STILLE LÜFTE SIND HOCH

Volocopter will schon in drei Jahren Menschen in elektrischen Flugtaxis durch die Stadt befördern. Dabei kann das Start-up aus Baden-Württemberg auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Es ist einer der grossen Träume der Menschheit: das Fliegen. Doch irgendwann einmal in fliegenden ­Autos durch die Lüfte zu schweben war vor mehr als 100 Jahren alles andere als realistisch. 1917 startete der US-Amerikaner Glenn Curtiss mit dem „Curtiss Autoplane“ den ersten Versuch, ein Flugauto herzustellen. Das Fluggerät schaffte es zwar, den festen Boden zu verlassen – wirklich fliegen konnte es jedoch nie. Seit einigen Jahren nimmt dieses Thema wieder zunehmend Fahrt auf. Denn der Markt für „Urban Air Mobility“ wird zunehmend kompetitiver. In diesem Rahmen heften sich viele Unternehmen auf die Fahne, die jeweils Ersten zu sein, die ihre Flugtaxis auf den Markt bringen: Airbus, ­Boeing, die Tech-Unternehmen Ehang (aus ­China) und Uber (USA) bis zu Start-ups wie ­Lilium Aviation (Deutschland) – sie alle arbeiten an Flugtaxi­modellen.

Als Pioniere im Bereich der Lufttaxis positio­niert sich just ein Start-up, das man ob seiner abgelegenen Lage nicht gerade als Vorreiter dieser fortschrittlichen Technologie vermuten würde. ­Volocopter hat seinen Hauptsitz am nördlichen Rand von Bruchsal, einer kleinen Stadt in der Nähe von Karlsruhe. Doch kaum betritt man das ­ovale Unternehmensgebäude, wirkt alles bis ins letzte Detail aufeinander abgestimmt. Sicherheits- und Bauingenieure, Techniker und Softwareentwickler werken akribisch an ihren Arbeitsschritten. Das Herz des Unternehmens, der Volocopter, ist an diesem Mittwochnachmittag hin­gegen nicht an der Unternehmenszentrale in Bruchsal anzutreffen. Als wir das Unternehmen besuchen, werden mit dem aktuellsten Modell, dem Volocopter 2X, gerade Testrunden auf dem nahe gelegenen Flugplatz durchgeführt.

Die innovative Richtung bei der ­Entwicklung des vollelektrischen, senkrecht startenden und ­landenden Flugtaxis gibt Alexander Zosel vor. Der Chief Innovation Advisor von Volocopter kommt richtig in Fahrt, als er sämtliche technischen Daten der Entwicklung bis ins letzte Detail ausführt. „Anfang 2012 haben wir eine radikale Entscheidung ­getroffen: Wir wollen Flugtaxis in grosser Stückzahl für jedermann verfügbar machen, und zwar in der Stadt“, so der Volocopter-Mitgründer. In drei Jahren sollen bereits die ersten Passagiere mit der Flugdrohne auf festgelegten Strecken befördert werden – vorerst noch mit Piloten.

Volocopter, Startup 2

Volocopter
Das Bruchsaler Start-up Volocopter wurde im Jahr 2011 (damals noch unter dem Namen eVolo) gegründet. Seither wurden drei Generationen an elektrisch betriebenen Flugtaxis entwickelt, die senkrecht starten und landen können.

Volocopters Selbstverständnis als Pioniere kommt nicht von ungefähr. Bereits im Oktober 2011 hoben die Bruchsaler ab – und lieferten damit den „Proof of Concept“, dass das System funktioniert. Zosels damaliger Mitgründer Thomas Senkel (er hat das Unternehmen mittlerweile verlassen) schaffte es, mit dem Fluggerät „VC 1“ eineinhalb ­Minuten lang in der Luft zu bleiben. Das Besondere: Auf einem Gymnastikgummiball wurde ein Sitz befestigt, der von einem Gestänge mit Rotoren angetrieben wurde. Es war der weltweit erste bemannte Flug mit einem rein elektrisch angetriebenen Vertical-Take-off-and-Landing-Fluggerät (eVTOL) – also einem, das senkrecht starten und landen kann.

Das bei dem Flug aufgenommene Video wurde auf YouTube 27 Millionen Mal angesehen und ging so um die Welt. Zosel brach damals seinen lange geplanten Urlaub in Nepal ab, um den Medien­ansturm in der Heimat zu bewältigen. 2013 sammelte das Unternehmen dann auf der Crowd­funding-Plattform Seedmatch innerhalb von nur drei Tagen 1,2 Millionen € – damaliger Rekord in Europa. Mittlerweile haben auch der deutsche Autobauer Daimler oder der US-amerikanische Chiphersteller Intel in Volocopter investiert, das ­gesamt ­aufgenommene Risikokapital beläuft sich auf 35 Millionen €. 2016 folgte der nächste grosse Schritt: Der erste ­Prototyp, der Volocopter VC200, bekam im März 2016 von der deutschen Luftfahrtbehörde die (vorläufige) Verkehrszulassung als ­Ultraleichtluftfahrtgerät. Damit ist es möglich, es deutschlandweit als Sportflugzeug zu fliegen – es ist jedoch nicht für die kommerzielle Personen­beförderung zugelassen.

Zosels wuchs in den 1970er-Jahren in Ettlingen auf. Im Basketball war er Gründungsmitglied der Basketball-Bundesligamannschaft BG Karlsruhe, beim Snowboarden fuhr er von 1992 bis 1995 im Weltcup. Ursprünglich studierte ­Zosel Bauingenieurwesen an der Uni ­Karlsruhe. Dort ent­wickelte er ein Computerprogramm, das Material­prüfungen grafisch darstellt. Später wurde er Discobesitzer, wo er etwa eine Nebelverteilungsmaschine patentieren liess. Danach ­landete Zosel wieder beim Sport: Er wurde Fluglehrer für Gleitschirmflieger – trotz ursprünglicher Flugangst. „Mich hat es immer interessiert, Neues zu machen und konzeptionell etwas zu entwickeln. Bei Volocopter gibt es auch noch so viele Dinge zu erfinden – und es kommen jeden Tag neue hinzu.“ Dennoch sieht Zosel sämtliche technologischen Fortschritte immer als Teamleistung. Mittlerweile zählt das Unternehmen mehr als 120 Mitarbeiter.

Volocopter, Startup 3

Sicher, leise, emissionsfrei und leicht zu fliegen – all das soll der Volocopter als Doppelsitzer bieten. Die Zielreichweite des Volocopter 2X beträgt rund 27 Kilometer bei einer optimalen Geschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde. Die maximale Flugzeit liegt bei 27 Minuten. Die maximale Sicherheit wird dadurch gewährleistet, dass das E-Flugtaxi mithilfe von 18 Rotoren und neun Batterien angetrieben wird. Das System besteht aus wechselseitigen Re­dundanzen – fällt ein Flug- oder Steuerelement also aus, funktioniert das andere weiter. Zudem spart Volocopter bei der Mechanik, es existieren keinerlei Teile, die mechanisch verschleissen können. Der ­Volocopter soll ­Zosel zufolge aufgrund des Zusammenspiels der Anzahl der Rotoren, deren niedriger Drehzahlen beim Flug und der kleinen Grössen der Rotoren ­relativ leise sein.

Dass die eigene Entwicklung technisch einwandfrei funktioniert, stellte das Start-up 2017 in Dubai mit einem öffentlichen autonomen Testflug mit dem Volocopter VC200 unter Beweis. In naher Zukunft ­sollen die Flugtaxis auch in Megastädten vollkommen ­autonom unterwegs sein. Wann genau das der Fall sein wird, kann Zosel nicht sagen, denn das ­würde stark von den (erst zu schaffenden) rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen ­abhängen. Die Bruchsaler gingen jedenfalls eine fünfjährige Partnerschaft mit der Verkehrsbehörde des Emirats der Vereinigten Arabischen Emirate ein. Dubai hat zum Ziel, bis 2030 ein Drittel des gesamten öffentlichen Verkehrs vollautonom abzuwickeln.

Zosel träumt indes davon, das eigene ­Unternehmen zu einem global agierenden aufzubauen. In 15 Jahren soll Volocopter mit seinen urbanen Flugtaxis zunächst einmal in 25 Megastädten (mit zehn Millionen Einwohnern oder mehr, Anm.) vertreten sein. Um das zu erreichen, stehen aber noch einige Hürden an – und diese lauten: kommerzielle Zulassung, Serienproduktion und Akzeptanz in der Bevölkerung.

Bisher war das Fliegen mit einem VTOL für den kommerziellen Betrieb in Städten verboten – in Deutschland und auch weltweit. „Vergangene Woche hat die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit, Anm.) die SC-VTOL (Special Condition for VTOL, Anm.) endgültig verabschiedet. Diese beinhaltet eine spezielle Typengenehmigung für ­kleinere VTOL-Flugträger und klärt, wie diese ­ausgestaltet sein müssen. Damit ist es letztendlich möglich, Menschen mit einem Multicopter in einem kommerziellen Betrieb von A nach B zu befördern“, sagt Zosel. Nun bestehe für das Start-up ausreichend Rechtssicherheit, die vierte Generation des Volocopters zu entwickeln. Darauf basierend würde man dann auch die Musterzulassung, also die offizielle Zertifizierung eines Luftfahrzeugmusters zum kommerziellen Flugverkehr im urbanen Raum, von den internationalen Luftfahrtbehörden anstreben. Das ist insofern wichtig, als das Fernziel des Start-ups darin besteht, 10.000 Volocopter pro Jahr zu bauen. Doch erst einmal muss die entsprechende Infrastruktur für Flug­taxis getestet werden.

Volocopter, Startup 4

Denn bezüglich der sogenannten Volo-­Ports legt das Unternehmen jedenfalls schon einmal vor. Bis Ende 2019 wird ein Prototyp für die erste mobile Start- und Landeplattform für Flugtaxis in Singapur installiert. Kostenpunkt: 1,5 Millionen €. Der Volo-Port soll primär für Tests dienen, es werden die Wartung der Geräte, der Tausch der Batterien, das Aufladen der Akkus sowie das Abwickeln der Passagiere demonstriert. Da die Start-und Landeplattform nicht zertifiziert wird, werden dort laut dem Unternehmen erst einmal keine Flüge mit Lufttaxis stattfinden.

Angesichts der Projekte in Singapur und ­Dubai ist davon auszugehen, dass Volocopter ­seine ersten Flugtaxis im asiatischen Raum auf den Weg bringen wird. An Strecken werden sich in erster ­Linie verkehrstechnisch wichtige ­Knotenpunkte anbieten, also etwa von und zu Bahnhöfen, Flug­häfen oder Hotels. Klar ist jedoch – und da sind sich Experten einig –, dass Flugtaxis ­bestehende Verkehrsmittel wie Auto, U-Bahn oder Bus nicht ersetzen, sondern vielmehr als Ergänzung auf gewissen, etwa mit Staus überlasteten Routen dienen werden. Ein Knackpunkt für den Erfolg von Volocopter wird die Akzeptanz in der Bevölkerung sein. An Nutzern kommen in erster Linie Dienstreisende und Pendler infrage – aber auch Touristen. Doch was bedeutet die Vision, fliegen für „jedermann“ möglich zu machen? „Wenn ich in einer Megastadt wohne und in einem Arbeitsverhältnis stehe, soll ich mir das leisten können. Wir können gleich von Beginn an relativ attraktive Preise anbieten (gemeint ist zunächst mit einem Piloten, Anm.). Diese betragen in einer Bandbreite vielleicht 140 Prozent oder das Doppelte einer Taxifahrt“, so Zosel.

Eines scheint angesichts der Marktdynamik jedenfalls sicher: Flugtaxis werden künftig ­einen Teil des urbanen Mobilitätsangebots bilden. Und wer weiss: Vielleicht wird einer der grössten Träume der Menschheit ja tatsächlich bereits in drei Jahren von Bruchsal aus realisiert.

Der Artikel ist in unserer Juli/August-Ausgabe 2019 „Smart Cities“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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