LÄUFT OPTIMAL BEI CELONIS

Als Bastian Nominacher Celonis 2011 gründete, wollte kein Investor einsteigen. Heute hat die Softwareschmiede eine Bewertung von 2,5 Milliarden US-$. Die Münchner helfen Unternehmen, ihre Prozesse zu optimieren – mithilfe von künstlicher Intelligenz.

Kann man 12.500 € in über zwei Milliarden € verwandeln? Und falls ja: Wie viele Jahrzehnte bräuchte man dazu? Die Antwort: nicht einmal eines. Acht Jahre reichen. Zumindest für Bastian Nominacher, Alexander Rinke und Martin Klenk, die Gründer von Celonis.

Bei der jüngsten Series-C-­Finanzierungsrunde im vergangenen November wurde das Münchner Softwareunternehmen mit 2,5 Milliarden US-$ bewertet. Die magische Grenze von einer Milliarde US-$, die Start-ups den Status als Einhorn verschafft, hatte Celonis schon 2018 überschritten. Heute zählt das Unternehmen etwas über 800 Mitarbeiter, rund die Hälfte davon in München. Büros gibt es aber auch in New York, London und Tokio. Der Umsatz dürfte mittlerweile im niedrigen dreistelligen Millionenbereich liegen. Nominacher und Rinke fungieren nach wie vor als Co-CEOs, Klenk ist CTO.

Das war alles nicht absehbar, als die drei Gründer vor neun Jahren in Nominachers Münchner Wohnung starteten. Aus ebendiesem Domizil kommt Nominacher auch, als das Interview mit Forbes an einem regnerischen Märzmorgen in der Unternehmenszentrale in der Theresienstrasse als erster Termin am Tagesprogramm steht. „Ich hatte noch keine Zeit, umzuziehen“, sagt er. Klar – wer in wenigen Jahren eines der in Deutschland raren Unicorns aufbaut, dem bleibt wenig Zeit für Wohnungsbesichtigungen. Laut Daten von CB Insights gibt es in Deutschland neben Celonis aktuell nur elf weitere Unternehmen, die diesem exklusiven Klub angehören.

Vorgezeichnet war ­dieser Weg aber keineswegs. Die Gründer hatten zu Beginn ihre liebe Mühe, das notwendige Kapital für die Unternehmensgründung zusammenzukratzen. Um in Deutschland eine GmbH eintragen lassen zu können, braucht man 25.000 € – die Hälfte davon in Cash, für den Rest kann man bürgen. Gut für Celonis, denn: „Viel mehr hatten wir nach dem Studium nicht“, wie Nominacher sagt. Was die drei aber hatten: einen funktionierenden Use Case für ihre Idee – das akademische Konzept des „Process Mining“ in die Praxis zu übertragen.

Bastian Nominacher
... studierte gemeinsam mit Alexander Rinke und Martin Klenk an der Technischen Universität München. 2011 gründeten die drei Celonis. Zuletzt kam das Unternehmen auf eine Bewertung von 2,5 Milliarden US-$ – was es zu einem der wertvollsten Start-ups Deutschlands macht.

Das kam so: Nominacher, Klenk und Rinke waren während ihres Studiums an der Technischen Universität München bei einer studentischen Unternehmensberatung tätig. Diese schickte sie zum Bayerischen Rundfunk (BR) – mit dem Auftrag, dort den IT-Support zu verbessern. „Da ging es um ganz klassische Dinge: wenn wo ein Drucker nicht funktioniert hat oder ein Passwort zurückgesetzt werden musste. Diese Supportaufträge abzuarbeiten hatte bis zu fünf Tage gedauert – wir sollten die Bearbeitungszeit auf einen Tag reduzieren“, erzählt der heutige Celonis-Chef. Die drei starteten mit klassischen Methoden aus der Unternehmensberatung, führten Interviews, modellierten Prozesse. Aber sie stiessen nicht zum Kern des Problems vor. Dann wurde ihnen klar: Alles, was beim IT-Support passiert, wird von den Mitarbeitern in die Systeme eingegeben – und damit in einer Datenbank gespeichert. Das ergibt einen Datenschatz, aus dem man ableiten kann, wie sich das System verbessern liesse. Einen wissenschaftlichen Ansatz, wie dies funktionieren könnte, gab es bereits – vom Informatikprofessor Wil van der Aalst, der damals an der Technischen Universität Eindhoven forschte. „Wir haben sein Paper genommen und die erste Implementierung gemacht“, beschreibt Nominacher die Herangehensweise. Beim Process Mining geht es vereinfacht gesagt darum, mit leistungsfähigen Algorithmen Daten zu analysieren, um so festzustellen, wie Geschäftsprozesse in Unternehmen tatsächlich ablaufen – und wo Optimierungs­potenzial besteht. Dies setzten Nominacher und seine Mitgründer beim Bayerischen Rundfunk um.

Der Ansatz war erfolgreich. „Wir hatten ursprünglich nicht vor, ein Unternehmen zu gründen“, sagt Nominacher. Das Kundenfeedback war schliesslich der ­Auslöser, es doch zu tun. Alle drei hatten nach ihrem Studienabschluss bereits Jobangebote in der Tasche – Nominacher selbst hatte den Einstieg in die Unternehmensberatung McKinsey geplant. Doch dann entschieden sie sich für die Gründung: „Es hat sich angefühlt, als müssten wir das machen“. Mit dem BR gab es bereits den ersten Kunden; schnell sollten weitere folgen. Heute zählen die grössten Namen der deutschen und europäischen Wirtschaft zu den Kunden von Celonis – da­runter Siemens, BMW oder Lufthansa. Auf bestimmte Wirtschaftszweige beschränkt ist Celonis nicht: „Wir haben in 20 Branchen erfolgreiche Kunden. Zum Beispiel nutzt nahezu jedes Telekommunikationsunternehmen Europas unsere Plattform“, sagt Nominacher.

Angesichts des Erfolgs dürfte sich der eine oder andere Investor im Nachhinein ärgern. Denn der Start mit den mickrigen 12.500 € war weniger bewusste Entscheidung denn Notwendigkeit. Die drei Gründer hatten ihre Idee mehr als 30 Geldgebern vorstellt. Keiner glaubte, dass sie erfolgreich sein würden. Das Problem, das die Investoren sahen: Celonis agiert im B2B-Bereich. Dass drei frisch von der Uni kommende Absolventen Grosskunden aus der deutschen Industrie gewinnen würden, erschien den potenziellen Geldgebern zu weit hergeholt. Aufgeben kam für die drei aber nicht infrage: „Wir haben nie an der Idee gezweifelt“, sagt Nominacher.

Das Geld der Investoren sollte ohnehin bald nicht mehr nötig sein. Celonis wies von Beginn an einen positiven Cashflow auf. Rasch stellte sich heraus, dass der Ansatz des Unternehmens keineswegs nur im IT-Support brauchbar war: „Die Kunden haben uns auf neue Use Cases gebracht. Der Markt für IT-Servicemanagement ist zwar sehr gross, umfasst aber insgesamt doch nur 5 % des gesamten adressierbaren Marktes“, sagt Nominacher. Nach einem Jahr kam der erste fest angestellte Mitarbeiter. Das Unternehmen zog von Nominachers Wohnung zunächst in ein Start-up-Center; 2018 übersiedelte Celonis in das ­jetzige Hauptquartier in der Theresienstrasse.

Wie funktioniert die Celonis-Plattform in der Praxis? Für den Kunden gibt es Abomodelle nach dem Software-as-a-Service-Prinzip, der Preis orientiert sich dabei vor allem am Datenvolumen und der Nutzeranzahl. Bedient wird die Plattform dann vom Kunden selbst über eine Web-Oberfläche. Dort sieht er in Echtzeit, wie die Prozesse im Unternehmen ablaufen. Für verschiedene Rollen im Unternehmen gibt es dabei verschiedene Ansichten – die Plattform liefert sowohl Managern einen generellen Überblick über das gesamte Geschehen im Unternehmen als auch Mitarbeitern spezifische Daten für ihre jeweilige Aufgabe.

Die Lufthansa etwa optimiert die Abfertigung ihrer Flugzeuge mit der Celonis-Software. „Wenn ein Flugzeug landet, entstehen ganz viele Datenpunkte – es landet, fährt zum Gate, es kommt ein Tanklaster, Gepäckstücke werden ausgeladen, es gibt einen Crewwechsel“, erläutert Nominacher. Mittels Process Mining werden Abläufe wie diese automatisch analysiert und optimiert. Klassische Business-Intelligence-Software würde nur darstellen, dass ein Flugzeug fünf Minuten Verspätung habe, erklärt Nominacher. Celonis dagegen liefert dem Kunden gleich mit, wo die Verspätung entstanden ist und wie man die laufenden Prozesse anpassen kann, um sie wieder aufzuholen.

Wir haben in 20 Branchen erfolgreiche Kunden. Zum Beispiel nutzt nahezu jedes Telekommunikationsunternehmen Europas unsere Plattform“, sagt Celonis-Mitgründer Bastian Nominacher.

An diesem Punkt kommt künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel: Die Celonis-Software prognostiziert im Vorfeld, wie stark das Flugzeug verspätet sein wird, wenn man nichts verändert. Gleichzeitig zeigt das Programm in Echtzeit auf, wie man die Abläufe anpassen könnte, um die Verspätung abzuwenden – etwa indem man gewisse Prozesse vorzieht und beispielsweise den Tanklaster früher losfahren lässt. Process Mining war ursprünglich auf die Entdeckung und Analyse der Daten ausgelegt; mittlerweile geht es stärker in Richtung Vorhersage. Celonis hat für seine Plattform 2016 mit dem Zusatzangebot Celonis Pi erstmals einen KI-basierten Ansatz hinzugefügt. Mittlerweile ist KI aber Teil des Standard­ansatzes und technisch voll integriert. Das Unternehmen verwendet dabei proprietäre Ansätze und keine klassischen Machine-Learning-Methoden. „Wir müssen die unterschiedlichen Ansätze auf die Prozessdatenstruktur anpassen, weil die ganz anders aufgebaut ist“, sagt Nominacher.

Im Process Mining ist ­Celonis Weltmarktführer. Mit Lana Labs gibt es im selben Feld einen kleineren Konkurrenten aus Deutschland, der 2018 erfolgreich eine Seed-Runde in siebenstelliger Höhe abgeschlossen hat. Während in vielen anderen Softwarebereichen die USA und China dominieren, ist Europa im Prozessmanagement besonders gut positioniert, bestätigt auch der Informatikprofessor Jan Mendling von der Wirtschaftsuniversität Wien: „Man kann in der Tat sagen, dass Europa und der deutschsprachige Raum im Bereich Prozess­unterstützung weltweit führend sind.“ Europäische Unternehmen seien auch in anderen Bereichen des Prozessmanagements führend. Mendling erwartet, dass die unterschiedlichen Prozesstechnologien in den nächsten Jahren stärker zusammenwachsen werden. Bei Celonis geht man jedenfalls davon aus, dass Process Mining eine Grundlagentechnologie werde und man selbst das führende Unternehmen in diesem Bereich sein wird. Die globale Marktführerschaft entscheidet sich langfristig jedoch in den USA. Der Markteintritt dort war der Grund, warum Celonis 2016 erstmals externe Investoren an Bord holte. „Das Kapital war sekundär, wichtiger war uns das Know-how, wie man in den USA erfolgreich wird“, erläutert Nominacher.

Im Sommer 2016 gab es eine 27,5 Millionen US-$ starke Investmentrunde, angeführt von den Venture-Capital-Firmen Accel aus Palo Alto und 83 North aus London. Accel investierte zuvor unter anderem bei Facebook, Spotify und Flipkart. Zwei Jahre später folgte eine Series-B-Runde, bei der dieselben Investoren 50 Millionen US-$ in das Unternehmen steckten und Celonis offiziell zum „Unicorn“ machten. „Wir haben das starke Markt-Momentum genutzt“, sagt Nominacher. Bei der 290 Millionen US-$ schweren Series-C-Runde im vergangenen November kamen neue Geld­geber dazu, die laut Nominacher das Bekenntnis zur langfristigen Orientierung eint. Auch nach den drei Finanzierungsrunden halten die Gründer weiterhin „eine deutliche Mehrheit“ an Celonis. Genauere Angaben will Nominacher nicht machen, er bestätigt jedoch, dass es mindestens über 60 % sind.

Weitere Runden sind aktuell nicht geplant. Auch mit einem Börsengang haben es die Gründer nicht eilig. War er in der Vergangenheit für 2020 oder 2021 in Aussicht gestellt worden, ist Nominacher mittlerweile zurückhaltender – wohl auch angesichts der prallen Finanzierungsrunden in den vergangenen Jahren: „Es kann eine sinnvolle Massnahme sein; auch, um Reputation zu gewinnen, aber wir können uns da Zeit lassen“, so Nominacher. Vielleicht findet er ja ­vorher noch Zeit, in eine neue ­Wohnung zu übersiedeln.

Text: Dominik Meisinger
Foto:Thomas Dashuber

Forbes Editors

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