Longevity zum Trinken

Mit Biogena hat Albert Schmidbauer einen der erfolg­reichsten Entwickler, Produzenten und Verkäufer von Nahrungs­ergänzungsmitteln in Europa aufgebaut. Sein Ziel sei es, sagt er, Menschen zu helfen, länger zu leben – und so investiert Biogena seit einiger Zeit stark in ein Feld, das stark im Trend ist: Longevity.

Vor dem Eingang zur Biogena Good Health World in Koppl, keine 15 Autominuten von Salzburg entfernt, steht eine gut zwei Meter hohe Steinsäule. Auf ihr dreht sich ein kleinerer Stein, von Wasser angetrieben, im Kreis – immer weiter wackelt er langsam um die eigene Achse, begleitet von einem sanften Plätschern. Er wiegt über 1.000 Kilogramm, erzählt uns Albert Schmidbauer später. „So ein kleiner Wasserstrahl kann so einen schweren Stein bewegen“, sagt der Biogena-Gründer fast erstaunt. Die Steinsäule soll ein Sinnbild für sein Unternehmen sein.

Der 56-Jährige hat aus einer kleinen Ärztegemeinschaft einen der führenden europäischen Anbieter für Premium-Nahrungsergänzungsmittel geformt. Biogena erwirtschaftete 2024 einen Umsatz von 81 Mio. € und wächst laut Unternehmensangaben seit der Gründung 2006 im Schnitt um durchschnittlich 27 % pro Jahr. Die EBITDA-Marge liege bei über 20 %, sagt Schmidbauer, die Unternehmensbewertung bei rund 300 Mio. €. Mit mehr als 300 Präparaten, 26 eigenen Stores und einem Netzwerk von über 25.000 Ärzten und Therapeuten liefert das Salzburger Unternehmen, das auch ausschliesslich in Österreich produziert, in 70 Länder. Rund 3,5 Millionen Packungen verkauft das Unternehmen laut Schmidbauer im Jahr. Biogena ist mittlerweile eine Gruppe mit mehr als einem Dutzend Tochterfirmen und Investmentgesellschaften. Mehr als 400 Menschen sind dort angestellt.

Schmidbauer selbst kann man kaum übersehen: Er ist gross und kräftig gebaut. Er trägt eine Brille, die Blaulicht filtert, und auf jeweils einer Hand einen Ring: der eine mit einem Totenkopf, der ihn daran erinnern soll, dass alles vergänglich ist, der andere mit einem Stein, der ihm Kraft verleihen soll. Seine Kette, geformt wie eine Acht, steht zum einen „für die unendliche und universelle Kraft von Gesundheit und Wohlbefinden“, so Schmidbauer in einem E-Mail nach unserem Gespräch; zum anderen stehe die Acht für Erfolg und Verantwortung, schreibt er – und fügt hinzu: „Interessanterweise haben wir viele starke Plätze mit 8 – Operngasse 8 in Wien, Königsallee 88 in Düsseldorf …“

Noch verdient Biogena fast ausschliesslich durch den Verkauf von Mikronährstoffen Geld – doch langfristig soll sich das ändern: Schmidbauer möchte Biogena zur ersten Anlaufstelle für Angebote machen, die Menschen dabei helfen, ihre biologische Uhr zu verlangsamen.

Streng genommen ist Schmidbauer gar nicht der Gründer von Biogena. Der promovierte Betriebswirt und Unternehmensberater stiess 2006 auf eine Inte­ressengemeinschaft von etwa zehn Ärzten, sagt er, die hoch spezialisierte Mikronährstoffpräparate für ihre Praxen herstellen liessen. Rund 150 Ärzte waren Kunden dieser lose organisierten Gruppe, erzählt Schmidbauer. „Sie haben sich diese Mikronährstoffe herstellen lassen und haben sie in ihren Praxen verwendet – aber das war’s.“ Die Produkte waren exzellent, so der Oberösterreicher – ein richtiges Geschäftsmodell gab es aber nicht.

Schmidbauer sah Potenzial. Er war überzeugt, dass sich die österreichische Wirtschaft am Beginn eines Kondratjew-Zyklus befand – einer grossen Wirtschaftswelle, die Firmen und Konsumenten für 30 bis 40 Jahre prägen soll –, und ist immer noch überzeugt, dass sich unsere Wirtschaft in diesem Zyklus bewegt. Nach IT und Telekommunikation würden Gesundheit und Wohlbefinden die nächsten Megatrends werden, dachte sich Schmidbauer in den 2000ern.

Er legte 2006 seine Tätigkeiten als Unternehmens­berater ad acta, übernahm das Unternehmen der Ärzte­gemeinschaft und machte sich daran, die Produkte zu verkaufen; anfangs vor allem in Deutschland. Schmidbauer: „Ich habe versucht, immer ein Zimmer in einem Ibis-Hotel zu buchen, weil die alle gleich ausschauen. So hatte ich zumindest ein bisschen Heimatgefühl.“ Die Auswirkungen des vielen Reisens, des langen Arbeitens und des wenigen Schlafs auf seinen Körper seien mit ein Grund, warum er sich heute so für Biohacking und Longevity interessiere, sagt er. (Biohacking beschreibt den Versuch eines Menschen, mit Geräten, Therapien und Nahrungsmitteln das Optimum aus seinem Körper herauszuholen; Longevity heisst der schwammig definierte Bereich, der sich der Verlängerung des Lebens widmet und je nach Definition von Nahrungsergänzungsmitteln über Infusionen bis hin zu täglicher Bewegung reicht.)

Die ursprüngliche Idee von Biogena – dass Ärzte die Nahrungsergänzungsmittel an ihre Patienten verkaufen – blieb erhalten. Auch heute ist sie Teil der Vertriebsstrategie, allerdings laut Schmidbauer ein sehr kleiner. Das Consumer-Geschäft löste nach und nach den Verkauf an Arztpraxen ab. Bei der Expansion setzte Schmidbauer stark auf die Biogena-Community: 18 Mal nahm das Unternehmen bisher Kapital durch Crowdinvesting-Kampagnen oder Anleihenausschüttungen auf. In der letzten Crowd­investing-Runde kamen 14 Mio. € zusammen; und mit der Gründung der Biogena Group Invest AG können sich Anleger seit 2020 indirekt an Biogena beteiligen. Trotzdem besitzt Schmidbauer noch 87 % der gesamten Biogena Group, sagt er. Venture Capital lehnt er kategorisch ab: „Die wollen immer die Strategie verändern und achten zu sehr auf die Profitabilität und zu wenig auf die Mission.“ Bis 2029 möchte Schmidbauer Biogena an die Börse bringen.

Der globale Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist schwer zu definieren und Schätzungen über seine Grösse variieren. Fest steht aber: Er ist gross. Der Economist schrieb im März, dass jährlich Nahrungs­ergänzungsmittel um 485 Mrd. US-$ verkauft werden; in Deutschland nutzen laut dem Marktforschungs­unternehmen Mintel zwei Drittel der Bevölkerung ­solche Produkte, in Österreich waren es 2021 laut Spectra Marktforschung ähnlich viele. Und das, obwohl staatliche Stellen wie die österreichische AGES oder das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung be­tonen, dass Menschen mit ausgewogener Ernährung viele der Supplements nicht brauchen.

Schmidbauer wird bei diesem Thema – wie soll es auch anders sein? – leidenschaftlich: „Das ist wissenschaftlicher Nonsens“, sagt er über die Studien solcher Institute und fordert: „Zeig mir einen Menschen, der sich ausgewogen ernährt!“ Biogena führe immer wieder bessere Studien durch, die zeigten, dass es praktisch jedem an zumindest irgendetwas fehle.

Das bietet Schmidbauer eine breite Zielgruppe – neben Nahrungsergänzungsmitteln für Menschen, die ihre allgemeine Gesundheit verbessern wollen, gibt es Produkte für Sportler wie Creatin- oder Kalium-Mag­nesium-Sticks. Vor Kurzem launchte das Unternehmen zudem die Produktlinie Biogena Pets, unter der etwa Multivitamin- oder Omega-Tropfen für Haustiere verkauft werden. Der übergreifende Bestseller ist laut Schmidbauer der „Siebensalz Magnesium Komplex“. Die Preise bewegen sich meist zwischen 25 und 50 € pro Packung.

Schmidbauer behauptet auch, dass Biogena-Supplements den meisten anderen Nahrungsergänzungs­mitteln überlegen sind. 2,5 Mio. € investiert Biogena ihm zufolge jährlich in Forschung und Entwicklung (nicht alles davon geht in den Bereich Mikronährstoffe). Jede einzelne Charge werde vom LEFO-Institut in Ham­burg und von Analytec in Salzburg getestet, sagt er. Für Sportlerprodukte gehen Stichproben jeder Charge zur Kölner Liste für Anti-Doping-Tests.

Das Unternehmen investiert massiv in den Ausbau des Vertriebs. Die Biogena Plazas bieten auf 400 bis 1.000 Quadratmetern ein breites Spektrum an Gesundheitspräventionsangeboten: von Blutanalysen über Knochendichtemessungen bis zu Biohacking-Anwendungen wie Kryokammern und Rotlichttherapie. „Wir möchten nicht nur Supplements verkaufen, sondern auch Diagnostik betreiben, Biohacking-Services anbieten – alles, was sich ein Longevity-Enthusiast wünschen kann“, so Schmidbauer. Diese Diagnosezentren mitsamt Biogena-Geschäft seien gleichzeitig ein Ort des Zusammenkommens, sagt er: Biogena veranstaltet Infoabende wie „Wie Bio­hacking zu einem gesunden Leben führt“ oder Workshops, etwa zum Thema Breathwork. Schmidbauer: „Da kommen 20, 30 Erwachsene zusammen, um gemeinsam zu atmen. Die Ergebnisse sind unglaublich.“

Und die Plazas machen die Marke sichtbarer. „Die Plaza in der Operngasse in Wien – die hat uns in der Bundeshauptstadt einen ordentlichen Schub gegeben. Die Lage ist so prominent, daran gehen unglaublich viele Leute vorbei, und es ist eine sehr schöne Fläche mit einer riesigen Auslage“, sagt der Gründer. Auf vier Etagen und fast 1.000 Quadratmetern Fläche können Kunden sich dort diagnostizieren, therapieren und zu Mikronährstoffen beraten lassen. Ähnlich sei es mit der Plaza auf der Mariahilfer Strasse, der grössten Einkaufsstrasse Österreichs.

Aktuell gibt es zwei Plazas in Wien, eine in Salzburg und eine in Koppl. Die Expansion dieser Geschäftsschiene läuft auf Hochtouren: In Düsseldorf soll im September eine Plaza eröffnen, Frankfurt und Innsbruck stehen für 2026 auf dem Plan. Schmidbauers langfristiges Ziel: Biogena in den 50 grössten deutschen Städten mit solchen Plazas präsent und für 25 % der Deutschen gut erreichbar zu machen.

Das Geschäft mit solchen Longevity-Therapien ist umstritten. Vielen Behandlungen fehlt die wissenschaftliche Evidenz, um sie in der Mainstream-Medizin zu etablieren. Das ist teilweise auch den Prozessen der Forschung und Regulierung geschuldet – die Medizin konzentriert sich auf die Behandlung von Erkrankungen, anstatt das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern, die gesund sind. Aufsichtsbehörden haben Systeme entwickelt, um zu testen, ob Medikamente bekannte Krankheiten verhindern oder lindern können; diese Prozesse eignen sich aber weniger gut dafür, zu beurteilen, ob eine Behandlung einen positiven Effekt auf Menschen hat, die (noch) gesund sind.

Schmidbauer kennt die Einwände natürlich. „Es geht nicht darum, ewig zu leben. Es geht um die ,Extension of Health Span‘ – die Verlängerung der gesunden Lebensspanne“, sagt er dazu. Er betont, dass man sich testen lassen und ärztliche Beratung holen soll, bevor man mit einer Therapie beginnt. Viele Massnahmen, die er zu Longevity zählt, sind unbestritten, etwa regel­mässige Bewegung oder weniger Zuckerkonsum. Über sein Unternehmen ist er in Start-ups wie NEOH, das ­zuckerfreie Alternativen entwickelt, oder Rebel Meat, das Fleischalternativen herstellt, investiert. Andere Investments sind etwa Reploid, ein Unternehmen, das Abfälle aus der Landwirtschaft und Lebensmittel­industrie in Proteine, Fette und Düngemittel umwandelt, oder Luminous Labs, das Rotlicht-Therapien anbietet.

„Ich glaube, 80 % der Longevity-Massnahmen sind ‚Low-Hanging Fruits‘“, sagt Schmidbauer. Seine Routine: um sechs Uhr aufstehen, Gesundheitsdaten checken, schwimmen. Jeden Morgen nimmt er einen mit Mikro­nährstoffen angereicherten Drink – als wir darüber sprechen, nutzt der Gründer die Gelegenheit, um Werbung für „Biogena One“ zu machen, ein Pulver, das 99 Inhaltsstoffe in einer Packung kombiniert (Preis laut Onlineshop: 109 € für 30 Tage oder 54,50 € pro Monat für ein Zwölf-Monate-Abo). Schmidbauer betreibt jeden Tag Krafttraining und geht mindestens 12.000 Schritte. Am Abend therapiert er sich mit Rotlicht-Photobiomodulation, die die Serotonin- und Melatoninspiegel beeinflussen und so die Schlafqualität verbessern soll. Dazu kommen regelmässiges Intervallfasten und „Höhentraining für Faule“, wie er sagt (mit einem Intervall-­Hypoxie-Hyperoxie-Training-Gerät). Als wir nach seinen Gesundheitsdaten fragen, zückt er fast automatisch sein Smartphone, um sie zu checken: „Hier sieht man, dass mein grösstes Problem nach wie vor ist, dass ich zu wenig schlafe. Das kostet mich hochgerechnet 1,2 Jahre“, sagt er und zeigt uns Graphen auf dem Bildschirm. Seine biologische Alterungsgeschwindigkeit liegt bei minus 0,4, sagt er – wenn ein Jahr vergeht, altert sein Körper nur um acht Monate –, aber er habe durch den Stress des Unternehmensaufbaus viel aufzuholen.

Der für 2028 oder 2029 geplante Börsengang (Börse Wien oder Börse Frankfurt) soll Biogenas Expansion fi­nanzieren (gelistet werden soll die Biogena Good Vibes AG, die „oberste Firma“ mit Sitz in Salzburg). Raiffeisen Niederösterreich-Wien plant, sich mit einem zweistelligen Millionenbetrag am Unternehmen zu beteiligen; als Vorbereitung für den Börsengang, so Schmidbauer in diversen Medien. Für ihn ist es aber kein Exit – er soll Mehrheitseigentümer bleiben.

Biogena-Produkte sollen wie der Wasserstrahl vor der Good Health World funktionieren: unauffällig, ­beständig – und dabei eine gewaltige Wirkung entfalten. Es sei einfach, die eigene Gesundheit zu verbessern, sagt Schmidbauer. „Alles, was man machen muss, ist messen, messen, messen – und eines unserer Präparate zuführen.“

Fotos: Dirk Bruniecki

Erik Fleischmann,
Redakteur

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