PARLEZ-VOUS BLOCKCHAIN?

Bislang war der Zugang zu Kryptowährungen limitiert – und so auch ihre Einsatzmöglichkeiten. Die von Galia Benartzi gegründete Plattform Bancor bietet nun einen einfachen Währungswechsel an.

Urspünglich wurde Ramat Gan im Jahr 1921 als landwirtschaftliche Siedlung geplant. Davon ist ­heute nichts mehr zu sehen. Die Stadt im Bezirk Tel Aviv hat sich von ­einer grünen Oase zu einem florierenden Industrie- und Handelszentrum entwickelt – da reiht sich ein Hochhaus an das nächste und eine Baustelle an die andere. Mittendrin: die Forschungs- und Entwicklungs­abteilung von Bancor, wo rund 50 Mitarbeiter am sogenannten Bancor Protocol arbeiten.

Das 2017 gegründete Unternehmen, eine gemeinnützige Stiftung mit Hauptsitz im Schweizer Zug, ist auf die Umrechnung von Kryptowährungen und die dahinter steckende Blockchain-Infrastruktur spezialisiert. Der Unternehmensname ist als Auftrag zu verstehen: Bancor hiess die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Ökonomen John Maynard Keynes und Ernst Schumacher entworfene Weltwährung, die als internationale Verrechnungseinheit vorgesehen war und an die alle teilnehmenden Währungen gekoppelt sein sollten. Umgelegt auf die Krypto-Welt und das Unternehmen Bancor ermöglicht das Bancor Protocol den einfachen Austausch unterschiedlicher Kryptowährungen und erhöht somit die Liquidität bzw. deren Verfügbarkeit am Markt.

Bild: Galia Benartzi, Founder, Bancor, Cryptocurrency, Interview

Galia Benartzi
... wuchs im Silicon Valley auf, bevor sie 2013 nach Israel übersiedelte. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Internationale Betriebswirtschaft. 2005 gründete sie das Social-Gaming-Unternehmen Mytopia, später die Entwicklungsplattform Particle Code. Beide Start-ups wurden verkauft. 2017 erfolgte dann die Gründung von Bancor.

Kurz gefasst funktioniert die Technologie so: Über das Bancor Unified Wallet ist es Token-Inhabern möglich, sowohl ihre EOS-­basierten als auch ihre Ethereum-­basierten Tokens im selben Wallet aufzubewahren – 140 Kryptowährungen sind es, die so über die Bancor-Open-Source-Plattform gehandelt werden können. Neu ist, dass man diese mit nur einem Klick sofort und transparent in andere Kryptowährungen umwandeln kann. Gut ist das vor allem für die neuen, noch nicht etablierten Währungen. Im Moment gibt es für Halter ­dieser ­Nischentokens nämlich Liquiditäts­engpässe, weil es nicht für jeden Käufer einen Verkäufer gibt und umgekehrt. Die Idee von Bancor ist, dass über das Unified Wallet ohne ein direktes Matching von Käufern und Verkäufern durch einen automatisierten Prozess und über einen Smart Contract im Token mehr und vor allem auch mit Haltern anderer Tokens schnell und einfacher Handel betrieben werden kann. Ein eingebauter Pricing-Mechanismus gewährleistet laut Bancor „faire und an den Markt angepasste Konversionsraten“. In einer Welt, die weiter „tokenisiert“ werden soll, sicher kein Nachteil. Für den Konsumenten ist das Erlebnis so, als würde jeder Token seinen Wechselkurs kennen. Schnell und unkompliziert lautet die Devise – so können auch mehr Kryptonutzer angezogen und die ­digitale Währung besser in den Alltag aller gebracht werden.

Im Frühjahr 2018 wurden die Wallets eingeführt, 80.000 sind es heute, allein 11.000 sollen im vergangenen Quartal dazugekommen sein. Unter den Teilnehmern wurden bislang Umsätze im Wert von rund zwei Milliarden US-$ erwirtschaftet. „Und wir stehen erst am Anfang“, sagt Galia Benartzi, Mitgründerin von Bancor und verantwortlich für Business Development. Wir treffen die 36-Jährige, die vergangenes Jahr nach einem aufsehen­erregenden ICO in Höhe von 153 Millionen US-$ in ­weniger als drei Stunden von Forbes US zu einer der „Top 50 Women in Tech“ ernannt wurde, an ihrem Arbeitsplatz im 21. Stockwerk des Amot ­Atrium Tower.

Galia Benartzi wuchs im ­Silicon Valley in einer ­Familie von Ingenieuren und Unternehmern auf. Ihr Vater gehörte jener Generation an Valley-­Technologen an, die am E-Mail-Protokoll SMTP arbeiteten. „Als Kind ­hatte ich ein T-Shirt, auf dem ‚Parlez-vous SMTP?‘ stand. So gesehen kann ich nicht sagen, dass bei mir der ­Apfel weit vom Stamm gefallen wäre“, lacht die Israeli. Offensichtlich ist, dass sich bei Bancor der rote Faden fortsetzt, der sich auch durch Benartzis voran­gegangene Gründungen zog: die ­Interaktion in Netzwerken sowie das Nutzen- und Werte-Schaffen in ­Gemeinschaften. 2005 gründete sie mit 22 Jahren – nach ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften am Dartmouth College und der Internationalen Betriebswirtschaft an der Johns Hopkins University – Mytopia, eines der ersten Social-­Gaming-Unternehmen für Smartphones. Sie verkaufte es im Jahr 2010 um 48 Millionen US-$ an den Spielegiganten 888. Die darauffolgende Gründung Particle Code, eine übergreifende Entwicklungsplattform für mobile Applikationen, ging später an Appcelerator.

2013 zog Benartzi dann vom ­Silicon Valley nach Tel Aviv und startete mehrere Pilotprojekte am Feld der sogenannten „­Community Currencies“ – das Thema ­sollte sie nicht mehr loslassen. Dabei folgt sie der Devise: „Geld ist nicht Wirtschaft. Wirtschaft ist die Interaktion von Menschen, die Werte für eine Gemeinschaft, ein Netzwerk schafft.“ Geld ist höchstens ein Treibstoff, effizient, aber grob – dieses „One Size Fits All“-Modell werde mit einer zunehmenden Anwendung von Kryptowährungen infrage gestellt; davon ist sie überzeugt.

Wir glauben daran, dass unsere Produkte die Gesellschaft fundamental verändern werden.

Ein Beispiel für eine Gemeinschaftswährung war der 2013 ini­ti­ierte „Lev Market“ (Lev steht für Herz, Anm.) für Mütter in ­Israel, der auf der digitalen Währung der Herzen gründete. In der Mütter-­Community wurde jede Leistung mit Herzen bezahlt, eingekauft und verkauft. „Im Grunde funktio­niert das wie digitales Monopoly-­Geld“ erklärt Benartzi. Die zuletzt auf 20.000 Mütter ­angewachsene Gruppe stellte Dienstleistungen von Babysitten bis Kuchenbacken zur Verfügung und erwirtschaftete innerhalb nur eines Jahres ­Umsätze im Wert von 20 Millionen US-$. „Das Problem war: Sie konnten die Herzen nur innerhalb der Community nutzen, nirgendwo anders. Das war das Ende dieser Währung.“

Ähnlich verhält es sich bei Kryptowährungen aller Art: Sie sind vom jeweiligen Netzwerk bzw. ­ihrer Verfügbarkeit abhängig, und der Handel mit ihnen ist somit ex­trem eingeschränkt. Die Lösung lag im Netzwerkeffekt. „Immer ging ­dieser nämlich verloren“, so ­Benartzi, „wenn eine Community nicht mit ­einer anderen verbunden war. Das führte letztlich zu der Überlegung, wie man digitale Währungen interoperabel gestalten kann. Das Bancor ­Protocol ist also so etwas wie das SMTP für digitale Währungen.“

Trotz des Hypes müsse man die Dimensionen der Kryptolandschaft aber im Auge behalten, so Benartzi weiter. Zwar machen die digitalen Währungswechsel rund 50 % von Bancors Aktivitäten aus, insgesamt entfällt auf ­dezentralisierte Währungswechsel aktuell aber nur 1 % des gesamten ­Kryptohandels. Krypto wiederum mache vielleicht 1 % der gesamten Wirtschaft aus, überschlägt sie die Gesamtlage. Da stehen rund 800 Billionen US-$ ­globaler Aktienwerte 700 Milliarden US-$ am Kryptomarkt gegenüber. „Wir sind noch in einer Art prähistorischer Phase – die Technologie wird sich aber sehr rasch so weit entwickelt haben, dass alle Menschen, die es möchten, ­daran teilhaben können, ohne ­Experten sein zu müssen. Und das wird sehr vieles, was wir heute als Wirtschaftssystem unhinterfragt hinnehmen, verändern. Wir glauben fest daran, dass unsere Produkte signi­fikante Auswirkungen auf die Gesellschaft haben werden – nicht nur durch Wachstum oder Monetarisierung, sondern vor allem im Sinne einer fundamentalen Veränderung.“

Der Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2019 „Geld“ erschienen.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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