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Der „Klub der Millionäre“ arbeitet sich gerade zurück an die Spitze des argentinischen Fussballs.
Eine Handvoll Fans winkt von der Tribüne aus in Richtung des grünen Rasens. Rodolfo D’Onofrio hört auf, für die Kamera zu posieren und erwidert die Grüsse mit demselben entspannten Lächeln, mit dem er kurz zuvor in die Linse geblickt hat. Die Jugendlichen reagieren auf sein Winken mit schallenden „D’Onofrio“-Rufen. Inmitten des leerstehenden „El Monumental“ verhallen die Schreie jedoch rasch. Normalerweise spielen sich im Stadion von River Plate – mit 61.000 Sitzplätzen dem grössten Argentiniens – an Matchtagen ganz andere Szenen ab als an diesem ruhigen Mittwochnachmittag. Normalerweise füllen tobende Fans die Ränge, die ihr Team lautstark zum Sieg peitschen, Leuchtkörper zünden und die steinernen Tribünen vibrieren lassen. D’Onofrio: „Die Menschen in Argentinien kennen an erster Stelle den Präsidenten des Landes (Mauricio Macri, Anm.) – und dann die Präsidenten von River Plate und den Boca Juniors. Man ist so etwas wie ein Rockstar, in Restaurants machen die Leute Selfies mit mir. Ich habe quasi kein Privatleben mehr, aber versuche immer, die Fans glücklich zu machen“, sagt der seit 2013 amtierende Fussballfunktionär.
Vor einigen Jahren sah die Situation jedoch noch ganz anders aus. Für D’Onofrios Vorgänger gab es wohl kaum Applaus oder Selfiewünsche. Denn River Plate hatte sowohl sportlich als auch finanziell lange Zeit schwer zu kämpfen. „Wir haben eine dunkle Ära hinter uns“, sagt D’Onofrio. Mittlerweile haben wir das Fussballfeld verlassen und sitzen in seinem Büro, zu dem langgezogene Gänge führen. Die Wände zieren verschiedenste Trikot-Variationen – allen voran das traditionelle Weiss-Rot. Auf einem Bild ist etwa die legendäre Meistermannschaft aus der Saison 1985/86 zu sehen – inklusive Stürmer-Legende Enzo Francescoli, der heute als sportlicher Leiter beim Klub arbeitet. D’Onofrio setzt sich auf seinen „elektrischen Stuhl“ – wie er ihn scherzhaft nennt –, der seinen Namen aber nach wie vor verdient hat. Als er 2013 mit 55,8 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, lag der Klub finanziell am Boden, der Schuldenberg betrug rund 110 Millionen argentinische Peso. D’Onofrio setzte den Sparstift an, um River Plate auf gesunde Beine zu stellen. „Wir mussten damals jeden Tag fünf Millionen argentinische Peso als Scheck bezahlen.“ Die erste Massnahme war also, einen 100-Tages-Finanzplan zu erstellen, der darüber hinaus die Schaffung eines privaten Fideikommiss (ein durch Stiftungsakt geschaffenes unveräusserliches und unteilbares Vermögen, Anm.) in Form einer Garantie mit einer Mindesteinlage von 100.000 argentinischen Peso und einer Laufzeit von drei Jahren inkludierte. Eine weitere wichtige Entscheidung war, den Klub zu professionalisieren. „Es gab damals weder einen CEO noch einen CFO. Der Präsident war der General Manager und für alles zuständig, obwohl er einen anderen Job haben musste, um überhaupt ein Gehalt zu bekommen“, sagt D’Onofrio. Diese Stellen wurden durch Headhunter besetzt, die Kandidaten stammten aus der Privatwirtschaft. Zudem wurden Mitarbeiter in den Bereichen Marketing, Human Resources und in der Technik eingestellt. „Keine Freunde. Nur die Besten“, macht der aus Ramos Mejía stammende Mann den Wandel deutlich. Auch D'Onofrio stammt aus der Privatwirtschaft.
Das Match gegen Boca Juniors ist wie ein Krieg.
Der Argentinier studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Buenos Aires, war dann unter anderem Präsident und Direktor verschiedener Versicherungsunternehmen, etwa La Caja Art oder Conprefin (Zweiteres bis heute, neben seiner Tätigkeit als River-Plate-Präsident, Anm.). „Als ich den Job bei River Plate annahm, dachten meine Freunde, ich sei verrückt geworden. Argentinischer Fussball wird nach wie vor sehr oft mit Korruption verbunden – ebenso wie in letzter Zeit die FIFA. Ich sagte ihnen aber, dass man auch transparent arbeiten kann.“
Gesagt, getan: Heute ist der Klub schuldenfrei. Das lag an mehreren Schachzügen, die das Gesicht von River Plate auch in der Öffentlichkeit wandelten. So führte der Klub Ticketpreise für die obersten Zuschauerränge im Stadion ein. Im oberen Block „Belgrano Alto“ belaufen sich die Eintrittspreise heute auf 888 argentinische Peso (35,6 US-$). Geld lukrierte River Plate davor vorrangig durch Mitglieder, die Tickets (für die restlichen Plätze) kauften. Denn der Klub ist – im Gegensatz zum Rivalen Boca Juniors – als „Sociedad“ (Soziale Organisation, Anm.) aufgebaut. Fans können sich nicht direkt eine Eintrittskarte für Meisterschaftsspiele oder Cupmatches kaufen, vielmehr müssen sich Interessierte zuerst als „socios“ bewerben – werden sie genommen, erhalten sie beim Verkauf von Tickets eine höhere Priorität. Nach Angaben auf der Vereinshomepage hat River Plate mehr als 90.000 Mitglieder.
Dazu wurde ein breit angelegtes Marketing mitsamt Sponsoren (heute zählen etwa Adidas, Huawei und BBVA dazu) betrieben, um das verkorkste Image abzulegen. Doch auch „intern“ –gegenüber den Mitgliedern – arbeitete der Klub an seiner Reputation. „Selbst, wenn wir viele Meisterschaften gewonnen haben: Die Menschen sind besonders dankbar, dass wir die finanzielle Situation verbessert und Transparenz eingeführt haben“, sagt D’Onofrio, der 2017 mit 74,7 Prozent für vier weitere Jahre zum Präsidenten des Klubs gewählt wurde – ein Rekordwert.
Rodolfo D'onofrio
...kommt ursprünglich aus der Versicherungsbranche. So war der aus Ramos Mejía stammende Mann Präsident und Direktor von La Caja Art, bis heute ist er Direktor von Conprefin. 2013 wurde er mit 55,8 Prozent der Stimmen zum River-Plate-Präsidenten gewählt, vier Jahre später erfolgte seine Wiederwahl mit 74,7 Prozent.
Sportlich gesehen machen die erfolgsverwöhnten Fans trotz aller Finanzkraft eine Durststrecke durch. Die argentinische Meisterschaft gewann River Plate zuletzt 2014. Überhaupt gab es in den vergangenen Jahren sportliche Höhen und Tiefen. Den Tiefpunkt bildete der Abstieg in die Primera B Nacional (zweithöchste Spielklasse, Anm.) 2011. Für den stolzen Verein, der 1938 aus Recoleta (Stadtteil in Buenos Aires, Anm.) ins El Monumental in Belgrano zog, bedeutete das die grösstmögliche Schmach. Tränen und Wut wechselten sich unter den River-Fans ab, es kam zu heftigen Ausschreitungen mit 70 Verletzten. Doch es gelang der direkte Wiederaufstieg – und gleichzeitig startete das Team eine Siegesserie. Neben der Meisterschaft gewann River Plate 2014 die Copa Sudamericana sowie 2015 die Copa Libertadores (Pendants zu den UEFA-Bewerben Europa League und Champions League, Anm.) – die beiden letzteren Titel unter Trainer Marcelo Gallardo, Ex-Spieler, Klubikone und D’Onofrio-Vertrauter. Jetzt will River Plate aber wieder voll angreifen – und greift nach Jahren des Sparens tief in den Geldbeutel. In den vergangenen zwei Jahren gab das Management 38 Millionen US-$ für acht neue Spieler aus; über die gesamten zehn Jahren davor betrugen die Transfers mit 38,5 Millionen US-$ fast genauso viel. Für Stürmer Lucas Pratto legte River Plate Anfang dieses Jahres stolze 13,2 Millionen US-$ auf den Tisch – argentinischer Rekord. Damit macht der Verein seinem Spitznamen „Los Millonarios“ (wieder) alle Ehre. Denn bereits früher war River Plate für solche Transfers bekannt: In den 1920er-Jahren bezahlte der Klub für zwei Spieler insgesamt 45.000 US-$ – für damalige Verhältnisse eine unfassbare Summe. „Wir brauchen ein gutes, wettbewerbsfähiges Team“, sagt D’Onofrio. River Plate betreibt Nachwuchszentren, die dortigen Spieler sind teilweise aber noch zu jung, um langfristig ganz oben mitzuspielen. „Deshalb brauchen wir einen Mix aus jungen und erfahrenen Spielern.“
Im Vergleich mit den Transfersummen, die im europäischen Fussball bezahlt werden, verblasst die Einkaufstour dennoch. Sinnbildlich dafür steht der Rekordtransfer des brasilianischen Stürmers Neymar, der im Sommer 2017 für 263 Millionen US-$ vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain wechselte. „Europa ist, was die Gehälter der Spieler betrifft, stärker als wir. Wir können uns keinen Lionel Messi leisten. Selbst, wenn wir ihn hätten, würden ihn uns Real Madrid, PSG oder Barcelona abkaufen.“ So musste River Plate bereits in der Vergangenheit zahlreiche Spieler nach Europa ziehen lassen. Darunter waren etwa: Javier Saviola (zum FC Barcelona, Anm.), Hernán Crespo (Parma Calcio, Anm.) oder Pablo Aimar (FC Valencia, Anm.). „Nun haben wir es anders gemacht: Wir haben erstmals Spieler importiert. Pratto kam vom FC São Paolo, Tormann Franco Armani aus Kolumbien (von Atlético Nacional, Anm.)“, so D’Onofrio.
Damit River bald wieder die Meisterschaft einheimsen kann, muss die Mannschaft an einem Verein vorbei, der dieses Jahr die argentinische Primera Division gewonnen hat: den Boca Juniors. Nichts ist im argentinischen Sportkosmos nervenaufreibender und emotionsgeladener als das „Superclásico“. Nach wie vor ist die historisch geprägte Rivalität zwischen den beiden argentinischen Topteams ungebrochen. „Das Match ist wie ein Krieg“, sagt D’Onofrio. Ursprünglich stammen die beiden grössten Klubs Argentiniens aus derselben Gegend rund um La Boca, wo sie 1901 (River Plate) und 1905 (Boca Juniors) gegründet wurden. Beide Vereine verfolgten aber von Beginn an unterschiedliche Pläne: Die Boca Juniors blieben bis heute in der Region, wo sich noch immer der Hexenkessel namens „La Bombonera“ befindet – River Plate zog eben nach Recoleta. Bis heute gelten die Boca Juniors als Klub der sozial ärmeren Schichten, River ist eher als Team für gehobenere Klassen bekannt. „Boca Juniors betreibt keine Schule oder Universität und verfolgt nicht so viele soziale Aktivitäten wie wir. Das ist nicht besser oder schlechter – einfach anders“, sagt D’Onofrio. Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und verschränkt die Arme und revidiert seine Aussage dann schmunzelnd: „Natürlich sind wir aber die Besten.“
Für Aufsehen sorgte River Plate auch mit einer Ankündigung im Februar dieses Jahres, ein öffentliches Fideikommiss aufsetzen zu wollen – der ersten derartigen Konstruktion im argentinischen Fussball. Die Mitgliederversammlung („Asamblea de Representantes de Socios“) nahmen den Vorschlag mit 105 zu 29 Stimmen an. Insgesamt sollen damit 20 Millionen US-$ eingesammelt werden, bei einer Laufzeit von dreieinhalb Jahren und einem jährlichen Zinssatz von neun Prozent. „Wir machen das Ganze in US-Dollar, weil auch unsere Einkommen in dieser Währung ausgezahlt werden. Wäre es in argentinischen Peso, würden wir das Risiko eingehen, dass die Inflation oder der Zinssatz höher ausfällt als der Wert der Spieler, die wir ins Ausland verkaufen. Ausserdem ist unser Vertrag mit Adidas als Garantie für das Fideikommiss ausgestaltet, sodass kein Risiko besteht“, sagt D’Onofrio.
Finanziell scheint River also für die kommenden Jahre ein zum Klub passendes Modell gefunden zu haben. Sportlich muss dieser Beweis aber noch erbracht werden: Der Rivale und spätere Meister Boca Juniors stand zu Ende der Saison bereits ganze 500 Tage ohne Unterbrechung an der Tabellenspitze (Stichtag: 10. 5. 2018), River Plate beendete die Spielzeit lediglich auf Rang acht. Doch vielleicht haben „Los Millonarios“ ja bald auch wieder ein sportliches Ass im Ärmel.
Text: Niklas Hintermayer und Delfina Krüsemann (Forbes Argentinien)
Dieser Artikel ist in unserer Juli-Ausgabe 2018 „Wettbewerb“ erschienen.