Phönix statt Kranich

Aktuell fliessen Milliarden an Steuergeldern in Fluglinien, Investoren wie Warren Buffett hingegen verkaufen ihre Positionen. Fluglinien sind für Staaten ein schlechtes Investment – das zeigt sich auch bei Austrian Airlines.

25 Milliarden US-$ flossen in den USA, um für mehrere Fluglinien ein Rettungspaket zu schnüren. In Deutschland verhandeln Regierung und Lufthansa über Hilfsmittel in der Höhe von rund zehn Milliarden €. Frankreich und die Niederlande halfen der Air France-KLM wiederum mit sieben bzw. zwei Milliarden € an Steuergeldern. In der Schweiz waren es 1,8 Milliarden €, die vorrangig in Form von Krediten als Unterstützung zugesagt wurden – und in Österreich verhandeln Regierung und Lufthansa über ein Gesamtpaket von rund 767 Millionen €. Zur gleichen Zeit, am 2. Mai 2020, verkündete Warren Buffett bei der Generalversammlung von Berkshire Hathaway, dass er sämtliche Positionen in Airline-Aktien (United, American und Southwest Airlines sowie Delta) mit Verlust verkauft hatte – ein Volumen von rund vier Milliarden US-$.

Nun sollen und dürfen Regierungen nicht nach Investorenkriterien agieren. Doch nach welchen Indikatoren sollten Staaten ihre Investitionen in Unternehmen überprüfen? Die Frage treibt Ökonomen schon seit Jahrzehnten um. In der Theorie gilt, dass Staaten jene Bereiche der Wirtschaft regeln sollten, die der Markt nicht ­adäquat bedienen kann – das klassische Marktversagen. Insbesondere die Coronakrise hat aber gezeigt, dass etwa ein öffentliches Gesundheitssystem, aber auch Investitionen in Bildung und Wissenschaft durchaus sinnhaft sind.

Es wird jedoch problematisch, wenn Staaten aus falschen Motiven – etwa politischem Kalkül oder falschem Nationalstolz – Branchen und Unternehmen fördern, deren Geschäftsmodell weder nachhaltig funktioniert noch den notwendigen Nutzen mit sich bringt. Das zeigt das Beispiel der Airlines: Die fast reflexartige Reaktion, „nationale“ Airlines müssten mit Steuergeldern gerettet werden, wenn sie vor dem wirtschaftlichen Ende stehen, darf kritisch hinterfragt werden.

Denn während die Lufthansa, die Swiss und die Austrian auch in der Vergangenheit immer wieder Staatshilfen benötigten, stehen Airlines noch härtere Zeiten bevor. Dabei ist der Einzelfall zu bewerten: Während die Schweiz „ihrer“ Fluglinie vorrangig mit zurückzuzahlenden Krediten unter die Arme griff und in Deutschland womöglich das Argument gebracht werden könnte, die Lufthansa hätte als deutscher Konzern strategische Relevanz, ist die Diskussion bei der Austrian völlig sinnfrei. Denn abgesehen von der Sinnhaftigkeit der Investition per se: Warum muss die österreichische Regierung eine Fluglinie retten, die zu 100 % im Eigentum eines deutschen Konzerns steht?

Staaten müssen andere Kriterien als Privatinvestoren verfolgen. Doch ein schlechtes Investment ist ein schlechtes Investment.

Als wichtigstes Argument dafür werden meist die rund 7.000 Mitarbeiter genannt, die für die Fluglinie in Österreich arbeiten. Das sind viele Arbeitsplätze, die in Relation gesetzt aber wahnsinnig teuer sind. Der österreichischen Start-up-Szene soll beispielsweise mit rund 100 Millionen € geholfen werden (Geld, auf das übrigens noch immer gewartet wird) – laut Austrian Startup Monitor arbeiten in der Szene rund 17.500 Beschäftigte. Hinzu kommt, dass die Lücke, die die Austrian hinterlassen würde, wohl schnell von anderen Fluglinien gefüllt werden würde – Gerüchten zufolge haben sich British Airways und Etihad bereits in Stellung gebracht, um die freien Kapazitäten in Wien zu übernehmen. Zudem würde eine Insolvenz der österreichischen Fluglinie nicht zwangsläufig das Aus bedeuten: American Airlines ging vor sechs Jahren in die Insolvenz, wurde restrukturiert und florierte in den Jahren danach – bis zur Coronaviruskrise. Auch die Touristen würden nicht ausbleiben, nur weil die Flugzeuge keinen Austrian-Schriftzug tragen. Womöglich würden die Zahlen sogar steigen, wenn Fluglinien freie Slots günstig ersteigern und so die Preise senken.

Zugegebenermassen muss man sagen, dass die Austrian für die aktuelle Krise wenig kann und diese alle Fluglinien gleichermassen trifft. Doch das Unternehmen ist seit Jahren ein Sorgenkind, rutschte bereits 2006 in massive finanzielle Schwierigkeiten und benötigte Staatsgeld, um sich zu retten. Und auch vor der aktuellen Krise war die Austrian angeschlagen: Zwar schrieb die Fluglinie 2019 noch Gewinn, doch das EBIT fiel gegenüber 2018 um satte 77 % – das EBIT der Swiss schrumpfte im gleichen Zeitraum um „nur“ 9 %. Auch die Marge zeigt, dass die Situation bei der österreichischen Lufthansa-Tochter dramatisch war: Die EBIT-Marge (adjusted EBIT, Anm.) rutschte auf nur 0,9 % ab – bei der Swiss lag diese 2019 bei 11 %. Sanierungsmassnahmen waren bei der österreichischen Airline also schon längst dringend notwendig.

Das liegt auch daran, dass die Airline stets hinter den Erwartungen zurückblieb. Die strategisch wichtige Rolle als Drehkreuz in den Osten funktionierte nie wirklich – auch weil die EU-Osterweiterung am Balkan gehörig ins Stocken geriet, wie das Handelsblatt kürzlich in einem Kommentar anmerkte. Zudem schafft es die Austrian nicht, sich nachhaltig als Premium-Carrier zwischen den zahlreichen Billigfliegern in Wien zu positionieren – das auch deswegen, weil die Einsparnotwendigkeit zu Abstrichen bei Service und Komfort führte. Die Zukunft sieht ebenfalls nicht rosig aus: Selbst die grössten Optimisten glauben nicht, dass sich der Flugverkehr in den nächsten 18 Monaten vollständig erholen wird. Auch vor Corona war Fliegen kaum ein Genuss. Und: Fliegen ist unter jungen Menschen so umstritten wie nie. Sollte öffentliches Geld angesichts der Klimakrise in solch umweltschädliche Transportmittel fliessen? Eher nicht. Dass die französische Regierung ihre Hilfen an die Bedingung knüpft, die Air France müsse ihre CO2-Emissionen pro Passagier und Flugkilometer bis 2030 halbieren, ist ein richtiges Signal. Auch Österreich bringt in den Verhandlungen ähnliche Auflagen ins Spiel. Doch gleichzeitig ist die Forderung angesichts der dafür notwendigen Investitionen in die Flotte in gewisser Weise utopisch: Keine europäische Fluglinie wird in den nächsten Jahren solche Summen aufbringen können.

Selbst das Szenario, dass die Lufthansa selbst das Geld für die Austrian auftreibt, falls der österreichische Staat ablehnt, ist unsicher: Wegen der beschriebenen Schwächen der Fluglinie – zu wenig Gewinn, zu wenig strategischer Wert – und der bereits vorhandenen starken Drehkreuze in Zürich und München könnte der deutsche Konzern die Tochter aufgeben. Statt eines Kranichs würde aus der Asche der Austrian ein Phönix auferstehen, der langfristig Gewinne erzielt und einen Teil der Lücke schliesst, die ohne Frage bleiben würde. Den Rest schliessen andere Fluglinien – die Passagiere erfahren keinen Nachteil und auch der Tourismus hat keine Einbussen.

Ob das passiert, ist ein weiteres Frage­zeichen. Fest steht allerdings, dass Staaten zwar andere Kriterien als Privatinvestoren gelten lassen müssen – doch ein schlechtes Investment ist ein schlechtes Investment. Und in diesem Fall muss das Geld anderen, sinnvolleren und aktuell notwendigeren Zwecken zugeführt werden. Dazu muss man kein Warren Buffett sein.

Bei dem Text handelt es sich um den Leitartikel unserer April-Ausgabe 2020 „Best Of“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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