Netflix' Gaming-Strategie: Der langsame Weg zum Erfolg im Videospielmarkt

Netflix hat die Streaming-Kriege gewonnen, und die Frage, was jetzt kommt, stellt sich. Seit 2021 versucht das Unternehmen, auch im Gaming-Markt Fuss zu fassen.

Bis Herbst 2023 sollen 1 Mrd. US-$ in Spiele investiert worden sein, durch den Kauf von vier kleineren Entwicklerstudios und die Gründung von zwei eigenen in Kalifornien und Helsinki. Dazu kamen mobile Spiele wie Bloons TD und Oxenfree.

Im Jahr 2024 sollen noch einmal 1 Mrd. US-$ in den Gaming-Bereich geflossen sein, sodass mittlerweile 140 Spiele für Netflix-Abonnenten verfügbar sind – und das ohne Werbung oder In-App-Käufe. Doch die Zahl der täglichen aktiven Nutzer ist mit rund 1,1 Millionen im Vergleich zu den grossen Mitbewerbern immer noch gering.

„Wir sind noch nicht das Netflix der Spiele“, erklärte Alain Tascan, der Präsident von Netflix Games, kürzlich. Er kam im Juli 2023 zu Netflix und löste Mike Verdu ab. Unter seiner Leitung ändert sich die Strategie: Netflix will sich weniger mit grossen Entwicklern messen und stattdessen eine ergänzende Rolle zum bestehenden Streaming-Angebot einnehmen.

Zukünftig sollen mehr Spiele für Smart-TVs entwickelt werden, da dort 70 % der Netflix-Nutzer aktiv sind. Via Smartphone als Controller sollen diese gespielt werden. Tascan spricht von Casual-Party-Spielen, die den „Familien-Spielabend“ ersetzen könnten, sowie von interaktiven Erlebnissen basierend auf Netflix’ Eigenproduktionen wie Squid Game oder Too Hot to Handle.

Diese Strategie unterscheidet sich von dem traditionellen „Netflix für Spiele“-Ansatz, den Unternehmen wie Google (Stadia), Apple (Arcade) oder Microsoft (Xbox Game Pass) verfolgten. Google stellte Stadia 2023 ein, Apple und Microsoft sind aber nach wie vor erfolgreich, vor allem durch Inhalte von Drittanbietern.

Netflix hingegen nimmt Abstand von der Jagd nach dem nächsten Blockbuster wie Fortnite oder Call of Duty: Warzone. 2023 schloss das Unternehmen sein kalifornisches Studio, das an AAA-Titeln arbeitete, obwohl noch kein einziges Spiel veröffentlicht wurde. Jason Chapman von Konvoy Ventures meint: „Netflix ist kein AAA-Content-Haus, aber sie sollten weiter auf interaktive Inhalte setzen.“

Der Schritt zu interaktiven Erlebnissen macht durchaus Sinn. Die Gaming-Industrie ist mit 180 Mrd. US-$ mittlerweile grösser als die Film- und TV-Industrie, die rund 100 Mrd. US-$ jährlich umsetzt. Schon 2019 hatte Netflix-Chef Ted Sarandos Fortnite als grössten Konkurrenten genannt, was ein Grund für die Einstellung von Tascan war. Der hatte zuvor bei Epic Games mit Fortnite gearbeitet.

Frühere Versuche von Netflix, lineare und interaktive Inhalte zu verbinden, wie das viel beachtete Bandersnatch aus Black Mirror, fanden jedoch nicht den erhofften Erfolg. 2023 kündigte das Unternehmen an, viele dieser interaktiven Titel aus der Bibliothek zu entfernen – Bandersnatch bleibt einer der wenigen verbliebenen Titel. Auch das Spiel Squid Game: Unleashed, das anfangs viel Aufmerksamkeit erregte, verzeichnete nach anfänglich über 12 Millionen Downloads im Januar 2024 im März nur noch rund 100.000.

Kurzfristig setzt Netflix auf Lizenzen. Im Dezember 2023 kündigte das Unternehmen an, alte Grand Theft Auto-Spiele anzubieten. GTA: San Andreas war bisher das erfolgreichste Spiel.

Interne Erfolgskriterien von Netflix für Spiele sind vor allem die Akquise und Bindung von Abonnenten sowie die Fähigkeit, Nutzer zu weiteren Inhalten zu bewegen. Beim Spiel Squid Game: Unleashed experimentierte Netflix etwa mit einer „Watch-along“-Funktion, die Belohnungen für Spieler freischaltete, die die ersten beiden Staffeln der Serie geschaut hatten.

„Der Effekt ist momentan relativ klein, aber genauso war unsere Investition in Spiele im Vergleich zum Gesamtbudget für Inhalte“, erklärte Netflix-Co-CEO Greg Peters bei einer Telefonkonferenz im Januar 2024. „Wir werden das Budget diszipliniert steigern, wenn wir weiterhin Vorteile für unsere Mitglieder sehen.“

Was Netflix in dieser Entwicklung zugutekommt, ist die nötige Zeit und die finanziellen Mittel, um weiter zu experimentieren. 2024 steigerte das Unternehmen seinen Umsatz um 16 % und erzielte einen Betriebsgewinn von 10 Mrd. US-$ sowie einen freien Cashflow von fast 7 Mrd. US-$. Die Analysten von MoffettNathanson rechnen mit weiterem Umsatzwachstum und steigenden Margen – ohne dass die Gaming-Abteilung erwähnt wurde.

„Denken sie, dass Spiele eine Kernkompetenz für Netflix sind? Absolut nicht“, sagt Chapman. „Aber sie haben zu viel Geld investiert, als dass es ein ‚Hail Mary Pass‘ wäre.“ In Zukunft könnte Netflix mit Monetarisierungsstrategien wie In-App-Käufen und Werbung beginnen, um den Wert der Gaming-Abteilung zu steigern. Bis dahin kann sich das Unternehmen weiterhin Zeit nehmen, um seine Rolle im Markt zu finden.

Tascan selbst sieht die Position von Netflix als „goldene Eintrittskarte“ und fragt sich: „Was werden wir damit machen?“

Text: Matt Craig
Fotos: Pablo Arenas und Vadim Bogulov

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