Sie bringt die Uhren an die Frau

Brynn Wallner will Frauen in die Welt der Luxusuhren führen. Durch ihr tiefes Interesse und ihr Fachwissen erreicht sie mit ihrem Watch-Content Tausende Follower. Warum die Branche Frauen bisher vernachlässigt hat und was Wallner von „Watch People“ unterscheidet.

„Das war die verrückteste Situation“, sagt Brynn Wallner über den Tag, an dem sie ihre erste Luxus­uhr kaufte. Sie war gerade 31 geworden,
als sie bereit war, den „Abzug zu drücken“. Hinter ihr lagen mehrere Jahre der Recherche, des Entscheidens und Umentscheidens – und der frustrierenden Suche nach Informationen, mit denen sie, eine junge Millennial-Frau, etwas anfangen konnte. Schliesslich fokussierte sie die Suche auf ihr persönliches Umfeld, fragte Freunde und Bekannte nach deren Uhren. Eine ­Freundin ihrer Mutter war es, die Wallner schliesslich auf ihr Modell brachte: eine „Tank Française“ von Cartier. Als Wallner dann im Cartier-Store auf der Fifth Avenue aufschlug, begleitete die Vogue sie zu ihrem grossen Shoppingtermin.

Es ist ein erster Höhepunkt in Wallners ­Karriere als „Millennial Watch Connaisseuse“, wie die Vogue sie später in dem umfangreichen Feature über ihren Besuch bei Cartier nennt. Seit vielen Jahren dreht sich in Wallners Leben alles um Uhren. 2019 bekam sie einen Job im renommierten Auktionshaus Sotheby’s als ­Redakteurin im Content-Bereich – mit der Aufgabe, jüngere und kulturorientierte Zielgruppen auf die
Sotheby’s-Website zu locken. Schliesslich wurde die Uhrenabteilung von Sotheby’s auf Wallners Arbeit aufmerksam und stattete sie mit zusätz­lichen Aufgaben aus. „Aber ich hatte keine Ahnung von Uhren“, erinnert sich Wallner. „Die einzige Marke, die ich kannte, war Rolex.“ Das Schreiben sollten also andere Autoren erledigen, aber Wallner übernahm nun auch die redaktionelle Arbeit für Content über die Welt der Luxusuhren. Aus Ahnungslosigkeit wurde ein tiefes Interesse für die kulturelle Bedeutung, die Handwerkskunst und den kommerziellen Markt für Luxusuhren.

Wallners Begeisterung für diese Welt ist unübersehbar. In ihrem Dachgeschoss-Apartment auf Manhattans Upper East Side findet man in jeder Blickrichtung ein Manifest ihrer grossen Leidenschaft: Auf Tischen und Regalen stapeln sich Bildbände über Uhren, kunstvolle Wanduhren dekorieren ihr Wohnzimmer, auf einer Staffelei steht eine Malerei mit Uhren-Motiv. Wallner sitzt auf der Couch neben ihrem Chihuahua Honey – an ihrem Handgelenk schimmert eine silberne Rolex. Sie spricht geradezu malerisch über Uhren und ihre Geschichte. „Uhren sind auf so viele coole Arten mit Geschichte verknüpft“, sagt sie. Sie nennt Audemars Piguets „Royal Oak“ und Patek Philippes „Nautilus“ – jene Uhrenmodelle, die in den 1970er-Jahren ein Gegengewicht zur sogenannten Quarz-Krise darstellten. Gemeint ist die Zeit, als batteriebetriebene Uhren die Vormachtstellung mechanischer Modelle auf die Probe stellten. „Diese Marken haben sich dagegen­gestellt und sich der mechanischen Uhrmacherei verschrieben“, so Wallner.

Für Wallner ist die Quarzkrise ein gutes ­Beispiel dafür, wie Uhren dabei helfen, den historischen Kontext ihrer Zeit zu deuten. Klar ist: Sie verfügt über ein expansives Wissen über eine Welt, die traditionell eher eine kleine, spezielle ­Nische bedient – extrem wohlhabende männliche Kunden. Wallner will das ändern: Mit ihrem Instagram-Blog und ihrer Webseite will sie vor allem Frauen mit dem Wissen ausstatten, über das sie so umfangreich verfügt; und so nicht nur mehr Frauen in die Welt der Uhren bringen, sondern auch mehr Uhren zur Frau. Auf ihrer Webseite findet sich auch eine kleine Kollektion käuf­licher Vintagemodelle. Wallner arbeitet zudem auch als persönliche Einkäuferin für prominente Kundinnen. Sie scheint bereit, jede Frau zu befähigen, ihre perfekte Uhr zu finden – doch wer weniger ­bereit scheint, ist die Uhrenindustrie selbst.

Produkte und Kommunikation richten sich weiterhin vor allem an Männer – ebenfalls ein Umstand, der historisch gewachsen ist. Wallner erinnert an die traditionelle Rolle der Frau vergangener Jahrhunderte, die es selten erforderte, dass Frauen wussten, wie viel Uhr es ist. Männer hingegen, die in traditionell männlichen Berufen arbeiteten, hatten Gründe, die Uhrzeit zu kennen; ein Schema, das sich bis heute in ­Uhrenwerbung wiederfindet: Piloten, Geschäftsleute und ­sonstige wohlhabende Klischeemänner ­demonstrieren ihre Uhren nicht nur als Statussymbol ihrer Steuer­klasse, sondern auch als Wichtigkeits-­Attest ­ihrer jeweiligen Berufsgruppe.

Das ändert sich, wenn auch langsam. Ins­besondere Schmuckhäuser wie Cartier haben dabei einen Vorsprung, so Wallner: „Sie verstehen besser, was Frauen wollen.“

Sie verweist auf Cartiers „Baignoire Bangle“, eine kleine goldene Uhr mit einem Band, das an einen Armreif erinnert. Für rund 20.000 US-$ ist die Uhr erhältlich. „Dieses Produkt verkörpert für mich die moderne Frauen-Uhr“, sagt Wallner.

Und das, obwohl – oder eben gerade genau weil – dieses Modell mit einigen Konventionen der Uhrenwelt bricht. Gedacht als Schmuckstück ist es durchaus möglich (und sogar gewollt), dass die Uhr zusammen mit anderem Armschmuck getragen wird. „Das hat mich umgehauen“, erinnert sich Wallner, „denn als ich angefangen habe, mich für Uhren zu interessieren, haben mir all diese ‚Uhren-Menschen‘ gesagt, dass man Uhren nicht mit anderem Schmuck paaren kann.“ Dass sich Wallner offenbar selbst nicht zu den „Watch People“ zählt, mag kurios erscheinen – doch auch ohne die „Watch People“ je kennen­gelernt zu haben, ist es offensichtlich, dass Wallner neuen Wind in eine eher verstaubte Welt zu bringen scheint.

Auf ihrem Instagram-Profil postet sie ­regelmässig über ihre Uhrensichtungen bei den ­Super-Promis, teilt dort auch ihre Meinung zu den Uhren der Charaktere der neuen „The White Lotus“-Staffel. Aber auch Wallners eigene Uhrensammlung bricht mit den Stereotypen der Uhrenwelt.

„Ich kaufe keine Uhren“ mag der über­raschendste Satz gewesen sein, den sie im Interview an diesem Frühlingsnachmittag auf ­ihrer Couch gesagt hat. Nach dem besagten fulminanten Einkauf bei Cartier war Wallners Shoppingliste erst einmal erschöpft, die Rolex an ihrem Handgelenk war Teil der Bezahlung eines Influencerjobs; eine zweite Rolex ist ein Erbstück ihres Vaters. „Ich laufe nicht herum und gebe Tausende von Dollar aus – was ja viele Uhrenmenschen machen. Es ist schon eine komische Welt, wo die Leute ständig diese Objekte für Tausende Dollar kaufen. So bin ich nicht aufgestellt. Selbst wenn ich alles Geld der Welt hätte, weiss ich nicht, ob ich das machen würde“, sagt sie.

Da ist sie wieder, die Abgrenzung ­zwischen Wallner und den „Watch People“. Was sie wohl vor allem unterscheidet, ist neben der Einkommensklasse auch das ehrliche Interesse und die Wertschätzung für Uhren – wenn auch aus der Ferne. „Ich sage ständig, dass man sich für diese Uhren interessieren kann, auch wenn man keine Unmengen an Geld hat“, sagt Wallner. „Du kannst dir ja auch keinen Picasso kaufen und trotzdem die Kunst dahinter wertschätzen. So sehe ich das auch bei Uhren.“

Man kann sich auch ohne Unmengen an Geld für Uhren interessieren. Du kannst dir ja auch keinen Picasso kaufen und trotzdem die Kunst dahinter wertschätzen.

Brynn Wallner

Brynn Wallner gründete 2020 „Dimepiece“, einen Uhren-Blog, der sich an Frauen richtet. Die US-Amerikanerin studierte English Language and Literature an der Colgate University in New York.

Text: Sarah Sendner
Fotos: Sasha Bianca Photography

Forbes Editors

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