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Aya Jaff, Co-Gründerin der CoDesign Factory und Mitglied der Forbes 30 Under 30-Liste 2019, findet, dass es an der Zeit ist, nicht nur ökologisch nachhaltig zu sein, sondern auch „digital nachhaltig“ zu handeln.
Meine Generation macht mir Hoffnung. Am 20. September motivierte Greta Thunbergs Initiative „Fridays For Future“ weltweit Millionen von Menschen, auf die Strasse zu gehen und für das Klima zu streiken und dafür zu sorgen, dass die formulierten Ziele des Pariser Abkommens eingehalten werden. „Ihr habt verschlafen, wir sind aufgewacht“ stand etwa auf einem der Plakate, auf einem anderen war „Hört auf, uns zu verKOHLEn“ zu lesen, oder: „Kurzstreckenflüge nur für Bienen“. Thunberg alleine war dabei aber nicht der Grund, warum so viele Menschen auf die Strasse gingen.
In jeder grösseren Stadt der Welt werden Demonstrationen abgehalten, die auf die aktuelle Situation aufmerksam machen sollen. Klimaforscher, Unternehmer, Politiker sowie Umweltaktivisten diskutieren auf vielen Bühnen – sowohl online als auch offline – über mögliche Ansätze, den CO2-Ausstoss zu verringern. Das Internet bietet die Möglichkeit, sich über neue Projekte und Gedanken auf globaler Ebene zu unterhalten – und auch ich mache dabei mit. So findet im Moment sowohl kommunal, regional als auch global eine Konversation statt, die bereits grossen Einfluss in der jungen Generation geniesst. Auch zahlreiche Wissenschaftler unterstützen Greta Thunbergs Aussage, dass wir den Planeten nur schützen können, wenn wir in den nächsten Jahren eine Revolution in Wirtschaft und Politik herbeiführen. Die ganze Welt fängt an, umzudenken und offen und ehrlich über die Folgen unseres Handelns zu diskutieren.
Doch sind Verzicht und Verbot wirklich die einzigen Werkzeuge, die man verwenden kann, um die Klimapolitik nachhaltig zu beeinflussen? Als Programmiererin für verschiedenste Start-ups und andere Projekte habe ich oft erlebt, wie Probleme jeglicher Art mithilfe von Technologie gelöst wurden. Du findest keinen Partner? Versuch dich mal auf Tinder! Du hast dich verlaufen? Google Maps kann helfen. Du weisst nicht, was du kochen sollst? Bestell dir dein Essen per Knopfdruck nach Hause.
Aya Jaff
... studiert Ökonomie und Sinologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist zudem Mitgründerin des Start-ups Codesign Factory, Autorin sowie Keynote-Speakerin. 2019 war sie auf der „30 Under 30“-Liste für die DACH-Region vertreten.
Bedürfnisse werden mithilfe von Apps gelöst. Doch langsam erreicht unsere Technologie ihre Grenzen und kann alleine keine Lösung mehr liefern. Denn wie viele auch ausserhalb der Techbranche festgestellt haben, sind Daten mittlerweile das „neue Öl“ – was bedeutet, dass die von uns gespeicherten Informationen als wertvolles Kapital und potenzielle Quelle für Wettbewerbsvorteile betrachtet werden. Sie sind zum Treibstoff für fortschrittliche Technologien wie maschinelles Lernen geworden. Doch wir ignorieren beispielsweise nahezu vollkommen, dass Facebook, Google und Co die Menschen miteinander zwar verbinden und Wissen zur Verfügung stellen, gleichzeitig mit ihren riesigen Datenzentren aber enorm viel Energie benötigen. Bis 2030 könnten sie das Fünfzehnfache des heutigen Strombedarfs verbrauchen und somit gleichzeitig acht Prozent des weltweiten Energiekonsums. Und: Festplatten belegen Platz. Ihr Speicherverhältnis beträgt rund 30 Millionen Gigabyte pro Kubikmeter, was dazu führt, dass die Server der Techgiganten grösser werden, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.
Es reicht also mittlerweile nicht mehr, ökologisch nachhaltig zu sein und auf Inlandsflüge zu verzichten. Wir müssen uns auch mit dem Gedanken anfreunden, „digital nachhaltig“ zu handeln. Heisst das, dass wir unsere Computer nun weniger oft verwenden sollen? Spätestens bei dieser Frage wird deutlich, dass „alles bewusster und weniger konsumieren als bisher“ nicht die Antwort sein kann. Denn die Nutzung des Internets aus dem Alltag verbannen beziehungsweise drastisch verringern zu wollen wäre nicht nur rückständig, sondern würde auch bedeuten, dass der Konsument allein für eine Lösung sorgen kann. Hier können wir auf unsere beliebten Klimaschutz-Mantras „Verzicht und Verbot“ nicht mehr zurückgreifen. Wir müssen radikal anders auf die Probleme der heutigen Zeit antworten.
Einen Lösungsansatz offenbarte erst kürzlich der „IndieBio“-Podcast, der von dem gleichnamigen Start-up-Inkubator im Bereich Biotech in den USA stammt. Wie dessen Gründer Arvind Gupta kürzlich argumentierte, werden „die Doppelkatastrophen der planetaren und menschlichen Gesundheit“ eine Marktgrösse von 100 Billionen US-$ erschaffen. Es ist also an der Zeit, dass wir verstehen, was Biotech ist und welche Lösungen diese Technologien uns anbieten können. Im einfachsten Sinne ist Biotech eine auf Biologie basierende Technologie – dabei nutzt sie zelluläre und biomolekulare Prozesse, um Technologien und Produkte zu entwickeln, die dazu beitragen, unser Leben und die Gesundheit unseres Planeten zu verbessern. Seit mehr als 6.000 Jahren nutzen wir biologische Prozesse von Mikroorganismen, um nützliche Lebensmittelprodukte wie Brot und Käse herzustellen und Milchprodukte zu konservieren.
Und hier kommt das Start-up Catalog aus Boston ins Spiel. Mithilfe von Catalog können statt 30 Millionen Gigabyte nun 600 Milliarden Gigabyte auf demselben Datenträger gespeichert werden (also die 20.000-fache Menge). Dafür nutzt es DNS zur Datenspeicherung. Und damit ist nicht etwa eine neue Abkürzung einer bis dato unbekannten Technologie gemeint, sondern tatsächlich Desoxyribonukleinsäure.
Was an den Biologieunterricht erinnert, macht umso mehr Sinn, je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt. Die Informationsdichte der DNS ist erstaunlich, da nur ein Gramm 215 Petabyte (215 Millionen Gigabyte) Daten speichern kann. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Festplatte eines Laptops kann nur ein Millionstel dieser Menge aufnehmen. In anderen Worten: DNS kann ungefähr eine Million Mal mehr Informationen speichern als die heutigen Flash-Laufwerke! Sie ist ausserdem stabiler, sicherer und verbraucht nur minimal Energie. Das Grundkonzept der DNS-Speicherung ist dabei einfach: Im Wesentlichen codiert das Start-up nur die Einsen und Nullen des digitalen Codes in die T-, G-, A- und C-Werte des genetischen Codes. Für Organisationen wie Filmstudios und Laboratorien für Teilchenphysik, die enorme Informationsmengen auf unbestimmte Zeit archivieren müssen, könnte das dafür sprechen, nur noch DNS als Speichermedium zu verwenden.
Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, auch digital nachhaltig zu handeln.
Dieses Beispiel zeigt, dass wir aus unserer bekannten Umgebung, unserer „Bubble“, heraustreten müssen. Wir dürfen nicht immer nur dieselben Tech-Experten nach Lösungen befragen, sondern müssen ganz bewusst den Dialog mit Aussenstehenden suchen, um neue Lösungsansätze zu finden. Wir befinden uns an der Schwelle einer neuen Innovationsära, in der traditionelle Silicon-Valley-Ansätze uns nicht dahin bringen, wohin wir gehen müssen. Stattdessen sollten wir eine engere Zusammenarbeit zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, der Investorengemeinschaft und den Regierungsbehörden eingehen, um Probleme zu lösen, die immer komplexer und interdisziplinärer werden.
Als Programmiererin wünsche ich mir nicht nur eine Verschmelzung verschiedenster Disziplinen, sondern erhoffe mir in dieser Konversation über die Zukunft auch einen höheren Frauenanteil als bisher in der Tech-Branche üblich. Weniger als 30 % der Angestellten in der Digitalbranche sind weiblich, bei den Selbstständigen und Gründern sind es sogar nur 11 % – dabei zählt auch Biologie zu den sogenannten MINT-Fächern (Bezeichnung von Unterrichts- und Studienfächern sowie Berufen in den Bereichen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anm.) und darf auf den höchsten Frauenanteil (60 %) zwischen den einzelnen Studienfächern in Deutschland blicken. So könnten in Zukunft besonders Frauen von der grossen Aufbruchstimmung in den Bereichen Biotech, Biochemie, Umweltforschung, Pharma oder Zellbiologie profitieren. Denn die zentralen Fragen der Gesellschaft betreffen uns alle.
Laut einer Aussage der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis 2050 9,8 Milliarden Menschen erreichen, was bedeutet, dass mehr Menschen natürliche Ressourcen verbrauchen als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Und die Herausforderungen nehmen weiter zu: Mittlerweile sind 31 % der Todesfälle auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen und die Krebsfälle nehmen doppelt so schnell zu, wie die Bevölkerung wächst. Dazu kommt das Klima: Die Erderwärmung stellt das grösste zu lösende Problem des 21. Jahrhunderts dar. Wenn sich nichts Grundlegendes ändert, so warnen die Wissenschaftler des Weltklimarats, erwärmt sich die Erde in den nächsten 20 Jahren um mindestens 1,5 Grad (im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten). Das digitale Zeitalter macht Diskussionen, die vormals der IT zugeschrieben worden wären, zu universalen Problemen. Wir müssen weiter und umfassender nach Lösungen für die Probleme suchen, mit denen wir konfrontiert sind.
„Fridays For Future“ stiftet einen wertvollen Beitrag und klärt über die Probleme auf, die wir gemeinsam lösen müssen. Starke weibliche Vorbilder wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer mischen mit, sind laut und scheuen sich nicht, auch unbequeme Fragen zu stellen. Sie bringen eine ganze Nation zum Nachdenken und motivieren (hoffentlich) eine neue Generation von männlichen und weiblichen Unternehmern dazu, sich dieser Klimaprobleme mit hoffentlich neuen Werkzeugen und Disziplinen anzunehmen. Wir müssen anfangen, Probleme zu lösen und nicht nur so klein wie nur möglich zu halten.
Gastkommentar: Aya Jaff
Aya Jaff ist Mitglied der Forbes DACH 30 Under 30-Liste 2019. Mehr über Aya Jaff lesen.
Der Gastkommentar ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.
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