Ruhe bewahren

Der deutsche Hotellerie-Markt verschiebt sich seit Jahren. Mitverantwortlich dafür: der rasche Aufstieg des Budget Hotels, Motel One, von Gründer Dieter Müller. Die Konkurrenz schielt bereits auf das Erfolgsmodell.

Kaum betritt man das Hotel an der Südspitze von München, weiss man, was einen erwartet. Seit Jahren hat sich Motel One im deutschsprachigen Raum einen Ruf als preiswertes Budget Hotel mit eingängigem Design erarbeitet. Der typische Türkis-Look spiegelt sich in der Sitzgarnitur im Rezeptionsbereich wider, wo gerade drei Mitarbeiter Hotelgäste einchecken. Schräg gegenüber befindet sich das Restaurant mitsamt Holztischen und tiefhängenden braunen Leuchtkörpern. Die türkise Farbe findet sich auch in den kleinen Getränkekarten in der Lounge wieder; hier nimmt Dieter Müller gänzlich unaufgeregt auf einem braunen Couchsessel Platz.

Dieter Müller
… absolvierte eine Lehre zum Gross- und Aussenhandelskaufmann bei einem BMW-Händler in Saarbrücken. 1975 wechselte er in die Hotellerie und arbeitete bei der französischen Accor-Gruppe. 1987 verlässt er das Unternehmen und gründet seine eigene Hotelkette Astron. Nach deren Verkauf 2001 an die NH Hotel Group gründete er abermals sein eigenes Hotel, Motel One.

Der Hotelgründer ist das Gesicht hinter Motel One, das er seit 2000 (Ersteröffnung in Offenbach, Anm.) aufgrund mehrerer geschickter Schachzüge zum Erfolg führte. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Waren es 2008 noch 21 Hotels und rund 3.100 Zimmer, sind es heute, Stand März 2018, 63 Hotels mit rund 17.700 Zimmern. Der Umsatz wuchs im selben Zeitraum von 42,5 Millionen € auf über 400 Millionen € an.

Dieter Müller setzte von Beginn an auf eine feste Preispolitik. So kostet ein Hotelzimmer je nach Standort immer denselben Preis, Ermässigungen gibt es keine. Im Motel One München-City-Süd kostet ein Einzelzimmer 69 € pro Nacht, in Zürich, dem teuersten Standort, sind es 169 CHF.

Auch in den Hotelzimmern selbst ist nichts überdimensioniert. Es gibt keinen Schrank, kein Zimmerservice, Telefon oder Minibar – erst kürzlich kamen ein Schminkspiegel sowie ein Safe hinzu. Unter anderem deswegen kann es sich Motel One auch leisten, jedes Haus in bestimmten Intervallen zu renovieren. Denn die Ansprüche an die Marke sind hoch – diese baute insbesondere Müllers Ehefrau und Leiterin von Marketing & Design, Ursula Schelle-Müller, auf.

Abseits der eigenen vier Räumlichkeiten will Motel One weiter wachsen, erst kürzlich wurden Standorte in Barcelona und Paris eröffnet – Glasgow sowie ein weiteres Hotel in Frankfurt und München stehen in der Pipeline. Wenig verwunderlich schielt auch bereits die Konkurrenz auf das Erfolgsmodell der Hotelkette. Chef Dieter Müller muss also reagieren …

Der Durchbruch von Motel One erfolgte 2004, als man die Strategie änderte, sich bei Neueröffnungen auf zentrale Lagen in Grossstädten zu konzentrieren. Wie kam es dazu?
Andere Unternehmen haben für ihre Produkte ein Labor, wo sie diese entwickeln. Wir haben unsere Strategie nach und nach entwickelt. 2006 haben wir das richtige Konzept gefunden, als wir vermehrt innerstädtische Lagen gesucht und ein grosszügiges Lounge-Konzept durchgeführt haben. Das war der Schlüssel für unser Geschäftsmodell. Andere Konzepte funktionieren auch am Stadtrand. Unser Geschäftsmodell, welches sich auf die innerstädtische Lage konzentriert, ist in dieser Form sehr robust aufgestellt – auch in Krisenzeiten.

Inwiefern?
Die Krisen der Vergangenheit haben immer gezeigt, dass die Übernachtungsnachfrage kleiner wird und Hotelgäste von Randbezirken in die Innenstädte ziehen. Die Hotels am Stadtrand leiden am meisten darunter, wenn ein attraktives Angebot in der Innenstadt vorhanden ist.

Was sind die konkreten Parameter bei einer Neueröffnung?
Das erste grosse Entscheidungskriterium ist, dass der Markt interessant ist – sowohl vom Volumen her als auch für die Marke. Dieser sollte ein Volumen von mindestens einer Million Übernachtungen haben. In Deutschland und Österreich sind auch kleinere Märkte relevant. Aber im restlichen Europa wollen wir eigentlich nur in die grösseren Städte. Danach schaut man sich die Mikrolage an.

Was heisst das genau?
Es geht um Standorte, von denen man zu Fuss aus möglichst alle Attraktionen, die eine Stadt interessant machen, erreichen kann. Natürlich gibt es auch strategische Lagen wie Bahnhöfe oder Messen. Bahnhöfe sind seit Jahrhunderten interessante Hotelstandorte.

In der Süddeutschen Zeitung sagten Sie 2012 in einem Interview, dass die Motel-One-Kette bis 2016 120 Hotels mit 26.000 Zimmern haben soll. Derzeit sind es 63 Hotels und rund 17.688 Zimmer (Stand: 31. 3. 2018, Anm.). Was ist hierbei schiefgelaufen?
Es ist nichts schiefgelaufen. Wir haben Stand März 2018 insgesamt 92 Hotels mit 26.886 Zimmern vertraglich gesichert. In der Tat hat sich jedoch das Umfeld in der Hotelbranche seit 2012 stark verändert. Die Immobilienpreise sind enorm angestiegen, die Konkurrenz um die Standorte ist gross. Das verlangsamt das Wachstum. Da wir sehr strikt vorgehen und nur nachhaltig erwirtschaftbare Mieten zahlen sowie Investitionen tätigen, kann es sein, dass wir zu dem einen oder anderen Standort auch Nein gesagt haben. Wir gehen vorsichtig an diese Dinge heran und gehen keine grossen Risiken ein. Es muss sich jedes Projekt rechnen – und zwar anhand der Basisdaten, die tatsächlich vorhanden sind. Und nicht anhand jener, die man sich in Zukunft erträumt. Quantitative Ziele sind für uns nicht entscheidend, sondern nur die Qualität der Standorte und deren nachhaltige Wirtschaftlichkeit.

Was ist eine gute Rechnung für Sie?
Unser Break-Even-Point der vollen Finanz-Kostendeckung sollte bei einer Auslastung von 50 Prozent liegen. Das Betriebsergebnis sollte mindestens das 1,8-Fache der Miete betragen. Das sind Parameter, die wir sehr strikt einhalten. Wenn Sie so vorgehen, haben Sie sehr viel Spass in der Hotellerie. Wenn Sie das nicht machen, wachsen Sie vielleicht schnell – aber haben in einer Krise grosse Sorgen.

Die USA ist bereits länger bei Motel One im Gespräch. Wann klappt es endlich mit dem Gang nach Übersee?
Wir wollen nach New York – das ist unser grosses Ziel. Aber hier ist es das gleiche Thema: Die USA ist ein heisser Immobilienmarkt und es gibt sehr viele Player in der Hotelbranche. Wir hatten bisher noch kein Projekt, das unsere Parameter erfüllt. Aber das heisst nicht, dass wir uns keine neuen Möglichkeiten ansehen.

Kommen wir zum deutschen Hotelmarkt. Die Zahl der Hotels in Deutschland ist vergangenes Jahr gesunken, gleichzeitig stehen mehr Zimmer zur Verfügung. Der Hauptgeschäftsführer des Hotelverbands Deutschland (IHA), Markus Luthe, meinte in dem Zusammenhang: „Die Unternehmens- und Markenkonzentration in der Hotellerie nimmt weiter zu.“ Wie bewerten Sie das?
In allen europäischen Märkten gibt es einen Trend hin zur „Markenhotellerie“ und grösseren Einheiten. Diese verdrängt jene Art von Hotellerie, die nicht mehr zeitgemäss ist oder die es versäumt haben zu investieren. Die Anzahl der Zimmer ist deshalb gestiegen, da die neuen Kettenhotels relativ gross sind. Das können wir in ganz Europa beobachten. England und Frankreich sind in dieser Hinsicht aber noch viel weiter fortgeschritten als Deutschland.

Nach Deutschland und Österreich hat Motel One die meisten Hotels in Grossbritannien. Drohen Motel One Einbussen durch den Brexit?
Wir sehen den Brexit als grosse Chance, nämlich in der Hinsicht, immer etwas antizyklisch zu investieren. London war die vergangenen Jahre als Immobilienmarkt enorm schwierig – denn es war eine Art Fluchtpunkt für alle möglichen Gelder. Aufgrund des herannahenden Brexits erlebt der Büromarkt einen kleinen Break, keiner will in neue Büros investieren. Das ist unsere Chance, Hotels zu bauen. Zwei neue Standorte in London stehen bereits vor dem Abschluss. Ich denke, London wird immer einen gewissen Standortvorteil haben – und hat auch eine überdurchschnittlich gute Zimmerauslastung mit 80 Prozent. Auch wenn wir damit rechnen, dass aufgrund des Brexits das operative Geschäft etwas leiden wird – langfristig ist Grossbritannien und insbesondere London ein interessanter Markt für uns.

Die Konkurrenz schläft nicht. Best Western will etwa mit der Marke Vib zwei Hotels in Deutschland aufbauen und damit Ihr Geschäftsmodell kopieren. Sie haben darauf mit der Agenda New Challenge geantwortet – was sagt diese aus?
Es sind ja sehr viele neue Hotelkonzepte auf den Markt gekommen. Darunter waren auch viele, die sich an uns orientiert haben. Marriott etwa hat sich mit der Select Lifestyle-Marke Moxy Hotels sehr lange angesehen, was wir tun und ist dann in dieses Segment vorgestossen. Marriott ist natürlich ein sehr grosser Player (2016 war Marriott International mit 17,07 Milliarden US-$ an Umsätzen die umsatzstärkste Hotelgruppe der Welt, Anm.). Wenn diese Hotelgruppe ein derartiges Konzept startet, können wir davon ausgehen, dass sie sehr rasch Marktführer in dieser Sparte wird. Für mich ist immer eines entscheidend: Gute Standorte kann uns keiner nehmen. Durch gute Standorte werden wir im Wettbewerb immer bestehen. Wir haben auf Booking.com eine Durchschnittsbewertung von mehr als 9 von 10 möglichen Punkten, was unsere Lagen betrifft. Das gibt uns ein enormes Selbstbewusstsein auch gegenüber neuen Wettbewerbern.

Zur Agenda New Challenge: Vor einigen Jahren waren wir mit unserem Konzept mehr oder weniger alleine auf dem Markt. Jetzt kommen wie gesagt neue Player dazu – und da heisst es, noch besser zu werden. Seit der Agenda New Challenge ist enorm viel passiert: Wir haben das Profil unserer Marke weiter geschärft, das Design-Konzept ausgebaut und die Serviceleistungen nochmals steigern können.

Was warten in Zukunft für Herausforderungen auf Motel One, Stichwort: Digitalisierung?
Die Digitalisierung findet bei uns nicht am Produkt statt. Unsere Gäste wollen im Hotel immer noch hauptsächlich schlafen – und das offline und nicht online (lächelt). Sie findet vielmehr bei den Prozessen dahinter statt und vor allem in den Buchungskanälen. In der Hotellerie geht es immer darum: Wer beherrscht die Buchungskanäle, fremde Anbieter wie etwa Online-Reisebüros? Wir haben vergangenen Dezember unser beOne-Membership-Programm (ein Programm, mit dem Gäste noch stärker an die Marke gebunden werden, Anm.) gelauncht. Innerhalb von sechs Monaten konnten wir 180.000 Mitglieder gewinnen, die bereits zehn Prozent unseres Umsatzes generieren. Dadurch ist es uns auch gelungen, dass die Buchungen auf unseren eigenen Kanälen stärker wachsen als bei den Online Travel Agencies (OTAs).

Dieser Artikel ist in unserer August-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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