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Spätabends, zwischen zwei Konsultationen, nimmt sich Florim Cuculi Zeit für ein Gespräch. Der Chefarzt am Luzerner Kantonsspital gilt als einer der profiliertesten Kardiologen der Schweiz; und als jemand, der das System hinterfragt. Warum die Zukunft der Medizin für ihn auch ausserhalb des Spitals liegt – und weshalb Frauenherzen anders schlagen.
Im Gespräch wird schnell klar, dass Florim Cuculi nicht nur mit Leib und Seele Mediziner ist, sondern auch wie ein Unternehmer denkt. Die beiden Rollen schliessen sich für ihn nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr. «Ich möchte meinen Patientinnen und Patienten eine Blase bieten, in die sie eintreten und wo es keinen Grund gibt, sie wieder zu verlassen», sagt er. Gemeint ist ein System, das über den klassischen Eingriff hinausgeht. Wer bei Cuculi wegen Herzproblemen behandelt wird, soll auch verstehen, wie Gesundheit insgesamt wirkt – und wie sie bestehen bleibt: Chronische Raucher erhalten Entwöhnungsprogramme, Herzinfarkt-Patienten lernen Bewegung neu kennen, Menschen mit Angst vor einem Rückfall erhalten psychologische Unterstützung. «Das Herz ist nie isoliert», sagt Cuculi, «es hängt an unseren Gewohnheiten, unseren Emotionen; an der Art, wie wir leben.»
Cuculi ist überzeugt: Die Schweizer Spitäler seien stark, aber starr. Er will beitragen, sie beweglicher zu machen. «Ich sehe die Rolle des Spitals in Zukunft anders. Die grossen Eingriffe gehören weiterhin ins Spital, keine Frage. Aber Kontrollen, Beratung, Prävention – das kann auch ausserhalb stattfinden.» Cuculi sieht Institutionen wie das Luzerner Kantonsspital, in dem er selbst tätig ist, als Zentren, die aber mit «Satelliten» zusammenarbeiten und ergänzt werden und sich somit auf das Wesentliche fokussieren können. Das würde Prozesse verbessern und die Servicequalität für die Patienten erhöhen. «Wenn du ins Spital kommst, dann muss das schon etwas Grosses oder Gefährliches sein», so Cuculi.
Ein solches System hätte einen weiteren Vorteil: Ärzte, die im Spital tätig sind, können eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen. Denn meist seien diese sehr zufrieden im öffentlichen Spitalsbetrieb, der Lockruf des Geldes aus der Privatmedizin sei aber stets ein Thema. In Cuculis Idee müssten Mediziner nicht ihre gesamte Zeit vor Ort verbringen und könnten demnach Patienten auch extern betreuen: «Wir müssen aufhören, so zu tun, als wäre es unethisch, wenn ein Arzt gut verdienen will. Wir leben in einem kapitalistischen Land. Wir müssen das System so gestalten, dass Exzellenz sich lohnt.»
Kurzum: Ein Modell, das Leistung belohnt, ohne das öffentliche Spital zu schwächen. «Wenn ich die besten Mediziner zu sehr einschränke, wandern sie ab. Und mit ihnen geht dann auch das Wissen», so Cuculi.
Doch nicht nur die Struktur will Cuculi verbessern, sondern auch die Art und Weise, wie Medizin im Allgemeinen und Kardiologie im Speziellen gedacht wird. Ein offensichtlicher Punkt ist die Behandlung von Männern und Frauen; ein Thema, das in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Die Medizin war über Jahrhunderte stark auf den männlichen Körper ausgerichtet, Studien und Ergebnisse wurden nur aus diesem Blickwinkel betrachtet. Dass Frauen aus unterschiedlichen Gründen andere Bedürfnisse haben, kommt erst langsam ins Bewusstsein.
Genau dieses Thema adressierte Cuculi auch als Speaker beim Forbes Women’s Summit in Zürich. Sein Thema: «A Broken Heart – Insights Into Women’s Cardiac Health». Vor über 250 Zuhörerinnen sprach er über das Takotsubo-Syndrom, im Volksmund «Broken Heart»; eine stressbedingte Herzschwäche, die fast nur Frauen betrifft – und erst 1990 beschrieben wurde. «Eine Krankheit, die es wohl so lange gibt wie die Menschheit – und trotzdem wurde sie erst kürzlich entdeckt», sagte er auf der Bühne. Für ihn ist das sinnbildlich für die Blindstellen der Medizin: «Die meisten Herzstudien der letzten Jahrzehnte wurden an Männern durchgeführt. Wir wenden diese Erkenntnisse auf Frauen an – und wundern uns über schlechtere Resultate.»
Er fordert eine differenzierte Medizin, die weibliche Körper nicht als Abweichung behandelt, sondern als Ausgangspunkt. «Wir müssen aufhören, alle gleich zu behandeln. Wir müssen sie gerecht behandeln – und das ist nicht dasselbe.»
Wir haben in der Medizin gelernt, alles zu messen. Jetzt müssen wir wieder lernen, zuzuhören.
Florim Cuculi
Cuculi erzählt von Patientinnen nach der Menopause, die über Druck auf der Brust klagen, obwohl ihr Herz gesund ist. «Wir sagen dann: ‹Sie haben nichts.› Aber sie haben etwas – nur etwas anderes.» Er fordert mehr Zusammenarbeit zwischen Kardiologen und Gynäkologen: «Wir brauchen eine kardiologisch-gynäkologische Sprechstunde. Wir müssen lernen, was Frauen wirklich guttut. Vielleicht sind es Hormone, vielleicht Pflanzenpräparate, vielleicht beides. Aber wir müssen es erforschen.»
Florim Cuculi wurde in Nordmazedonien geboren und kam als 14-Jähriger in die Schweiz. Schon früh wusste er, dass er Medizin studieren wollte – nicht, weil so viele Ärzte um ihn herum waren (er ist der erste Akademiker in seiner Familie), sondern weil ihn das Zusammenspiel von Präzision und Menschlichkeit faszinierte. Er studierte an der Universität Basel, verbrachte drei Jahre am Oxford University Hospital und fing 2012 als Oberarzt im Luzerner Kantonsspital an. 2018 wurde er Co-Chefarzt der Kardiologie, seit 2023 ist er dort Chefarzt.
Früh stellte er sich die Frage nach der Struktur. Wie lässt sich Medizin so gestalten, dass sie sowohl exzellent als auch menschlich ist? 2019 übernahm er die Leitung des Cardio Center Luzern – und begann, seine Ideen in die Praxis umzusetzen. Cuculi denkt ebensolche «Outpatient Clinics» als Teil seiner zuvor erwähnten «Bubble» – eines Netzwerks rund um das Cardio Center Luzern, in dem Menschen langfristig betreut werden.
Heute führt Cuculi eines der modernsten Herzzentren der Schweiz. Er operiert selbst, forscht weiter an neuen Therapien und denkt unternehmerisch. Seine Vision reicht über die Kardiologie hinaus: Er sieht eine Medizin, die wieder näher am Menschen ist. Dass ihn mehr als nur Medizin interessiert, zeigt auch ein Mandat: Als Mitglied des Advisory Board gibt er Input für die Entwicklung des unabhängigen Schweizer Finanzdienstleisters smzh.
Denn für Cuculi ist Gesundheit kein Nice-to-have, sondern Grundbedingung. «Gesundheit ist unser wichtigstes Kapital», sagte er während seines Auftritts beim Forbes Women’s Summit – «ohne Gesundheit funktioniert nichts; kein Beruf, keine Familie, kein Leben.» Und das müssen laut ihm auch die Institutionen besser verstehen: «Wir haben in der Medizin gelernt, alles zu messen», sagt er. «Jetzt müssen wir wieder lernen, zuzuhören.»
Text: Forbes-Redaktion
Fotos: Samotion / Forbes Swiss