Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Die Pandemie konnte die Anziehungskraft von Metropolen auf Touristen nicht mindern – doch die Megacitys bekommen Konkurrenz: Weniger bekannte Städte werden zu neuen Magneten für Reisende; Ruralisierung, Resonanz und Regionalität sind die treibenden Kräfte.
Die Pandemie hat den Trend einer „Ruralisierung“ beschleunigt: Städte werden dörflicher, suburbane Regionen kosmopolitischer. Das Lebensgefühl der Grossstädte dezentralisiert sich und steigert damit die Attraktivität von Underdog-Städten.
Der Megatrend Urbanisierung führt dazu, dass sich die Dichotomien zwischen Metropole und Provinz auflösen. Das bedeutet, dass im Zwischenraum eine neue Lebendigkeit entsteht, in der kosmopolitischer Geist suburbanen Charme trifft. Konnektivität ermöglicht, dass neue kreative Cluster dort entstehen können, wo Raum günstig und vorhanden ist. Eine lebendige Kultur- und Gründerszene wirkt sich auf die Attraktivität von Städten aus.
Auf Phänomene wie Entschleunigung, Achtsamkeit und Glokalisierung wirkte die Coronakrise ebenfalls als Katalysator. Bisher touristisch weniger bekannte Städte gewinnen so für Reisende zunehmend an Attraktivität. Jene Orte ermöglichen einen Mobilitätsmix, den Metropolen nicht besitzen: Sie lassen sich mit dem Zug ebenso erreichen wie mit dem Auto, können per Rad wie zu Fuss erkundet werden. Diese Städte weisen entweder bereits eine entspannte Überschaubarkeit auf oder sind dabei, für ihre Bürger rad- und fusswegfreundliche Konzepte umzusetzen. Und davon profitieren Reisende.
Zudem sind es die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, welche den Trend zum Underdog-Städtetrip begünstigen: Kurze Distanzen, Flexibilität und Sicherheit bei hoher Qualität und Verlässlichkeit werden bei der Entscheidung für ein Reiseziel immer wichtiger. Neo-Ökologie als Megatrend schärft den Blick für diese Optionen: Der Besuch alternativer Städte wird auch als nachhaltiger eingestuft. Neben einer kürzeren, ressourcenschonenden Anfahrt wächst das Bewusstsein dafür, weniger prosperierende Regionen und lokales Business zu unterstützen.
Nachhaltig ist aber auch die Erfahrung, die zuvor noch niemand gemacht hat – es lassen sich in den „unbekannten“ Städten tatsächlich Geheimtipps entdecken. Die Einwohner sind noch offener gegenüber Touristen und ermöglichen Begegnungen. Underdog-Städte bieten viele Resonanzräume. Beziehungen können hier leichter stattfinden – zum Ort, den Locals und zum Narrativ eines authentischen Städtetrips.
Anja Kirig arbeitet seit 2005 freiberuflich als Zukunfts- und Trendforscherin in enger Zusammenarbeit mit dem Zukunftsinstitut Frankfurt/Wien. Zu den Forschungsschwerpunkten der Politologin zählen Tourismus- und Freizeitkultur, Gender sowie Food- und Gastromärkte.
Nicht zuletzt sind es dann aber auch die Hotspots selbst, die den Trend beschleunigen. Amsterdam, Barcelona oder Venedig sind dabei nur drei der Overtourism-Städte, welche die letzten Monate genutzt haben, um sich neue Konzepte zu überlegen. Es sollen weniger und ausgewähltere Gäste kommen. Die Folgen werden Exklusivität, steigende Nachfrage sowie weniger Flexibilität für Spontanreisende oder Personen mit niedrigerem Reisebudget sein – und damit hat die Stunde der Underdog-Städte geschlagen.
Text: Anja Kirig
Illustration: Valentin Berger