Rebooting Blockchain

Wie sieht die Kryptoszene nach dem Hype aus? Wir haben bei „CryptoRobby“ Robert Schwertner nachgefragt.

Dramatisch. Anders lässt sich der Absturz des Bitcoin-Kurses nicht beschreiben. Scheinbar ungebremst rasselte die Kryptowährung nach unten: von fast 20.000 US-$ Mitte Dezember auf unter 13.000 US-$ gegen Jahresende. Einen Monat später konnte selbst die Marke von 10.000 US-$ nicht mehr gehalten werden. In den folgenden Tagen fiel der Kurs daraufhin zuerst unter 9.000 US-$, dann unter 8.000 US-$ und schliesslich auch noch unter 7.000 US-$. Erst dann endete die Talfahrt – bei etwas über 6.900 US-$; ein Verlust von über 60 Prozent. Nicht wenige Hobby­spekulanten dürften am falschen Fuss erwischt worden sein.

Robert Schwertner empfand hingegen ein Gefühl der Erleichterung. „Das war ein reinigendes Gewitter. Es wurden dadurch einige dumme Projekte vom Markt geschwemmt, die nur abcashen wollten“, sagt der besser unter seinem Alter Ego „CryptoRobby“ bekannte Blockchain-Experte beim Interview im Café des Start-up-­Zentrums Wexelerate in Wien. Den starken Kursanstieg Ende des vergangenen Jahres habe er mit Sorge beobachtet. „Es war ja klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte“, schildert er. Der Markt sei überhitzt gewesen. In einer längerfristigen Perspektive relativiere sich ausserdem der starke Kursrückgang ­etwas: Selbst am tiefsten Punkt Anfang ­Februar war ein Bitcoin noch immer rund siebenmal so viel wert als ein Jahr zuvor.

Doch was bedeutet die Talfahrt von Bitcoin und Co. für die Entwicklung von Kryptowährungen? Und was für die zugrunde liegende Blockchain-Technologie, die von manchen schon als die grösste Innovation seit dem Internet gefeiert wurde? Ist die Blase geplatzt? So richtig begonnen hatte der Hype um ­Kryptowährungen, als der Bitcoin-Preis Anfang 2017 begann, sich stetig nach oben zu bewegen. Die breite Masse wurde aufmerksam, im Herbst beschleunigte sich die Aufwärtsbewegung und gegen Jahresende schoss der Kurs fast senkrecht nach oben. Andere Krypto­währungen bewegten sich ähnlich. Bereits zuvor war „Blockchain“ zum Buzzword geworden. Der Begriff für die den meisten ­Kryptowährungen zugrunde liegende Technologie steht für eine Datenbank, die keine ­zentrale Instanz mehr benötigt, um Transaktionen zu bestätigen. So könnten Mittelsmänner in allen möglichen Bereichen überflüssig ­werden, hoffen Befürworter. Geld könnte etwa direkt von einer Person zu einer ­anderen überwiesen werden – ohne eine Bank dazwischen, die damit heute gut verdient. Auch in zahlreichen anderen Bereichen, etwa dem Immobiliensektor, könnten Geschäfte über Blockchains abgewickelt werden.

Schwertner selbst kam 2014 ­erstmals mit der Technologie in Berüh­rung – über seinen Job in der For­schungsförderung. Er beschäftigte sich dort mit dem Bereich Energie. Als das erste Projekt zu einer Blockchain-Anwendung im ­Energiesektor auf seinem Schreibtisch landete, vermutete er zunächst noch, es ginge darum, Häuserblocks zu verketten und energieeffizienter zu machen. Doch das sollte sich schnell ändern – Schwertner erkannte das Potenzial der Technologie und begann, sich in die Materie einzuarbeiten: „Mich hat das Thema fasziniert und ich habe mich nächtelang bis drei Uhr Früh eingelesen, um zu verstehen, wie Blockchain funktioniert.“ Etwas mehr als drei Jahre später ist er einer der einflussreichsten Blockchain-Blogger im deutschsprachigen Raum. Seine Beiträge auf der Karriere­plattform LinkedIn verfolgen über 30.000 Menschen, er ist ein gefragter Redner auf Konferenzen und berät Unternehmen, die ihre eigenen Kryptowährungen ausgeben wollen. Seinen Job in der Forschungsförderung hat er mittlerweile aufgegeben, um sich ganz der Kryptowelt zu widmen.

Der Crash am Kryptomarkt habe die wenigsten Blockchain-Enthusiasten aus der Szene vertrieben, erzählt CryptoRobby. Viele – und dazu zählt er sich selbst – seien „verliebt“ in die Technologie. Den Blick für die Pro­bleme hat er allerdings nicht verloren. „Blockchain-Datenbanken sind heute teuer und ineffizient“, sagt Schwertner. Man müsse die Geschwindigkeit erhöhen, die Kosten senken. Diese hängen auch mit dem derzeit noch hohen Energieverbrauch zusammen. Doch der sei auch bei Computern in den 1960er-Jahren hoch gewesen und man habe das Problem technologisch lösen können, ist Schwertner grundsätzlich optimistisch. Allerdings stehe Blockchain nicht nur für technologische Herausforderungen: „Wir müssen auch die Zäune in den Köpfen niederreissen“, meint er. In vielen Unternehmen hätten jüngere Mit­arbeiter das Potenzial schon erkannt, „aber die ältere Garde, die oft die Geschäftsführerpositionen einnimmt, braucht noch ein bisschen“.

Ein weiteres Thema: Die rechtliche Situation – speziell, was die Ausgabe neu geschaffener Krypto­währungen über sogenannte Initial Coin Offerings (ICOs) angeht. Dass die Schweiz ein führendes Land in der Kryptoszene ist und Deutschland deutlich hinterherhinkt, ist laut Schwertner auch darauf zurückzuführen, dass man in der Schweiz die Regulierung eher locker handhabt, während man beim nördlichen Nachbarn viel strenger ist. Österreich liege „irgendwo dazwischen“, so Schwertner. Eine Studie von PwC Strategy& nennt zudem das Kryptoökosystem in der Schweiz als Erfolgsfaktor; so würden sich etwa Universitäten intensiv mit Blockchain auseinandersetzen und einen Talentepool schaffen.

Mit dem „Crypto Valley“ in der Stadt beziehungsweise dem Kanton Zug in der Zentralschweiz hat sich ein Dreh- und Angelpunkt der Kryptoszene etabliert. Alleine in den vergangenen zwei Jahren sei die Anzahl der in der „Crypto Valley ­Association“ organisierten Unternehmen von zehn auf 450 gestiegen, erläutert ­Daniel Diemers von PwC Strategy&, einer der Autoren der Studie. Der Kursrückgang bei Bitcoin und Co. habe daran nicht viel geändert: „Die Kryptolandschaft hier wächst weiter sehr stark und die Schweiz ist nach wie vor eine der Top-Fünf-­Destinationen im globalen Wett­bewerb“, meint Diemers.

Es werden zwei bis drei schwierige Jahre für Kryptowährungen, weil noch immer Angst im Markt ist.

Weltweit gab es 2017 laut ­Zahlen der Plattform icodata.io ­insgesamt 871 ICOs, bei denen zusammen sechs Mrd. US-$ eingenommen wurden. 2018 dürfte die Zahl noch einmal steigen, denn bis Mai waren es bereits 740 ICOs und 4,5 Mrd. US-$, die eingenommen wurden. Zuletzt zeigte der Trend aber wieder etwas nach unten: Mit 560 Mio. US-$ wurde mit ICOs im April so wenig Geld ­verdient wie seit vergangenem August nicht mehr. Der Höchstwert vom Dezember lag mit knapp 1,7 Mrd. US-$ ­dreimal so hoch. „Der Markt für ICOs ist im Prinzip erst 2017 entstanden“, sagt Daniel Diemers von PwC Strategy&. Die Strategieberatung habe damit gerechnet, dass sich der Boom aus dem Vorjahr in diesem Jahr nicht im ­selben Ausmass wiederholen werde. Dies habe sich bisher zumindest bei der Anzahl der ICOs bestätigt, was auch auf die zunehmende Regulierung zurückzuführen sei.

CryptoRobby Schwertner verweist zudem darauf, dass einige ICOs angesichts der Turbulenzen an den Kryptomärkten zu Jahresbeginn verschoben worden seien. So, wie es an den Aktienmärkten weniger Börsen­gänge gebe, wenn das Marktumfeld ungünstig sei, sei es eben auch am Kryptomarkt. ­Häufig sind ausserdem die Zeiträume, in denen die Coins angeboten werden, verlängert worden. Das Marktumfeld könnte aber durchaus noch länger schwierig bleiben: „Es werden zwei bis drei schwierige Jahre für Kryptowährungen, weil noch ­immer Angst im Markt ist“, meint der Blockchain-Experte. Er ­erwartet für diesen Zeitraum eine weitgehende Seitwärtsbewegung, ­Bitcoin dürfte sich in einer Bandbreite zwischen 5.000 und 15.000 US-$ bewegen.

Verändert hat sich ausserdem, wer in ICOs investiert: Vor dem Crash am Kryptomarkt seien es hauptsächlich Kleinanleger gewesen, erklärt Schwertner. Da hätten Personen 500 oder 1.000 € in Projekte gesteckt, die sie unterstützen wollten. Mittler­weile seien es verstärkt grössere An­leger wie Family Offices oder Besitzer von mittelständischen Unternehmen. „Die Kleinanleger haben sich die Finger verbrannt, aber grössere Anleger sehen die aktuelle Situation als Chance“, sagt CryptoRobby. Der Markt sei nicht mehr ­überhitzt. Die Grossanleger seien Profis und würden sich die ICOs, in die sie ­investieren, sehr genau anschauen: „Diese Leute haben eine Ahnung von ihren jeweiligen Gebieten und machen das nicht aus Spass am Zocken.“ Im vergangenen September kreierte CryptoRobby den Hashtag #Return­OnSociety, um Blockchain-Projekte mit einem gesellschaftlichen Nutzen zu pushen. „Das ist ein Gegensteuern zu dem, was im vergangenen Jahr passiert ist“, erläutert Schwertner mit Verweis auf den Krypto-Hype, der auch Glücksritter und ­Betrüger angezogen hatte. Die Grundidee der Blockchain habe einen revolutionären Charakter gehabt. Im ersten Block der Bitcoin-Blockchain im Jahr 2009 hatte der bis heute unbekannte Bitcoin-Erfinder mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto eine Kritik an der Politik der Banken­rettungen versteckt.

Zuletzt sei der gesellschaftspolitische Aspekt etwas verloren gegangen: „Wir müssen die Leute erinnern, dass wir das nicht nur der Technologie wegen machen oder gar, um irgendwelche Reichen noch reicher zu machen, sondern, um die Gesellschaft zu verbessern“, sagt Schwertner. Als Beispiel nennt er das französische Start-up Peculium, das er bei dessen ICO im Dezember beraten hat. Das Unternehmen habe ein auf künstlicher Intelligenz basierendes System zur Geldanlage auch für kleinere Beträge entwickelt. Auch im Bereich „Green Energy“ oder im Gesundheitssektor gibt es laut dem Experten Beispiele. „Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, aber man muss es auch nutzen“, sagt Schwertner. Ist CryptoRobby also auf einer Mission, um die Blockchain-Community nach dem Hype wieder zu ihren Ursprüngen zurückzuführen? „Das wäre noch viel zu wenig gesagt“, meint Schwertner. „Ich versuche, den Leuten dermassen in den Arsch zu treten, dass sie nicht vergessen, warum wir das eigentlich tun.“

Dieser Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2018 „30 Unter 30“ erschienen.

Dominik Meisinger

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