MIT HOLZ IN DIE HÖHE

In der Wiener Seestadt Aspern wird dieser Tage das weltweit erste 24-stöckige Holzhaus eröffnet. Doch ist der Holzbau bloss eine hippe Nische oder Auftakt eines neuen, nachhaltigen Mainstreams?

Wer die höchste Aussicht aus einem Holzhaus geniessen möchte, muss in die oberste Etage des HoHo fahren: 84 Meter über dem Asperner See im Zentrum des Wiener Stadtentwicklungsprojektes Seestadt ragt das HoHo in den Himmel. Wenige Meter von der U-Bahn-Station positioniert, benötigt man lediglich 20 Minuten in den Stadtkern. Der Flughafen ist in einer halben Stunde erreichbar, die Autobahn befindet sich in unmittelbarer Nähe. Das benachbarte Naturschutzgebiet ermöglicht Momente der Erholung.

In diesem Umfeld galt es, die Seestadt als nachhaltiges und modernes Stadtviertel zu integrieren, das in Zukunft rund 20.000 Arbeitsplätze und 10.000 Wohnungen quartieren wird. Für die Planung des Kerns des Areals zeichnet das Architekturbüro Rüdiger Lainer + Partner verantwortlich. Dabei legte es einen besonderen Wert auf Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Gebäude.

Da klassische Holzkonstruktionen eine hohe Komplexität aufweisen, versuchte man den Bau des HoHo so einfach wie möglich zu gestalten. Inspiriert von Kapla-Holzbausteinen, realisierte man eine Art Baukastensystem, welches den Zusammenbau einzelner Elemente ermöglichte. Von den vier zentralen Bauteilen des HoHo besteht lediglich der Stahlbetonkern nicht aus Fichtenholz und dient zur verbesserten Stabilisation. Die Decken, Holzsäulen und Wände lassen den Holz-Hybridbau zu 75 Prozent aus Holz bestehen. Das verbaute Holz ermöglicht ausserdem eine langjährige Nutzung der Bausubstanz und lässt das Gebäude nicht an Attraktivität verlieren – im Gegenteil – erst der Lauf der Zeit verleiht dem Fichtenholz einen anmutenden Goldton.

„Niemand muss sich Sorgen um gerodete Wälder machen“, betont Rüdiger Lainer. Tatsächlich wird in österreichischen Wäldern jede Sekunde ein Kubikmeter Holz aufgeforstet, sodass die Nutzpflanze damit der nachhaltigste Baustoff bleibt. Die im HoHo verbauten 3.600 Kubikmeter Holz sind nach nur einer Stunde und 17 Minuten wieder nachgewachsen.

Der Kern der Seestadt mit dem HoHo-Komplex.

Neben der Nachhaltigkeit zeichnet sich das HoHo auch durch seine Multifunktionalität aus. Auf den rund 20.000 Quadratmetern Nutzfläche entstehen neben Büroflächen auch ein Hotel, ein Restaurant sowie ein Fitnesscenter und 24 Apartments, die das Zentrum des architektonischen Wahrzeichens des derzeit grössten Stadtentwicklungsgebietes in Europa bilden. Im Gebäudekomplex sollte ursprünglich auch Platz für ein Shoppingcenter geboten sein. Jedoch liess sich das konsumorientierte Geschäftsmodell nicht mit den vom HoHo verkörperten Nachhaltigkeitsgrundsätzen vereinbaren, weshalb die Pläne verworfen wurden.

Die Gesamtkosten des Projektes übersteigen die einer herkömmlichen Stahlbeton-Konstruktion um einen einstelligen Prozentsatz. Bauverzögerungen erhöhten die Kosten jedoch von 65 auf rund 75 Millionen Euro.

Der Baustoff der Zukunft

Doch was hat es mit dem natürlichen Baustoff an sich? Architekten verfolgen vermehrt den Trend, Holz in ihren Bauvorhaben zu integrieren, da der Baustoff als ökologischer Hoffnungsträger für die Gebäude der Zukunft gilt.

Seit Jahrhunderten besteht der Mythos von Holz als Feuerfalle. Tatsächlich ist Holz in dieser Hinsicht genauso sicher wie andere Werkstoffe. Massives Holz brennt äusserst langsam und kontrolliert ab. Die im Brandfall entstehende Holzkohleschicht schützt dessen Kern und hält ihn bei einem Feuer sogar vergleichsweise kühl. Das resultiert in einer länger anhaltenden Stabilität und Tragfähigkeit. Die Brandwiderstandsdauer des HoHo liegt mit 115 Minuten deutlich höher als die gesetzlich vorgeschriebenen 90 Minuten. Im Gegensatz dazu wird Stahl bei Bränden äusserst weich und instabil.

Problematisch für den Holzbau gestaltet sich jedoch der Nachweis, gar nicht erst entzündlich zu sein. Diesen werden Behörden künftig bei immer höher werdenden Holzbauten verlangen.

Weiters ist der Baustoff relativ langlebig, leicht reparabel und recycelbar. Zudem ist er äusserst stabil und elastischer als Beton: Ein Würfel aus Tannenholz mit einer Kantenlänge von vier Zentimetern kann ganze vier Tonnen tragen. Ausserdem gelten Holzhochhäuser als Kohlenstoffspeicher, die grosse Mengen an Klimagasen für Jahrzehnte konservieren. Die Holzbauweise verbessert insgesamt auch die Klimabilanz: Allein das HoHo spart gegenüber konventionellen Bauweisen derselben Nutzungsart und Grösse 2.800 Tonnen CO2-Äquivalente ein. Das entspricht etwa 20 Millionen PKW-Kilometern oder 1.800 Transatlantikflügen.

Eine weitere Stärke des Materials ist die Möglichkeit der Holzwände, Feuchtigkeit zu puffern. Dies führt zu einem angenehmen Raumklima und einer optimalen Luftfeuchtigkeit, auch im Winter. Daneben trägt die Verwendung von Holzfasern zur Wärmedämmung zu einer neutralen CO2-Ökobilanz bei.

Die Konstruktion betreffend, arbeiten modulare Holzbausysteme mit vorgefertigten Komponenten, die just-in-time zu den Baustellen angeliefert und montiert werden. Das ermöglicht eine witterungsunabhängige Montage und schnelle Bauzeit.

Ein Wandelement wird zur Montage auf das HoHo gehievt.

Doch ein bisschen Beton braucht’s eben doch. Sieht man sich das 84 Meter hohe Holzgebäude in Wien an, stellt man schnell fest, dass Holz im HoHo nicht als Solokünstler agiert, sondern auf eine Hybridbauweise gesetzt wurde. Denn bei aller Holzliebe mussten die Aufzugsschächte, Treppenhäuser sowie das Erdgeschoss aus technischen Gründen und existierenden Baunormen aus Beton gebaut werden.

Das Versprechen, dass Holzbau umweltfreundlich ist, wird nicht automatisch gehalten. Damit diese Gleichung erfüllt werden kann, muss sichergestellt werden, dass ausschliesslich Hölzer aus einer lokalen, nachhaltigen Forstwirtschaft verbaut werden. Bei Holzkomposit-Baustoffen unbekannter Herkunft besteht die Gefahr von illegalem Einschlag und Reduktion der Biodiversität. In der Konsequenz ist die Zusammenarbeit mit ForstwissenschaftlerInnen im Rahmen einer Holzbauplanung unerlässlich.

Internationale Aussichten

Der global höchste Holzturm ist nach heutigem Stand noch ein ganz natürlicher: Der Küstenmammutbaum (Sequoia sempervirens) Hyperion überragt mit 115,55 Metern alle menschengemachten Holztürme.

Doch international ist auch unter menschlichen Holzbauern ein wahrer Höhenrausch erweckt worden: So sind im Laufe der letzten Jahre Holzhochhäuser in Vancouver (53 m), Brumunddal (85,4 m mit Gerüst) und nun auch in Wien (84 m) entstanden. Einen gewaltigen Schritt weiter möchte man in Tokio gehen. Für das Jahr 2041 ist die Eröffnung des Plyscraper W350 geplant, einem 350 Meter hohen Wolkenkratzer. Ähnlich zum Konzept des HoHo ist auch dieses Gebäude als Hybridbau geplant, bei welchem lediglich zehn Prozent aus einer stählernen Stützkonstruktion bestehen werden. Auch im deutschsprachigen Raum besteht grosses Interesse an der Holzbauweise: In der Münchner Messestadt Riem läuft derzeit der Planungsprozess für elf neue Holzhochhäuser mit Höhen von 45 bis 60 Metern. Unterdessen entsteht in Hamburg mit der 64 Meter hohen Wildspitze das höchste Holzhochhaus Deutschlands.

Zwischen ökologischem Optimismus und technischer Zurückhaltung

Eines ist klar geworden: Moderner Holzbau ist eine nachhaltige Alternative, die nicht nur die Brücke zwischen Ökonomie und Ökologie spannen kann. Darüber hinaus bietet sie ebenfalls neue Möglichkeiten, deren lange bekannte theoretische Gangbarkeit - etwa zur Aufstockung bestehender Gebäude - immer mehr durch die Praxis bestätigt wird.

Für Rüdiger Lainer und sein Team liegt der Fokus nun vor allem darauf, die Erfahrungen aus dem Projekt zu nutzen. So möchte man die Techniken weiter raffinieren, etwa die Verbindungsmechanismen weiter vereinfachen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt in der Integration der Erkenntnisse in den regulären Geschossbau.

Dank seiner naturgemäss guten Umweltbilanz kann der Rohstoff insgesamt einen erheblichen Beitrag für Energieeffizienz wie Materialeffizienz leisten. Die gesellschaftlich immer stärker geforderte und klimatisch dringliche Nachhaltigkeit konvergiert im Holzbau zunehmend mit der ökonomischen Rationalität. Das neue Holz ist gekommen, um zu bleiben. Fraglich bleibt, ob es seine Erfüllung wirklich in der Höhe finden wird.

Text: Michael Phan, Niklaus Straussberger, Selina vom Hagen
(icons - consulting by students)

Fotos: Cetus Baudevelopment GmbH + Kito.at, Cetus.at + Thomas Lerch

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