ich erlebe dieses Unternehmen als sehr schweizerisch.“ Der Deutsche ist voll des Lobes für „seine“ Fluglinie: „Mit unseren Mitarbeitenden, den Produkten, die wir verwenden, und unserer Vision – nämlich der Anbindung der Schweiz an die Welt – sind wir sehr gut aufgestellt.“

Das neueste Rekordergebnis begründet Klühr indes – wie es sich für einen Chef gehört – auch mit dem Beitrag der Mitarbeiter: „Es waren verschiedene Faktoren, die zu diesem guten Ergebnis geführt haben: Einerseits ein sehr engagiertes und professionelles Team, andererseits profitieren wir von den Investitionen der letzten Jahre in das Produkt und die Flugzeuge und von unserer Positionierung als Premium-Carrier. Zudem waren der Ölpreis und die Markt­bedingungen vorteilhaft für uns.“

Die Pleite von Air Berlin, die der Lufthansa ebenfalls zum besten Jahresergebnis der Unternehmens­geschichte verholfen hatte – der Umsatz der Mutter stieg um 12,6 Prozent auf 35,6 Milliarden €, der Gewinn um 33 Prozent auf 2,3 Milliarden € –, hatte für die Swiss keinen so grossen Unterschied ausgemacht. Die Effekte seien vor allem in Deutschland spürbar gewesen, sagt Klühr, verneint aber auch nicht, dass natürlich auch die Swiss von dem Wegfall eines Konkurrenten profitierte – obwohl er diese Situation sowieso nur kurzfristig als Vorteil sah, wie er sagt: „Die Lücke, die durch den Konkurs von Air Berlin in Europa entstanden ist, wurde sehr schnell geschlossen.“

Klühr spricht langsam, bedacht, achtet auf seine Worte. Die Bilanz beschrieb das zum Jobantritt von Klühr mit folgenden Worten: „Antworten liefert Klühr stets trocken und sachlich, er wird weder laut noch leise, sondern bewegt sich in einer pulsneutralen Mittellage.“ Doch die Sachlichkeit, die Klühr in seinen Antworten und seiner Arbeit walten lässt, kann er in Zukunft vermutlich gut gebrauchen. Denn trotz sehr guter Ergebnisse in jüngster Vergangenheit wird der Job für den Swiss-Mann nicht einfacher. Das ist auf drei grosse Trends zurückzuführen, die Klühr in Zukunft beschäftigen werden: Wettbewerb, fehlender Mut in Europa und Konsolidierung.

Dass der Wettbewerb in der Luftfahrtbranche ein intensiver ist, ist zwar nichts Neues. Doch es ­dauerte – wie Klühr im Gespräch mehrmals erwähnt – nicht lange, bis die Marktlücke nach der Air-Berlin-Insolvenz wieder geschlossen war. Letztendlich war es vor allem Niki Lauda mit seiner neuen Fluglinie Laudamotion, der von der Insolvenz profitierte. Doch zu einem echten Mitbewerber wurde Laudas Fluglinie erst später – nämlich als der ehemalige Rennfahrer sich einen starken Partner für seine Expansion an Bord holte.

Klühr: „Für die Lufthansa Group ist die grosse Konkurrenz nicht Laudamotion, sondern Easyjet und Ryanair. Wir gehen davon aus, dass diese beiden grossen Konkurrenten bleiben werden.“ Denn die beiden Genannten machen der Lufthansa aktuell nicht nur den europäischen, sondern zunehmend auch den deutschsprachigen Markt streitig. Die billigen Tickets der britischen Linien bereiten dem deutschen Konzern mit dem Kranich-Logo nämlich grosse Schwierigkeiten. Das betrifft auch die Swiss, die sich aufgrund der starken Präsenz von Ryanair in Basel bereits vom Flughafen zurückzog. In Genf wird der Wettbewerb vorerst weiter­geführt, doch auch hier wird die Situation für die Lufthansa-Tochter Swiss keinesfalls einfacher.

Auch deshalb stellte Swiss bei Flügen ab Genf etwa den ­Bordservice um. In Zukunft soll den Gästen lediglich Mineralwasser serviert werden, alle anderen Getränke und Snacks kosten extra. Was die Swiss mit einem stärker individualisierten Programm für den Gast begründet – „der Kunde entscheidet und stellt sich das Produkt nach seinen Wünschen zusammen“, so Klühr –, hat auch einen anderen Hintergrund.

Denn wie in vielen anderen Branchen auch lässt sich mit dem eigentlichen Produkt, nämlich Flugtickets, kaum noch Geld verdienen. Lukrativer sind hingegen Zusatzprodukte, etwa Aufpreis für Gepäckstücke oder eben ein kostenpflichtiger Bord­service. Damit können Fluglinien noch gutes Geld verdienen, wie ein Blick in die USA beweist: Dort macht der Ultra-Low-Coster ­Spirit fast die Hälfte seines Umsatzes (­konkret waren es zuletzt 47 Prozent) mit Nebenprodukten, die rund um Flugtickets angeboten werden. Und auch bei Premiumlinien dürfte der Anteil von zusätzlichen Services am Gesamtertrag in Zukunft ansteigen. Dass die Swiss sich in Zukunft selbst in Richtung Low-Coster orientiert, bestreitet Klühr aber: „Wir stellen uns dem Wettbewerb mit den Low-Costern, kopieren sie aber nicht.“

Doch auch intern besteht durchaus Wettbewerb für die Swiss. Die Lufthansa setzt derzeit nämlich stark auf den hauseigenen Low-Coster Eurowings, der aktuell vor allem auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz wächst. Und obwohl Klühr betont, dass die Swiss ihre ganz klare Positionierung als Premium-Carrier beibehalten will, ist ein Low-Coster auf den Heimstrecken natürlich ein Faktor, der bedacht werden muss.

Für uns ist der grosse Konkurrent nicht Laudamotion, sondern Ryanair. Wir gehen davon aus, dass das so bleiben wird.

Diese Einschätzung teilt auch Neil Glynn, Head of European Transport Equity Research bei der Credit Suisse: „Eurowings ist offensichtlich in den österreichischen und den Schweizer Markt eingetreten. Die Lufthansa sieht sich vermutlich gerade an, wo genau es für Eurowings Sinn macht, aktiv zu sein.“ Glynn sieht ein grosses Ziel hinter der Strategie, nämlich Effizienz: „Letztendlich wird Lufthansa versuchen, eine höhere Effizienz bei ihren Arbeits- und Produktionskosten zu erreichen. Sie wird versuchen, für jede Plattform die am besten passenden Strecken zu finden. Letztendlich steht aber jeder Carrier auf jeder Strecke im Wettbewerb um Kapital.“

Somit steht Thomas Klühr mit Swiss auch in Konkurrenz zu Aus­trian, Eurowings und Lufthansa. Und während Klühr betont, dass der Austausch unter den jeweiligen Linien extrem eng sei, ist es für Beobachter dennoch nicht gänzlich unvorstellbar, dass die Lufthansa mittelfristig nur noch auf zwei Marken setzt: die Lufthansa selbst als Premium-Carrier und Eurowings als Low-Coster. Klühr beharrt zwar darauf, dass sich die Frage einer vollständigen ­Integration für eine so starke Marke wie Swiss nicht stelle – doch diese Ausgangs­lage könnte sich natürlich ändern.

Diese Entwicklung hängt aber auch stark mit einem anderen Thema zusammen, das Klühr nachhaltig beschäftigt. Denn wer die Verlässlichkeit von Schweizer Zügen kennt, wird sich wundern, wie oft die Fluglinie des Landes Verspätungen verzeichnet. 2017 landete fast jedes vierte Flugzeug von Swiss oder Tochter Edelweiss (Klühr ist seit Ende 2017 Verwaltungsratspräsident, Anm.) mit einer Verspätung von 15 Minuten oder mehr.

Thomas Klühr

studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität im bayrischen Erlangen. Bereits 1990 stieg er in den Lufthansa-Konzern ein und bekleidete im Laufe seiner Karriere verschiedene Führungsrollen in der Planung und im Controlling. Zuletzt leitete er das wichtige Lufthansa-Drehkreuz München, bevor er im Februar 2016 seinen Posten als CEO der Swiss antrat.

Klühr ist darüber alles andere als „amused“, sieht die Problematik jedoch in gewisser Weise ausserhalb seines Einflussbereichs. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, etwa verlängerte Bodenzeiten, die Flugzeuge schneller an den Startknopf zu bringen, oder die Anwendung von optimierten Anflugverfahren. Doch die Infrastruktur in Zürich ist limitiert und stösst an ihre Grenzen. Die Kapazitäten sind erschöpft.“

Und tatsächlich liegt das Problem an der Infrastruktur in Zürich-Kloten. Laut Klühr benötigt die Swiss rund 66 Starts pro Stunde. Wenn nun aber etwa starker Wind aus der falschen Richtung kommt und das System in Zürich von zwei auf eine Bahn umgestellt werden muss, sind nur noch rund 40 Starts pro Stunde möglich. Es braucht keine mathematische Hochbegabung, um zu sehen, dass das unmöglich funktionieren kann. Klühr betont also nimmermüde, dass Zürich in den Flughafen investieren müsse. Doch es ist kein Zürcher Pro­blem, das der Deutsche da anspricht. In Wien wird weiterhin um die dritte Landepiste gestritten, der Berliner Flughafen Brandenburg ist ein Fiasko sondergleichen. Der Spatenstich zu Letzterem erfolgte 2006, offizieller Eröffnungstermin sollte 2011 sein. Mittlerweile spricht die Betreiber­gesellschaft nach zahlreichen Ver­zögerungen von einer Eröffnung 2020, wobei auch hier ein Frage­zeichen vermutet werden darf.

„Das ist ein europäisches Problem. Europa fehlt aktuell der Mut, in Infra­struktur zu investieren, das wird in zehn Jahren ein grosses Problem. Mit Ausnahme des Flughafens in Istanbul läuft Europa Gefahr, der weltweit steigenden Nachfrage nicht mehr gerecht werden zu können und den Anschluss zu verlieren“, so Klühr. In der Türkei wird nämlich sehr wohl investiert. So stampfte das Land in Istanbul in etwas mehr als drei Jahren den bald grössten Flughafen der Welt aus dem Boden, der erste Testflug soll am 15. Mai stattfinden. Anfangs soll der Flughafen 90 Millionen Passagiere, später dann 200 Millionen abfertigen. Doch neben Umweltbedenken – der Bau zerstört Waldgebiete – zahlt die Türkei auch sonst einen hohen Preis für die Vorreiterrolle in der Flugbranche: Die Kosten sind auf geschätzte zehn Milliarden € explodiert, zudem führte der Zeitdruck zur Missachtung von Sicherheitsvorkehrungen, was wiederum im Lauf der Bauarbeiten zu zahlreichen Todesopfern führte.

Nichts, was im westlichen ­Europa geduldet werden könnte – und auch sicher nichts, was Thomas Klühr in Kauf nehmen will. Doch einen Mittelweg zwischen Investitionen im grossen Stil und sicheren (Bau-)Bedingungen scheint es derzeit nicht zu geben. Was passiert, falls keine Investitionen in den Zürcher Flug­hafen erfolgen?

Klühr sieht das pragmatisch: „Werden am Flughafen Zürich die ­heutigen Kapazitätsengpässe nicht überwunden, findet das Wachstum dort statt, wo die entsprechende Infra­struktur und Nachfrage besteht. Die entscheidende Frage ist letztendlich: Wie kann man sicherstellen, dass die Luftfahrt in der Schweiz nachfragegerecht wachsen kann?“ Denn eines ist laut dem CEO klar: Die Nachfrage wird auch in Zukunft steigen. „Fliegen wird billig bleiben, auch wenn durch die derzeitige Markt­bereinigung eine leichte Preissta­bilisierung stattgefunden hat.“

Klühr erwartet aber trotz höherer Passagierzahlen eine Bereinigung des Marktes. „Die Konsolidierung nimmt zu, kleine Anbieter scheiden aus dem Markt. Wir gehen davon aus, dass nicht mehr als fünf grosse Systeme überleben können, ähnlich der Situation in den USA. Wir liegen, was die Konsolidierung betrifft, ja noch hinter den USA. Dort machen die fünf grossen Fluglinien 68 Prozent des Marktes aus, in Europa liegt dieser Wert bei 43 Prozent.“

Neil Glynn von der Credit Suisse stimmt diesem Urteil zu – teilweise zumindest: „Die Konsolidierung der Luftfahrtbranche ist in den letzten zwölf Monaten deutlich ­angestiegen. Zwar ist der europäische Markt fragmentierter als jener in den USA, doch es gibt einige attraktive Übernahmeziele. Wir werden hier in Zukunft noch einiges an Aktivität sehen.“ Zuletzt sorgten Gerüchte einer potenziellen Übernahme der skandinavischen Norwegian durch IAG, die Mutter von British Airways und Iberia, für Aufsehen.

Thomas Klührs Theorie würde dadurch jedenfalls bestätigt, sieht er letztendlich doch die Lufthansa, Ryanair, Easyjet, Airfrance-KLM und IAG als die grossen Fünf überleben. Es scheint also nicht unwahrscheinlich, dass die Lufthansa auch in Zukunft noch so einige Lücken füllen wird können, die Konkurrenten hinterlassen. Welche Rolle die Swiss dabei spielen wird, ist noch unklar – wenn es nach Thomas Klühr geht, wird es jedenfalls eine signifikante sein.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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