„Solche Momente bleiben für immer“

Im Jahr 2020 wurde FC-Chelsea-Spieler Kai Havertz zum teuersten deutschen Fussballer überhaupt. Mit seinem Tor im Champions-League-Finale 2021 zahlte er bereits einen Teil der Kaufsumme „zurück“; überhaupt hat sich Havertz in London gut eingelebt. Das frühe Ausscheiden der deutschen National­mannschaft bei der WM bezeichnete Havertz als „Enttäuschung“ – dass er es auf die „30 Under 30“-Liste von Forbes schaffte, dagegen als „besondere Auszeichnung“.

Sie wurden im WM-Spiel gegen Costa Rica nach Ihrer Einwechslung „Man of the Match“, trotzdem reichte es nicht. Wie bitter ist es, wenn man selbst eine gute Leistung bringt, als Team aber vorzeitig die Koffer packen muss?
Auch wenn ich mich über jedes Tor, jede Vorlage und über gute Leistungen von mir freue, zählen diese Auszeichnungen in einem Mannschaftssport recht wenig. Lieber als der Award wäre mir das Weiterkommen gewesen. Deswegen war mein Gesichts­ausdruck auf dem Bild voller persön­licher Enttäuschung.

Woran lag das Ausscheiden Deutschlands? Welche Hebel müssen jetzt umgelegt werden, um bei der EM 2024 und der WM 2026 besser abzuschneiden?
Wir haben uns mit der un­nötigen Niederlage gegen Japan direkt zu Beginn in eine schwierige Ausgangssituation gebracht und unseren Fussball über die drei Spiele teils nicht ganz zu Ende gespielt. Das wird auf dem Niveau bestraft. Wir haben herausragende Qualität in der Mannschaft und gehören für mich zu den besten vier Teams der Welt – das haben wir im Kollektiv aber nicht gezeigt. Jetzt haben wir eineinhalb Jahre Zeit, als Team zu wachsen und unsere Qualität konstant auf den Platz zu bringen.

Sie sind vor zwei Jahren nach London zum FC Chelsea ­gewechselt. Wie schwer ist Ihnen die Eingewöhnung gefallen und inwiefern fühlen Sie sich in London bereits angekommen?
Mittlerweile lebe ich seit zwei­einhalb Jahren in London, fühle mich in dieser Weltstadt extrem wohl und geniesse das Leben hier. Die Eingewöhnungsphase war bei mir aufgrund der Pandemie zu der Zeit noch mal erschwert, aber ich hatte riesige Unterstützung von meiner Familie und vom Verein. Die Herausforderungen haben mich als Mensch und auch als Sportler wachsen lassen – mir hat dieser Schritt ins Ausland sehr gut getan.

Sie wurden damals zum teuersten deutschen Fussballprofi aller Zeiten. Wie viel Druck bringt ein solcher Preiszettel mit sich?
Natürlich gehen mit so einer hohen Ablösezahlung und dem medialen Fokus grosse Erwartungshaltungen einher. Das habe ich auch wahr­genommen. Ich habe aber gelernt, mich auf den Fussball zu konzentrieren und den Rest aus­zublenden, so gut es geht.

Wie wichtig war vor diesem Hintergrund und ganz allgemein das Tor im Champions-League-­Finale – wie viel Druck fällt in einem solchen Moment ab?
Solche Momente werden für immer bleiben und werden mir den Rest meiner Karriere und vermutlich meines Lebens viel Kraft geben. Allerdings geht es im Fussball auch extrem schnell weiter und man muss sich neuen Herausforderungen stellen. Wenn man aber einmal so einen Moment erlebt, will man mehr davon; mehr wichtige Tore, mehr Titel. Das sind einfach unbeschreibliche Emotionen.

Mit Chelsea sind Sie aktuell auf Rang acht der Premier League. Was können sich die Fans diese Saison noch von den „Blues“ erwarten?
Der aktuelle Tabellenplatz ist nicht unser Anspruch und spiegelt auch nicht die Qualität unserer Mannschaft wider. Die Premier League ist ohne Frage die Liga in Europa mit dem grössten Wettbewerb – gefühlt kann jeder jeden schlagen. Nach einem Besitzer- und Trainerwechsel braucht es auch immer etwas Zeit, bis alle Mechanismen greifen und die neue Philosophie des Trainers umgesetzt wird. Das ist völlig normal. Ich bin mir sicher, dass wir in der Rückrunde ein anderes Gesicht zeigen werden. Dann ist auch in dieser Saison noch einiges möglich.

Mittlerweile lebe ich seit zweieinhalb Jahren in London, fühle mich in dieser Weltstadt extrem wohl und geniesse das Leben hier.

Kai Havertz

Auf Instagram haben Sie 4,5 Millionen Follower und zählen damit zu den reich­weitenstärksten deutschen Fussballern. Wie wichtig ist diese Plattform für Sie? Wie viel Interaktion passiert dort mit Ihren Fans?
Der Zahlenvergleich ist mir total egal. Für mich ist es wichtig, meine Plattform in der Zukunft vermehrt für wichtige Themen zu nutzen. Ich habe viele Ideen und Gedanken und freue mich natürlich, mit Menschen in Interaktion zu sein; ich denke, dass im kommenden Jahr deutlich werden wird, was ich damit meine. Je mehr Menschen ich dann erreiche, desto besser.

Was bedeutet es für Sie, auf der Forbes-„30 Under 30“-Liste 2022 zu stehen?
Das ist eine ganz besondere Auszeichnung für mich. Es gibt viele inspirierende Menschen, die es bestimmt mindestens genauso verdient hätten, auf der Liste zu stehen. Persönlich macht es mir noch mal meine Rolle in der Gesellschaft bewusst. Ich bin gerne ein Vorbild für junge Menschen und ­stehe für gewisse Werte ein. Niemand ist perfekt – ich definitiv auch nicht. Dennoch können wir die Welt zu einem besseren Ort machen. Das ist mein grosser Wunsch.

Welchen Tipp haben Sie für junge Menschen, die Fuss­baller werden wollen oder andere Träume verfolgen, die andere womöglich für unrealistisch halten?
Für mich hat das Wort „unrealistisch“ über die letzten Jahre etwas an Bedeutung verloren. Vieles von dem, was ich sportlich erreicht habe, war für mich als kleiner Junge unrealistisch – jetzt spiele ich beim FC Chelsea, habe die Champions League gewonnen und darf Deutschland bei internationalen Turnieren vertreten. Vieles, was unrealistisch erscheint, ist realistischer, als man denkt. Hart arbeiten, dabei nie die Freude und den Spass vernachlässigen und an Träumen festhalten, das ist wohl mein Tipp.

Kai Havertz begann seine Karriere in der Jugendmannschaft von Alemannia Mariadorf, bevor er zu Alemannia Aachen und dann Bayer Leverkusen wechselte. Dort entwickelte er sich zum Führungsspieler. 2020 wechselte er für die Rekordsumme von 80 Mio. € zum FC Chelsea. In der deutschen Nationalmannschaft kam Havertz bisher auf 33 Einsätze und zwölf Tore.

Fotos: sbonsi/Shutterstock.com, Havertz

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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