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Philip Morris International, jahrzehntelang ein Synonym für Marlboro und Chesterfield, will die Zigarette hinter sich lassen: CEO Jacek Olczak baut den Konzern zum Tech-Unternehmen um – mit Milliardeninvestitionen, neuer Mission und einer Prise Missionarsgeist. Doch wie glaubwürdig ist ein Tabakriese, der plötzlich eine „rauchfreie Zukunft“ verspricht?
Es ist ein klarer Frühlingsmorgen in Neuchâtel. Direkt am See gelegen wird hier geforscht, innoviert, hinterfragt: Prototypen, die aussehen wie futuristische USB-Sticks, werden von Ingenieuren geprüft und getestet, Batterien, Sensoren und Algorithmen sind allgegenwärtig. In einer solchen Umgebung hätte man noch vor zehn Jahren keinen Tabakkonzern vermutet – doch hier schlägt heute das Herz von Philip Morris International (PMI), einem der grössten Tabakkonzerne der Welt. Wobei man sich bei der Bezeichnung Tabakkonzern mittlerweile schon fragen muss, ob diese noch zutrifft: Im zweiten Quartal 2025 machten rauchfreie Produkte insgesamt 41 % des Umsatzes von PMI aus. Das ist insofern relevant, als PMI ein Gigant ist: 2024 machte der Konzern 37,9 Mrd. US-$ Umsatz (32,5 Mrd. €); Nettogewinn: sieben Mrd. US-$.
Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Mission, die 2016 unter dem Motto „Unsmoke the future“ gestartet wurde. Die Idee: Zigaretten obsolet zu machen. PMI wettet aber, dass nicht alle Raucher gänzlich aufhören, sondern auf risikoärmere Alternativen umsteigen können und sollen. Darunter fallen E-Zigaretten (unter der Marke Iqos), Nikotinbeutel (Zyn), Vapes (Veev) sowie reguläre Snus. All das führt nicht nur dazu, dass PMI schrittweise seine Cash Cow „killt“, sondern auch dazu, dass sich das Unternehmen im Eigenverständnis völlig neu aufstellen muss. Nicht umsonst lautet die erste Frage im Forbes-Interview mit CEO Jacek Olczak: „Ist PMI ein Tech-Unternehmen?“ Olczak, ein Pole mit ruhiger Stimme und einer Vorliebe für Zahlen, lächelt kurz. „Definitiv“, sagt er dann. „Wenn Sie ein Produkt entwickeln wollen, das die Zigarette vollständig ersetzt, brauchen Sie Technologie, und zwar auf höchstem Niveau. Ohne sie wären wir heute noch in den 80er-Jahren.“

Wir haben den Fluss überquert. Es gibt kein Zurück mehr.
Jacek Olczak
Eine Milliarde Raucher gibt es heute weltweit. Acht Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen des Rauchens. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt das Rauchen zu den grössten vermeidbaren Gesundheitsrisiken überhaupt. Jahrzehntelang stand PMI an der Spitze dieser Industrie – und tut es bis zu einem gewissen Grad immer noch: Philip Morris International lieferte im Jahr 2024 617 Mrd. Zigaretten aus. Das ist eine enorme Menge; und doch zeigt der Trend nach unten, denn 2012 waren es noch 927 Mrd. Zigaretten.
Mit Marken wie Marlboro oder L&M verdiente PMI Milliarden. Doch 2016 verkündete das Unternehmen ein milliardenschweres Transformationsprogramm, das die Welt von der Zigarette befreien soll. Der Hebel heisst Iqos – ein Gerät, das Tabak erhitzt, anstatt ihn zu verbrennen. Seit 2008 hat PMI mehr als 14 Mrd. US-$ in die Entwicklung, wissenschaftliche Absicherung und Vermarktung innovativer rauchfreier Produkte investiert – mit dem erklärten Ziel, den Verkauf von Zigaretten eines Tages vollständig zu beenden. „Unsere Botschaft ist klar“, sagte schon Olczaks Vorgänger André Calantzopoulos 2020 im Interview mit Forbes: „Wer sich um seine Gesundheit sorgt, sollte mit dem Rauchen aufhören. Wer nicht aufhören will, sollte zumindest auf eine Alternative zur Zigarette wechseln.“ Die Frage ist nur: Glaubt man das einem Konzern, der jahrzehntelang Lobbyarbeit gegen Gesundheitswarnungen betrieb?
Dass Jacek Olczak diese Transformation anführt, macht die Sache spannend. Geboren 1965 in Polen studierte er in Lodz Wirtschaft und begann seine Karriere beim Wirtschaftsprüfer BDO, bevor er 1993 zu Philip Morris wechselte. Er war in Polen, der Schweiz, Rumänien, im Baltikum, in Ungarn sowie Deutschland und Österreich tätig. 2009 übernahm er die Rolle als President für die Region „Europäische Union“ bei PMI, bevor er 2012 CFO der Gruppe wurde. 2018 wurde Olczak COO, seit Mai 2021 führt er PMI als CEO an. „Ich war selbst ein starker Raucher“, erzählt er im Gespräch. „Vor 14 Jahren habe ich auf unser erstes Prototyp-Produkt umgestellt – und seitdem keine Zigarette mehr angerührt. Meine Frau merkte es zuerst: Ich hörte nämlich auf, morgens zu husten“, so Olczak im Gespräch.
Er kennt das Misstrauen, das ihm und PMI von allen Seiten entgegengebracht wird. Kann man einem Mann glauben, der seine Karriere auf der alten Marlboro-Welt aufgebaut hat? „Wir waren Teil des Problems“, so Olczak, „aber deshalb haben wir auch die Pflicht, jetzt Teil der Lösung zu sein.“ Für ihn ist der Umbau mehr als ein Rebranding, er ist ein Überlebensprojekt – denn PMI hat zu viel investiert, um umzukehren: Laut Olczak hat PMI zu viel Geld in die Transformation gesteckt, um noch zurückrudern zu können. Dabei klingt die Logik der neuen Produkte simpel: Nicht das Nikotin ist der Hauptfeind, sondern der Verbrennungsprozess. Wird Tabak lediglich erhitzt, entstehen deutlich weniger Schadstoffe. Studien von PMI kommen zu dem Schluss, dass Iqos 95 % weniger schädliche und potenziell schädliche Substanzen enthält als eine Zigarette. Die US-Zulassungsbehörde FDA hat das Marketing von Iqos genehmigt – mit dem Hinweis, dass das Produkt die Entstehung schädlicher und potenziell schädlicher Chemikalien deutlich reduziert. Doch Kritiker schütteln angesichts dessen den Kopf: Zu viele Studien stammen von der Tabakbranche selbst, Langzeitfolgen sind aufgrund der kurzen Existenz der Produkte weiterhin ungeklärt. Jahrzehnte könnten vergehen, bevor belastbare Erkenntnisse vorliegen.

Dennoch zeigen Märkte wie Japan, dass sich Verhaltensmuster sehr wohl ändern können. Dort hat sich die Zahl der Raucher in zehn Jahren halbiert, massgeblich durch den Umstieg auf „Heat-not-burn“-Produkte. Schweden wiederum steht mit einer Raucherquote von unter 5 % kurz davor, ein rauchfreies Land zu werden. Das ursprünglich formulierte Ziel, 2025 weltweit mit rauchfreien Produkten 50 % des Umsatzes zu erwirtschaften, wird wohl nicht ganz erreicht werden, doch Olczak will das nicht überbewerten: „Ob wir 2025 oder 2026 bei 50 % landen, spielt keine Rolle. Die Richtung ist wichtig, nicht das Datum.“ Das neue Ziel ist, bis 2030 mehr als zwei Drittel des gesamten Nettoumsatzes mit rauchfreien Produkten zu erzielen.
Hindernisse gibt es dabei reichlich – Regierungen blockieren Zulassungen, oft aus fiskalischen Gründen. „Manchmal frage ich mich, wer eigentlich abhängiger vom Rauchen ist: die Raucher selbst oder die Staaten, die von Tabaksteuern profitieren?“, sagt Olczak. In Australien etwa dürfen Zigaretten frei verkauft werden, Iqos ist aber verboten. Für den CEO ist das nicht nur widersprüchlich, sondern zynisch: „Es ist nicht klug, wenn Länder Zigaretten erlauben, aber risikoärmere Alternativen verbieten.“
Auch Investoren zögern – viele grosse Fonds machen einen Bogen um PMI, weil die Aktie gegen ESG-Richtlinien verstösst. Der Konzern setzt deshalb auf Transparenz und Daten: Rund 1.400 Wissenschaftler arbeiten für PMI, der Grossteil davon in Neuchâtel und Lausanne; Hunderte klinische Studien zu den Auswirkungen der neuen Produkte laufen parallel zueinander. Gleichzeitig investiert PMI in Technologien, die mit der alten Marlboro-Welt nichts mehr zu tun haben: Gesichtserkennung zur Altersverifikation, KI im Kundendienst, Datenplattformen für personalisierte Betreuung. „Der Mensch mit AI wird den Menschen ohne AI ersetzen“, ist Olczak überzeugt. Für ihn ist es logisch, dass PMI sich mehr wie ein Tech-Unternehmen verhält: Geräte müssen gewartet, Apps aktualisiert, Kundenerlebnisse designt werden. „Das ist kein Fast-Moving-Consumer-Business mehr, hier geht es um Hightech-Produkte“, sagt der CEO.
Und dennoch bleibt bei vielen ein gewisser Verdacht bestehen. NGOs werfen PMI Greenwashing vor, Aktivisten sprechen von Heuchelei. Der Konzern verkauft weiter Zigaretten in Milliardenhöhe und verdient damit mehr als mit Alternativen. Die Frage liegt auf der Hand: Warum nicht den Verkauf sofort einstellen? „Was man Rauchern oft rät – von einem Tag auf den anderen aufzuhören –, können wir selbst nicht tun“, sagte Calantzopoulos einmal; „den Verkauf von Zigaretten über Nacht zu beenden würde uns den Job kosten.“ Olczak formuliert es nüchterner: Der Wandel müsse in Stufen geschehen, sonst funktioniere er nicht. „Die Menschen hören seit 50 Jahren, dass sie aufhören sollen zu rauchen. Trotzdem gibt es eine Milliarde Raucher. Wir können sie nicht zwingen, aber wir können ihnen eine Alternative geben.“
Kurz gesagt: PMI muss das Geld verdienen, um sich die Transformation leisten zu können. Denn Milliardeninvestitionen in ein Produkt, dessen Marke und Funktionsweise nicht bekannt sind, macht man nicht einfach mal so. Olczaks persönliches Engagement wirkt fast missionarisch: Er erzählt von seiner Tochter, die eine Beziehung mit einem Raucher anfing. „Ich habe ihm (dem Freund der Tochter, Anm.) gesagt: ‚Wenn du diese Beziehung ernst meinst, hör auf zu rauchen.‘ Er ist auf Iqos umgestiegen – heute sind sie verlobt.“ Für Olczak hat das Symbolkraft: Am Ende entscheiden nicht Regierungen oder Konzerne, sondern individuelle Raucher. „Wir liefern die Werkzeuge. Ob jemand sie nutzt, liegt nicht an uns allein“, so der CEO.
Ob Olczak am Ende als der Mann in Erinnerung bleiben wird, der Marlboro beerdigte, ist offen. Kritiker werfen dem Unternehmen Heuchelei vor, doch wer durch das Labor in Neuchâtel geht, spürt, dass der Umbruch in vollem Gang ist. Ob die Zigarette eines Tages tatsächlich nur noch im Museum stehen wird, bleibt bis auf Weiteres eine Wette. Doch Olczak ist sicher, dass PMI nach den Anstrengungen der vergangenen Jahre keine Möglichkeit bleibt, zurückzurudern: „Wir haben den Fluss überquert. Es gibt kein Zurück mehr.“
Fotos: Philip Morris International