MIT ERRECHNETEM KALKÜL

Künstliche Intelligenz unterstützt heute die meisten Fondsmanager. Der Medallion Fund des US-Hedgefonds Renaissance Technologies sticht dennoch heraus, machte der Fonds doch in knapp 30 Jahren fast 60 Milliarden US-$.

Die Party stand unter dem Motto „Helden und Bösewichte“ – der vermeintliche Held der US-Präsidentenwahl 2016 war natürlich auch eingeladen. Gerne, vielleicht auch aus Dankbarkeit, nahm Donald Trump die Einladung von ­Robert Mercer an. Mercer, ein Clinton-Hasser, hatte in seine Villa auf dem traumhaften Anwesen Owl’s Nest (Eulennest) auf Long Island geladen. Auf der Einladung war ein Römer mitsamt dem abgetrennten Haupt der Medusa abgebildet – Hillary Clinton ­hatte die Wahl kurz zuvor knapp, vor ­allem aber völlig überraschend verloren.

Einer der Masterminds des Trump-Erfolgs und des Brexit-­Votums war der Physiker und Mathematiker Robert Leroy „Bobby“ Mercer. Mercer ist einer der einflussreichsten Milliardäre der USA und steuerte zur Gründung der ­Firma Cambridge Analytica 15 Millionen US-$ bei – primär, um die ­politische Landschaft der USA nach seinen eigenen Vorstellungen umzubauen. Im Vorstand von Cambridge Analytica sass neben seiner Tochter Rebekah auch Trumps Wahlkampfmanager Steve Bannon, der ehema­lige Chef der Webseite Breitbart News Network – ein umstrittener Ideologe, der sich später ein paar Monate lang als Chefstratege und politischer Berater im Weissen Haus versuchen durfte.

Ruhig und wortkarg, verliebt in seine sehr grossen Rechner, kann Mercer mit Widerspruch nur sehr schlecht umgehen. Trotzdem: Zumindest auf den ersten Blick ist er kein Radikaler, sondern vielmehr ein Opportunist, ein brillanter Kopf, der mit seinem Intellekt und Geld das Unmögliche möglich machen möchte und gerne auf Aussenseiter setzt. Vielleicht, weil er in der Vergangenheit selbst oft belächelt wurde?

Nicht ganz ernst genommen wurde er etwa bei IBM, als er Computern die Aufgabe übertrug, Muster hinter englischen und französischen Gesetzes­texten zu erkennen, um aus diesen Einschätzungen richtige Übersetzungen abzuleiten. Lange tüftelte er an Systemen, die Sprachübersetzungen ­automatisieren sollten; heute stützen sich sowohl Siri als auch Google Translate auf diese Erkenntnisse.

Anfangs zögerte Mercer, das Angebot der US-Investmentgesellschaft Renaissance Technologies ­anzunehmen. Er sollte dort Analyse- und Vorhersageprogramme für den internationalen Handel entwickeln. Renaissance Technologies, gegründet von James Simons, war der ­Spezialist für Hochfrequenz­handel. Gemeinsam mit Peter Brown ent­wickelte Mercer immer klügere Programme, die den legendären Medallion Fund zur vielleicht grössten und berühmtesten Geldmaschine der Welt machten.

In den letzten 29 Jahren hat Renaissance 55 Mrd. US-$ Profit ­gemacht. Wie das möglich ist? Renaissance Technologies war ­eines der ersten Unternehmen, in ­denen ­Algorithmen darüber ­entschieden, wo wie viel Geld angelegt wird. ­Dabei filtern Hochleistungsrechner Muster und Trends aus gewaltigen Datenmengen der internatio­nalen Finanzmärkte. Schliesslich empfehlen sie den An- bzw. Verkauf von Wertpapieren oder führen den ­Handel sogar selbstständig durch.

Die meisten Unternehmen ­legen nicht offen, wie ihre Algorithmen funktionieren – darunter wirkmächtige Tools wie jene von Facebook, Google und Twitter. Renaissance Technologies hüllt sich ebenfalls in Schweigen. Mit Sicherheit verfügt das Unternehmen über selbstlernende Algorithmen, ­deren Entscheidungen vielleicht sogar ihre eigenen Schöpfer nicht mehr nachvollziehen können. Die Aufgaben werden mit menschen­ähnlichem Denkvermögen gemeistert, das ­Ergebnis ist aber nicht unbedingt objektiv, es stützt sich u. a. auf Stereotype – die gleichermassen ­sexistisch und/oder rassistisch sein können. Kurzum: ein Spiegelbild der realen Gesellschaft mitsamt ihrem Urteilsvermögen.

Recherchen bringen in erster Linie Gerüchte und Spekulationen zutage. Ein paar Fakten lassen sich dann aber doch herausfinden: Die meisten der 300 Mitarbeiter sind Mathematiker und Softwareexperten, fast ein Drittel von ihnen besitzt ein Doktorat. Und nur einem elitären, verschwiegenen Klub von Multimilliardären, die immer mehr Einfluss auf die politischen Geschicke der USA nehmen, steht der lukrative Medallion Fund zur Verfügung. Darunter finden sich überzeugte Demokraten wie eingefleischte Republikaner. ­Ihnen allen ist klar, dass sie mit dem Medallion Fund nur konkurrenzfähig bleiben, solange sie viel Geld in KI investieren. Sie sind nicht die Einzigen: Statista prognostiziert einen Anstieg des Umsatzes von KI-­Anwendungen von derzeit 17,3 auf 89,8 Mrd. US-$ bis zum Jahr 2025.

Im Wesentlichen nutzt die amerikanische Investmentgesellschaft einen gewaltigen Datenpool, um Muster im Markt zu identifizieren. Die Daten für die Handelsausführungen sind nur geringfügig besser als jene anderer Investmentgesellschaften, über Millionen ­Trades werden aus diesen kleinen Vorteilen aber gigantische Gewinne – insbesondere, wenn sie gehebelt werden. Über fast 40 Jahre hindurch erzielte der Medallion Fund einen durchschnittlichen Jahresgewinn von rund 66 %, nach Abzug der einzigartig hohen Kosten (27 %) verbleiben immer noch 39 %. Wer in den 80er-Jahren einen Dollar in ­diesen Fonds investiert hätte, würde heute 20.000 US-$ besitzen.

Robert Mercer hatte sich jedoch bereits im November 2017 von Renaissance-Gründer James Simons verabschiedet. Laut Medienberichten soll es Simons selbst gewesen sein, der Mercer den Rücktritt nahe­gelegt habe. Mercer hatte Trumps Wahlkampf mit 13,5 Millionen US-$ unterstützt; Simons – sein Leben lang Demokrat und laut Forbes-Schätzung 21,6 Milliarden US-$ schwer – habe um den Ruf seines Fonds gefürchtet. Wenige Tage später ­wurde zudem durch die Paradise Papers bekannt, dass Mercer acht Briefkastenfirmen auf den Bermudas besitzt.

Erst vor zwei Jahren hatte sich Robert Mercer zudem verzockt. Mit seiner Wette gegen den deutschen Leitindex DAX setzte er 200 Millionen US-$ in den Sand. Konkret ging es, so die Wirtschaftswoche, um Aktien der Commerzbank, der Deutschen Lufthansa und des Halbleiter­herstellers Infineon. Ihre Kurse waren kräftig gestiegen, Mercer prognostizierte einen plötzlichen Kurseinbruch – ein Irrtum.

Zurückgezogen in sein Eulen­nest, unterstützt Robert Mercer heute weiterhin konservative An­liegen: 500.000 US-$ spendete er etwa an die Denkfabrik Government Accountability Insti­tute (GAI), gegründet vom konservativen Ermittler Peter Schweizer und Steve Bannon. Berichten zu­folge hat das GAI die Verschwörung gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und dessen Sohn Hunter vorangetrieben.

Text: Raoul Sylvester Kirschbichler
Foto: Pepi Stojanovski

Der Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2020 „KI“ erschienen.

Forbes Editors

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