LABOR FÜR GEISTESBLITZE

Eiserner Wille, Leistungsbereitschaft und Disziplin zahlen sich aus – das weiss Karim Saleh, der aus Ägypten an die ETH Zürich kam, nur zu gut. Der 21-jährige Kapitän der ägyptischen Wasserball-Nationalmannschaft ist seit einem Jahr Präsident des Unicorn Labs, das ideenreichen Gründern hilft, ihre unternehmerische Vision Realität werden zu lassen. Das ist oft gelungen – unter anderem mit lukrativen Exits. Sein persönliches Ziel hat Saleh aber noch nicht erreicht.

Wenn ein junger Mensch in der Schweiz eine zündende unternehmerische Idee hat, dann ist er bei Unicorn Labs richtig. 2017 gründeten drei Studenten der ETH Zürich eine Non-Profit-Organisation, die unternehmerischen Denkern helfen soll, ihre Projekte zu validieren und zu realisieren. Voraus ging der Idee die Erkenntnis, dass in Universitäten zu wenig Unternehmertum entstehe.

Unicorn Labs kann nach drei Jahren auf eine ordentliche ­Bilanz zurückblicken: 22 erfolgreiche „Breedings“ – so nennt das Lab die Realisierung von Ideen – mit insgesamt 40 „Breeders“ – also ­aktiven Personen, die an den Prototypen für Start-ups mitarbeiten – hat die Orga­nisation bisher hervorgebracht. ­Insgesamt arbeiten zwölf Menschen im Kernteam, 60 Personen ­befinden sich im erweiterten Umfeld. Ob nun grössere Konzerne an bestimmten Projekten arbeiten oder ­junge Start-up-Gründer ihre ­Ziele verwirk­lichen wollen – Unicorn Labs probiert jeden Geistesblitz aus. Und oftmals ist es dieses Ausprobieren, das die Theorie Wirklichkeit werden lässt. Heute führt Karim Saleh Unicorn Labs als Präsident an. Er wurde für seine Arbeit kürzlich auf die „Under 30 DACH“-Liste von Forbes für 2020 gewählt. Wenn man Salehs Ausführungen zu Unicorn Labs zuhört, bekommt man das Bild eines Vermittlers – zwischen Gründern, Investoren und Technikern. „Die ETH hat exzellente Wissenschaftler und Techniker, aber sie nutzt dieses Potenzial wirtschaftlich zu wenig aus. Wir wollen das ändern“, erklärt Saleh einen der Beweggründe der Organisation.

Doch wie funktioniert das konkret? Zuallererst muss jemand eine Idee haben, dem das technische Know-how für die Realisierung fehlt. Wenn diese Person auf Unicorn Labs zugeht, versucht das Team, die richtigen Personen an den Unis und passende Materialien zu organisieren, um einen ersten Proto­typ zu bauen. Sobald die Idee den Realitycheck besteht, gibt man eine Empfehlung ab, ein Projekt weiterzuverfolgen oder eben nicht.

„Man lernt sehr schnell, die Probleme verschiedenster Indus­trien zu erfassen und zu lösen. Der Learning-Effekt für jeden Einzelnen, auch mich, ist hier sehr gross“, fasst Saleh die Tätigkeit und den persönlichen Benefit des Labs zusammen. Oftmals werden jene Menschen, die an den Prototypen mitgearbeitet haben und das technische Know-how besitzen, Mitgründer oder belegen wichtige Funktionen.

Saleh erzählt von einem ­Beispiel, wo zwei ­Frauen aus der Hotelbranche bei Unicorn Labs anklopften – es störte sie, dass in der Gastronomie zu viel Essen weggeworfen wird. In ihrer Vorstellung musste es doch möglich sein, eine Technologie zu entwickeln, mit der jeder gastronomische Betrieb selbst messen könnte, wie viel und was er pro Tag an Lebensmitteln wegwirft. Es wurde ein erster Prototyp gebaut, der mittels einer Kamera die Verschwendung messen konnte. Die Idee bestand alle Hürden, das Gerät von Kitro – so der Unternehmens­name – kommt heute in Hotel­betrieben zum Einsatz. Auch das Unternehmen Roll 2 Go, das sich auf Mobilitätslösungen spezialisiert hat, wurde bei Unicorn Labs gestartet – im August 2020 folgte der Exit, die Summe blieb unbekannt. Der Realitycheck von Unicorn Labs kostete ursprünglich 2.000 CHF, mittler­weile ist das Service kostenlos, da grössere Betriebe für ihre Projekte ausreichend Geld bezahlen.

Neben seiner Arbeit als Präsident bei Unicorn Labs ist Karim Saleh auch Kapitän der ägyptischen Wasserball-Nationalmannschaft.

Karim Saleh stammt aus einer klassischen Aufsteigerfamilie in Ägypten, die das Unternehmertum erst für sich entdecken musste. Sein Grossvater war Pilot und entschied sich aufgrund der günstigen staatlichen Rahmenbedingungen dazu, in der Eierproduktion tätig zu werden. Dieser Wesenszug, Chancen zu erkennen und sie auch zu nutzen, ging auch auf seinen Enkel über.

Doch zuvor musste Saleh ­einen Umweg machen: Als ­Schüler eher durchschnittlich, probierte Saleh verschiedenste Sportarten aus, bis er schliesslich beim Wasserball landete. Das habe sein Leben ­verändert, sagt er heute: Je mehr er sich in den Wassersport ­hineinsteigerte, ­desto besser wurden auch seine Noten. „Meine wichtigsten Lektionen im Leben habe ich beim Sport gelernt. Harte Arbeit zahlt sich am Ende aus. Wenn du dich voll reinhaust, kannst du bereits beim nächsten Spiel deinen Fortschritt bemerken“, erzählt Saleh. Von Spiel zu Spiel wuchs sein Können, bis ein Klub ihm einen ­Profivertrag anbot.

Doch Sport alleine war Saleh nicht genug. Er besuchte eine deutsche Schule in Ägypten, nach dem Abschluss wusste er aber nicht so recht, was er damit anfangen ­sollte. Jedoch interessierte er sich für Technik, die ihn schon immer fasziniert hatte. „Ich wollte mich mit den klügsten technischen Köpfen umgeben. Da standen eigentlich nur zwei Orte in der DACH-Region zur Auswahl: München oder Zürich. Da ich als Schüler gute Noten hatte, wurde ich auf der ETH aufgenommen“, schildert Saleh.

Karim Saleh
...ging in Ägypten in eine deutsche Schule und absolvierte dort sein Abitur. Sein Weg führte ihn zur ETH nach Zürich. Heute ist er Kapitän der ägyptischen Nationalmannschaft im Wasserball und Präsident des Unicorn Labs der ETH.

Er erreichte somit sein Ziel, studierte er doch ­Elektrotechnik und Informationstechnologie auf einer der führenden technischen Hochschulen weltweit. Im Studium lernte Saleh dann schliesslich drei Kollegen kennen, die Unicorn Labs gegründet hatten. Er ging auf sie zu und überzeugte sie davon, mehr Geld und Ressourcen in die Vermarktung und Erweiterung des Netzwerks zu investieren. Saleh wurde Teil des Kernteams und letztes Jahr schliesslich Präsident von Unicorn Labs. Und als ob das nicht genug wäre, wollte er es während des Studiums im Sport noch mal so richtig wissen: Er wurde Kapitän der ägyptischen Wasserball-Nationalmannschaft. „Ich habe ­unterschätzt, wie mühsam das ist. Das Studium in Mindeststudienzeit abzuschliessen und zweimal am Tag Training war letztendlich doch zu viel – aber es war eine Erfahrung“, so Saleh.

Heute hat er sein Bachelor­studium abgeschlossen und will ins Tun kommen. Sein Ziel: mittels Bilderkennung industrielle Prozesse ­innerhalb der Intralogistik-Industrie optimieren. „Fast niemand optimiert handwerkliche oder manuelle Produktprozesse – das will ich mal versuchen“, entgegnet er auf die Frage, ob er selbst noch zum Gründer werden will. Am Realitycheck sollte es bei Saleh jedenfalls nicht scheitern.

Text: Muamer Bećirović
Fotos: Caspar Leuzinger & Christopher Goenczoel, FINA

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.

Muamer Bećirović,
Redakteur

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