SHOPPEN WIE BEI FACEBOOK

Poshmark formt aus Secondhand-Mode und einer guten Idee einen Marktplatz, der 625 Millionen US-$ wert ist. Und kreiert ganz nebenbei eine Plattform für unabhängiges Unternehmertum in der Modebranche.

Manish Chandra ist ­gekleidet, wie man sich einen ­ehemaligen ­Silicon-Valley-Gründer und ­ak­tuellen CEO eines Mode-­App-Unternehmens vorstellt: ­Louis-Vuitton-Gürtel, Designerhemd, Adidas-Sneakers. Die Kleidungsstücke kaufte er allesamt bei Poshmark, der Social-Shopping-App, die er gemeinsam mit Tracy Sun (verantwortlich für neue Märkte) und Chetan Pungaliya (Head of Engineering) gegründet hat. „Mein erster Job war bei Intel, wo ich Datenbanken aufbaute; heute helfe ich Frauen und Männern, Schuhe zu verkaufen“, sagt Chandra. „Nur im Silicon Valley ist ein solcher Weg innerhalb von 30 Jahren möglich.“

Mobiles "Schaufensterbummeln"

Poshmark, der Marktplatz für Mode, startete vor sieben Jahren. Das Unternehmen wollte Frauen eine Möglichkeit bieten, aus überschüssiger Kleidung Geld zu machen – eine Art eBay für gebrauchte Textilien. Doch heute ist das Geschäft darüber hinausgewachsen, auch neue Kleidung wird verkauft – und zwar über einen eigenen Grosshandelsmarkt und Modeunternehmer, die ihre eigenen Kollektionen anbieten. Poshmark hat sich somit eine eigene Nische geschaffen, die sich mehr wie ein mobiles „Schaufensterbummeln“ anfühlt als ­Amazons „Suchen und Kaufen“.

Die Nutzer folgen sich gegenseitig und wissen damit über ihre virtuellen Kleiderschränke bestens Bescheid. Es handelt sich dabei oftmals um eine Mischung aus bereits getragenen Artikeln und Boutiqueware; Stücke, die die Kunden interessant finden, werden geteilt. Poshmark ist also ein soziales Netzwerk mit rund 40 Millionen Nutzern – eine Kombination aus Influencern und Freunden, ähnlich wie auf Instagram oder Pinterest.

Der Unterschied: Was man sieht, steht auch zum Verkauf. Ähnlich wie bei Etsy oder eBay hat die App jede Menge Kleinunternehmer hervorgebracht, die ihr Geschäft rund um Poshmark aufbauen. Dazu gehören professionelle Secondhand-Verkäufer bis hin zu kleinen, privat geführten Modelabels.

Rote Zahlen trotz hoher Nachfrage?

Poshmark bekommt von ­jedem Verkauf 20 Prozent und erreichte damit 2018 einen geschätzten Umsatz von 140 Millionen US-$. Dennoch schreibt das Unternehmen weiterhin keine schwarzen Zahlen, da es sich auf die Expansion Richtung neuer Rubriken (etwa „Menswear“ oder „Make-up“) sowie in neue Märkte (als Nächstes steht ­Kanada auf dem Plan) konzentriert.

Poshmark sammelte 160 Millionen US-$ Risikokapital und steht bei einer aktuellen Bewertung von 625 Millionen US-$. Doch das Unternehmen macht aktuell nur einen Bruchteil des 600 Milliarden US-$ umfassenden Marktes für E-Commerce in den USA aus. Dennoch ist die Nachfrage nach reduzierter Kleidung hoch. Laut der National Retail Federation kaufen im stationären Handel neun von zehn Menschen bei Diskontläden ein – und 75 Prozent suchen bei Kleidung nach Schnäppchen.

Die Zeit muss stimmen

E-Commerce wächst pro Quartal um rund vier Milliarden US-$. Darum ist Chandra auch überzeugt, dass seine Idee, ein Social-
Shopping-Netzwerk aufzubauen, genau zur rechten Zeit kommt. Mit seinem ersten Start-up, Kaboodle, startete Chandra 2005 seinen ersten Versuch, soziales Netzwerk und Shopping zu kombinieren. Damals ging es um „Wohndekoration“ – auf der Webseite konnten Nutzer Links zu Artikeln sammeln, die sie kaufen wollten, und diese anschliessend mit Freunden teilen.

Kaboodle war kein Riesenhit, aber nicht unerfolgreich: Chandra verkaufte es 2017 für 30 Millionen US-$ an den US-Medienkonzern Hearst. Denn Chandras Idee musste, um richtig abzuheben, auf den Durchbruch der sozialen Medien warten. Dann kam Poshmark als Chandras nächste Idee. Sie entsprang seiner Überlegung, dass Menschen vor allem durch andere Menschen für neue Mode begeistert werden können – weniger durch traditionelle Marken.

Foto: Teammitglieder von Poshmark

Chandras Karriere hatte im Bereich der Unternehmenssoftware begonnen. Chandra wuchs in ­Indien auf und verbrachte die ersten 15 Jahre seines Lebens damit, alle zwei bis drei Jahre umzuziehen, denn sein Vater war als Richter tätig. Der Juristensohn bewarb sich am elitären Institute of Technology Kanpur, um Informatik zu studieren – er wurde als Letzter in seiner ­Klasse aufgenommen. Für einen Master schrieb er sich dann an der University of Texas at Austin ein.

Chandras erste Schritte

1989, nach seinem Abschluss, ging Chandra zu Intel, um am Aufbau von Datenbanken zu arbeiten. Er blieb ein Jahr, bevor er für eine Reihe von auf das Management von Datenbanken spezialisierten Start-ups arbeitete. Im Jahr 1995 machte er an der University of Berkeley seinen MBA. Später traf er auf Pungaliya, mit dem er bereits zuvor bei einem Start-up zusammengearbeitet hatte. Chandra erzählte ihm von seiner Idee zu Kaboodle. Die beiden holten einen dritten Mitgründer ins Boot, der sie als Softwareingenieur unterstützen sollte. Sie steckten 10.000 US-$ in das Unternehmen und arbeiteten von Chandras Garage aus – in die ­Chandra zurückkehren sollte, als er Poshmark gründete. ­Während ­Kaboodle einige Zeit brauchte, um in Gang zu kommen, erwies sich Poshmark als leichter bei den Investoren verkaufbar.

„Es war anders, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine gewisse Reputation und auch einen erfolgreichen Exit hinter mich gebracht“, sagte Chandra. Seit 2011 wollte Chandra einen Schwerpunkt auf einzelne (Ver-)Käufer ­legen. Der Markt gab ihm Rückenwind. ­Poshmark wurde mit einer iPhone-App gelauncht; und zwar zu einer Zeit, als das Smartphone begann, Foto­kameras und PCs zu verdrängen. Nach Jahren der wirtschaftlichen Krise waren Menschen nämlich auf der Suche nach Möglichkeiten, um sich etwas Geld dazuzuverdienen.

Poshmark und eine Reihe anderer Start-ups, etwa der Luxus-Reseller „The RealReal“ und der Secondhand-Marktplatz „Thredup“, versuchten, die sich ändernde Stimmung bei den Konsumenten zu ­nutzen.

Die Einzelkunden kontrollieren - wie bei eBay

Während Thredup und The RealReal sowohl Preisgestaltung als auch Verkauf übernahmen, ging Poshmark den Weg von eBay: Die Einzelkunden kontrollieren den Verkauf. „Es handelt sich dabei um völlig andere Kunden“, sagt Thred­up-Gründer und -CEO James ­Reinhart. Thredup funktioniert anders als Poshmark: Bei Letzterem folgen die Nutzer einander, teilen Angebote, die sie interessant finden, damit dies wiederum die eigenen Follower sehen können. Jedes Listing hat eine Kommentarfunktion; somit kann jeder Nutzer Fragen zu Waren stellen, die zum Verkauf stehen.

Foto: Manish Chandra, CEO von Poshmark

Die meisten E-Commerce-­Giganten verlassen sich ­heute auf suchbasierte Einkaufslösungen, Menschen in der echten Welt tun das hingegen nicht – stattdessen ­suchen sie einen Shop im Internet oder fragen Freunde nach schicken Kleidern.

„Amazon und Alibaba sollten nicht die einzigen Spieler sein“, sagt Hans Tung, Managing Partner bei GGV Capital und sowohl in ­Poshmark als auch Alibaba investiert. „Shopping, das auf Neuentdeckungen basiert, ist der beste Weg, um sich von den Grossen zu unterscheiden.“ Poshmark hatte 2012 1.000 User, die viel Zeit mit der App verbrachten – sie öffneten diese mindestens sieben Mal pro Tag für 20 bis 25 Minuten.

Poshmark wuchs schnell

Heute verbringen die Kunden noch immer so viel Zeit auf Poshmark, doch es handelt sich mittlerweile um Millionen von ­Nutzern. Das rasche Wachstum brachte das Unternehmen 2013 fast zur Strecke, nachdem es in einem Jahr um die zehnfache Nutzerzahl gewachsen war: Nachdem die Server vermehrt und verbessert wurden, ist Chandra heute weniger um die technologischen Herausforderungen besorgt, als vielmehr ­darum, genügend Käufer und Verkäufer zu finden, um mit eBay konkurrieren zu können. Unternehmer wie ­Suzanne Canon sind sowohl ein Nebenprodukt von Poshmarks Wachstum als auch dessen Schlüssel zur Zukunft: Die 29-jährige ­Texanerin begann im Dezember 2012, ihre gebrauchten Kleider über die App zu verkaufen. Ihre ­Methode: Kleider im Grosshandel kaufen und diese dann weiterverkaufen. Dann gründete Canon mit ihrer Geschäftspartnerin Tiffany Kroeger ihre eigene ­Modemarke namens „Infinity ­Raine“ und begann, über den Grosshandelsmarkt des Unternehmens an andere Poshmark-Verkäufer zu verkaufen.

Von digital zu real

Vergangenen April, nach ins­gesamt sechs Jahren, wurde Canon die erste Verkäuferin auf Poshmark, die eine Million US-$ Gesamt­umsatz erreichte. Canon und Kroeger eröffnete ihren ersten stationären Store in Texas. „Es ist wirklich wunderbar, dass alles so passiert ist. Denn eigentlich wollten wir beide nur unsere Kleider loswerden“, sagt Canon.

Für die Zukunft

Als Nächstes steht bei ­Poshmark eine stärkere ­Expansion in die Bereiche Herrenmode, Kinder­bekleidung, Übergrössen und Luxusgüter an. Bereits heute ist ­jeder fünfte neue Nutzer männlich. Zudem hat das Unternehmen neue Märkte wie Make-up oder Heimdekorationsartikel ins Auge gefasst. „Für uns ist Poshmark eine Social-Commerce-Plattform, bei der Mode der Anfang war“, sagt ­Chandra, „aber sicherlich nicht das Ende.“

Text: Biz Carson / Forbes US
Fotos: Timothy Archibald / Forbes US

Dieser Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2019 „Growth-Innovation-Forschung“ erschienen.

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