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Die Welt altert – aber nicht automatisch in Würde. L’Oréal will das ändern: Mithilfe von Hightech, KI und Biomarkern rückt der französische Konzern das Thema „Well-Aging“ in den Fokus. Im Zentrum dieser Transformation steht Barbara Lavernos, stellvertretende CEO und selbst ernannte „Tech-Realistin“.
Das innovativste Unternehmen Europas ist 115 Jahre alt – zumindest, wenn es nach dem Fortune Magazine geht, das dem Konsumgüterriesen L’Oréal diesen Titel verliehen hat. Mithilfe neuer Anwendungen im Bereich Beauty-Tech möchte der französische Konzern seinen Kunden näherbringen, was er sich auch geschäftlich von der Sparte verspricht: Langlebigkeit. Eine Frau, die diesen Weg prägt, ist Barbara Lavernos – die studierte Ingenieurin hat ihre gesamte Karriere bei L’Oréal verbracht und ist seit 2021 stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Im Gespräch mit Forbes spricht sie von einer Revolution, die die Welt gerade erlebt: 2015 gab es weltweit noch weniger als eine halbe Million Personen, die ein Alter von hundert Jahren oder mehr erreicht haben, 2050 sollen es 3,7 Millionen sein, schätzen die Vereinten Nationen. „Dank medizinischem Fortschritt leben die Menschen zwar länger, aber nicht unbedingt besser“, so Lavernos. Um das zu ändern, hat L’Oréal die „L’Oréal Longevity Integrative Science“ erarbeitet – ein Ansatz, der basierend auf der Analyse von über 260 Biomarkern die Zellgesundheit der Haut verbessern soll. Dabei spielen nicht nur Daten eine grosse Rolle, sondern auch L’Oréals neuer Kooperationspartner IBM.
Der Verkauf von Haarfarben, Gesichtsseren und Schminkprodukten spülte 2024 rund 43,5 Mrd. € Umsatz in die Kassen des Konzerns. 90.000 Angestellte verzeichnet das Unternehmen, das 37 Marken in über 150 Ländern vertreibt. Geprägt wurde die Firmenstruktur in der jüngeren Geschichte von einer ausgeprägten Akquisitionsstrategie: Kiehl’s, NYX Cosmetics, Urban Decay, Aesop – sie alle sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten in L’Oréal aufgegangen. Lavernos hat in dieser Zeit die Karriereleiter im Unternehmen erklommen – 1991 ist sie nach ihrem Studium des Chemieingenieurwesens zu L’Oréal gestossen, fünf Jahre später übernahm sie die Position Global Procurement Officer. Nach weiteren Zwischenstationen wurde sie 2014 Mitglied des Executive Committee der L’Oréal-Gruppe, 2018 folgte die Ernennung zur Chief Technology and Operations Officer. 2021 wurde Lavernos zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden mit Zuständigkeit für Forschung, Innovation und Technologie ernannt. Damit ist sie für etwa 4.000 Wissenschaftler verantwortlich und steht gleichzeitig dem Technologie-Team von rund 3.000 Personen vor.

Männer und die Boomer-Generation sind die Zielgruppen, auf die wir uns am meisten konzentrieren.
Barbara Lavernos
„Als ich ernannt wurde, habe ich mich gewundert, warum mir der Vorstand und CEO Nicolas Hieronimus diese beiden unterschiedlichen Bereiche anvertrauen“, erzählt Lavernos. Doch schnell habe sie verstanden, was die Bereiche Forschung und Technologie miteinander verbindet, sagt sie. Ein Beispiel aus der Praxis: Der technologische Fortschritt hat es dem französischen Konzern ermöglicht, digitale Zwillinge menschlicher Haartypen zu erstellen. Mit diesem Wissen können Pflegeprodukte besser an sie angepasst werden; „hundertmal schneller als mit herkömmlichen Versuchen“, wie Lavernos sagt. Nach eigenen Angaben gibt der Konzern jährlich mehr als eine Mrd. € für Forschung und Entwicklung aus. „Die ersten hundert Jahre drehte sich Schönheit vor allem um topische Produkte. Das hat sich verändert: Heutzutage gibt es Geräte zur Bestimmung des biologischen Alters, Beauty Supplements und vieles mehr“, so Lavernos. Als grösstes Organ und als Schutzmantel für das Hirn, Herz und andere Organe spielt die Haut dabei eine entscheidende Rolle. „Wir bewegen uns von der reaktiven Pflege, also der Behandlung von Symptomen und Krankheiten, zur präventiven Pflege“, sagt die L’Oréal-Vizechefin. Retinol gilt aktuell als der Wirkstoff schlechthin, um die Hautalterung zu verlangsamen – „aber eine von zehn Personen reagiert nicht auf Retinol“, so Lavernos. Wirklich anschaulich sei das für sie erst durch „Cell Bio Print“ geworden, das unternehmenseigene Diagnosetool. Die Besonderheiten der individuellen Hautbeschaffenheit und des Mikrobioms zu bestimmen soll es möglich machen, die ideale Pflegeroutine zu ermitteln. Dabei schielt der Konzern auch auf neue Zielgruppen: Zum einen sind das Konsumentinnen in ihren 60ern, die infolge der Menopause hormonelle Veränderungen erleben; Haut und Haare verändern sich. Das gilt übrigens auch für Gleichaltrige der zweiten Zielgruppe, die das Unternehmen stärker erschliessen will: Männer. „Sie sind für ein Viertel des Konsums von Schönheitsprodukten verantwortlich, aber nur 10 % der Produkte richten sich spezifisch an Männer“, so Lavernos. „Männer und die Boomer-Generation sind die Konsumentengruppen, auf die wir uns am meisten konzentrieren“, sagt sie. Aus einem Unternehmen, das vorrangig Produkte verkauft hat, wird nun auch ein Dienstleistungsunternehmen.
Um das zu stemmen, braucht es vor allem eines – Daten. Diesen Januar wurde bekannt: IBM und L’Oréal arbeiten an einem KI-Modell, um die Entwicklung nachhaltiger Kosmetik zu fördern. In den 90er-Jahren besiegte IBMs Supercomputer „Deep Blue“ den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow; das Unternehmen verfügt über eine starke Position im Geschäft mit künstlicher Intelligenz. Die Expertise von aussen soll L’Oréal dazu befähigen, Daten für seine Produktformeln noch besser auszuwerten. „Dank eines exklusiven KI-Vorhersagemodells können unsere Forscher neue Produkte und Formeln entwickeln, und das auf wesentlich schnellere Weise“, so Lavernos. 17.000 Terabyte Daten lagern im digitalen Archiv des Konzerns. Das macht sich auch in der Unternehmensführung bezahlt: Bei rund 90.000 Mitarbeitern stellt sich die Frage, wie Führungskräfte verhindern, dass in Silos gearbeitet wird. „Das ist definitiv eine der grössten Herausforderungen, alleine schon, weil wir geografisch weit verteilt sind“, sagt Lavernos. Genau da mache sich der Einsatz von Technologie bezahlt: „Daten haben keinen geografischen Fussabdruck. Sie fliessen durch das gesamte Unternehmen und verbinden Menschen aus verschiedenen Bereichen miteinander“, so die stellvertretende CEO. Im Gespräch mit Forbes nennt sich Lavernos „Tech-Realistin“: Menschliche Vorstellungskraft und Intuition werde die KI nie widerspiegeln – „und deshalb auch nicht Arbeitsplätze ersetzen“, sagt sie. Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende sieht eine grössere Gefahr in der möglichen Spaltung unserer Gesellschaft. „Es liegt in der Verantwortung von uns allen, dem entgegenzuwirken – erst recht, wenn man in einer Führungsposition wie meiner ist“, so Lavernos.
Fotos: L’Oréal