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In der Debatte um Europas Rolle in Sachen KI geht es zurzeit oft um Superlative: Wer baut das grösste Modell? Wer sichert sich die höchste Finanzierung? Sind die USA und China uneinholbar? Alles relevante Fragen, aber es gibt noch einen anderen wesentlichen Aspekt: Ein Grossteil des Werts, der durch diese Technologie geschaffen wird, entsteht nicht
in einem – womöglich aussichtslosen – Wettlauf mit den USA oder China um die grössten Systeme, sondern durch den verantwortungsvollen, wegweisenden Einsatz von KI dort, wo sie den grössten Unterschied macht: in komplexen, sicherheitskritischen Branchen.
Beispiel Medizintechnik: Hier entscheidet Regulierung massgeblich, wie schnell eine Innovation den Markt erreicht. Bislang verbringen F&E-Teams oft bis zu 40 % ihrer Zeit mit der manuellen regulatorischen Dokumentation – das bremst Innovation. Und nun doch ein Blick in die USA: Dort nutzt die weltgrösste Regulierungsbehörde FDA seit Mitte 2025 generative KI, um Zulassungen zu prüfen. Systeme analysieren komplexe regulatorische Dossiers, vergleichen Anforderungen und erkennen automatisch Lücken. Das spart Zeit und erhöht die Konsistenz. Auch wenn das System anfänglich noch mit Schwierigkeiten kämpft, zeigt dies den Mut in den USA, neue Technologien sogar bei Behörden einzusetzen.
Für Europa heisst es nun: Nicht über fremde Erfolge oder unseren vermeintlichen Rückstand lamentieren, sondern selbst smarte Wege finden, wie KI in den Unternehmen mutig und pragmatisch eingesetzt werden kann – zum Beispiel in der Produktentwicklung. Large Language Models (LLMs) können komplexe regulatorische Vorgaben interpretieren und in konkrete Anforderungen für Entwicklungs- und Qualitätsteams übersetzen. KI-Agenten übernehmen klar definierte Workflows: Informationen in Dokumenten finden, Ergebnisse mit Anforderungen abgleichen, Abweichungen melden.
Der Effekt: In Projekten mit vertikalen KI-Plattformen sinkt der Aufwand in manchen Prozessen um bis zu 90 %. Entwicklungsprozesse laufen effizienter und sicherer; die Time-to-Market verkürzt sich, Kosten sinken, Fachkräfte werden entlastet – Medizinprodukte erreichen schneller die Menschen, die sie brauchen. Experten, die bisher viele Stunden mit Dokumentenabgleich verbracht haben, konzentrieren sich wieder auf Forschung, Design und klinische Strategien. So entsteht Wettbewerbsfähigkeit – nicht durch Superlative, sondern durch funktionierende Anwendungen. Und was auf die Medizintechnik zutrifft, gilt auch für viele weitere Branchen, in denen Regulierung, Sicherheitsbedürfnisse und Innovationsdruck aufeinandertreffen.
Gerade in diesen Anwendungen können europäische Unternehmen führend sein, auch ohne die Modelle selbst entwickelt zu haben. Denn Europa verfügt über eine unerreichte Dichte an Industrie-Expertise, Innovation und Fachkräften in hochkomplexen Industrien.
Gelingt es uns, effektive KI-Anwendungen für genau diese Branchen zu entwickeln – im Schulterschluss von Tech-Start-ups, Mittelstand und Grosskonzernen –, kann Europa nicht nur eine blühende KI-Branche entwickeln, sondern auch seine traditionellen Industrien zukunftsfähig machen. So bleibt Europa wettbewerbsfähig – und damit souverän.
David Boutellier
Mitgründer und CEO
Rematiq