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US-Tech-Grössen wie Google und Facebook investieren Milliarden im Rennen um künstliche Intelligenz (KI). Auch in Europa gibt es ein paar Investments. Ob europäische Spieler wie der Venture-Capital-Fonds Asgard in Deutschland, mithalten können, bleibt abzuwarten.
Der Durchbruch kam mit Katzenvideos. 1.000 Computer, 16.000 Prozessoren, zehn Milliarden Bilder, eine Woche Rechenzeit und dann war es so weit: Die künstliche Intelligenz (KI) konnte Katzen erkennen. Die Forscher in Googles KI-Abteilung hatten einen enormen Aufwand dafür betrieben. Das Team rund um den Stanford-Informatiker Andrew Ng hatte dazu ein sogenanntes neuronales Netzwerk geschaffen ein System, das dem menschlichen Gehirn nachempfunden ist. Entscheidend ist aber: Die Forscher hatten dem System nie erklärt, wie eine Katze aussieht. Oder wie es Katzen finden kann. Stattdessen haben sie dem künstlichen Gehirn einfach Standbilder aus YouTube-Videos vorgelegt, immer und immer wieder. Eine ganze Woche lang. Und plötzlich lernte das System und erkannte: Das ist eine Katze. Der Algorithmus lag in rund 75 Prozent der Fälle richtig.
Für Aussenstehende mag das auf den ersten Blick nicht beeindruckend klingen. Für Insider aber war es eine Sensation. Als Andrew Ng und sein Team 2012 diesen Durchbruch erzielten, war eine der bekanntesten Stimmen der KI-Szene in Deutschland noch damit beschäftigt, Brautkleider an die Frau zu bringen: Fabian Westerheide. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Ostwestfalen, studierte Westerheide später BWL in Münster und an der Universität St. Gallen. Dann ging er nach Berlin, arbeitete ab 2010 beim Inkubator Team Europe sowie beim Venture-Capital-Fonds Point Nine. Bald wechselte er die Seiten und gründete 2012 mit wunsch-brautkleid.de sein eigenes Start-up. Die Plattform wurde in kurzer Zeit zum grössten Marktplatz für gebrauchte und neue Brautkleider in Deutschland.
Wenig später zeigte sich aber: Westerheides Interesse galt einem anderen Thema, der künstlichen Intelligenz. „Ich kann damit meine Leidenschaft für Technologie, Philosophie und meine politischen Ambitionen verbinden“, sagt Westerheide. Und so startete er 2014 einen Venture-Capital-Fonds, der ausschliesslich in KI-Start-ups investiert: Asgard Capital. Seit damals hat sich einiges geändert. „2017 fing die Welle richtig an“, erinnert sich Westerheide. Die Zahl der Neugründungen stieg, Konzerne entdeckten den Bereich für sich. „Das Thema ist im Mainstream angekommen.“ Dazu versucht der Wahlberliner seinen Teil beizutragen: Er hält Vorträge, bloggt und organisiert gemeinsam mit seiner Frau, einer Eventmanagerin, die jährliche Konferenz „Rise of AI“. Dort bringt er führende Köpfe aus dem KI-Bereich zusammen. Mit Asgard investiert Westerheide in Start-ups in ihrer Frühphase meist Beträge in der Höhe von einigen 100.000 €. Im Vorjahr waren es zwischen vier und zehn Unternehmen, an denen sich der Fonds beteiligt hat. Die genaue Zahl wird offiziell nicht bekannt gegeben.
Wer mit Westerheide spricht, merkt schnell, dass er für das Thema brennt. Er zeichnet Zukunftsszenarien, in denen die Welt mithilfe von KI schöner und gerechter wird, die Menschen freier und sicherer leben. Er schwärmt von selbstfahrenden Autos, von autonomen Drohnen, von Pflegerobotern. Und er redet sich in Rage, wenn er auf die europäische Politik zu sprechen kommt, der er vorwirft, aus Ignoranz und Faulheit den USA und China das Spielfeld zu überlassen. Aber alles der Reihe nach.
Der grosse Hype um KI entstand zwar erst in den vergangenen Jahren, die Technik, die das Google-Team rund um Andrew Ng in seinem Projekt mit Katzenvideos einsetzte, gab es aber schon viel länger. Die Grundlagen definierte der französische Informatiker Yann LeCun zu einer Zeit, als Fabian Westerheide gerade mal geboren war: Ende der 1980er. LeCun, der heute noch immer aktiv ist und die KI-Forschung von Facebook leitet, war seiner Zeit etwas zu weit voraus seine Ideen umzusetzen war damals technisch schlicht nicht möglich. Den Computern mangelte es an Rechenpower. Mittlerweile bewältigen sie die notwendigen komplexen Berechnungen. Doch noch ein zweiter Aspekt ist für den aktuellen KI-Boom entscheidend: die Menge der verfügbaren Daten. Damit die Algorithmen lernen können, brauchen sie Daten und zwar enorme Mengen. Anders als in den 1980ern sitzen Unternehmen wie Amazon, Facebook oder Tesla heute auf gewaltigen Datenbergen.
Diese ermöglichen unter anderem den Einsatz der unter dem Begriff „Deep Learning“ zusammengefassten Techniken. Sie sind aber auch ein massiver Wettbewerbsvorteil der etablierten Player aus dem Silicon Valley, wie Fabian Westerheide anhand eines Beispiels erklärt: „Tesla sammelt bereits jetzt über den Semi-Autopiloten Daten über mehrere Milliarden gefahrene Meilen. Selbst wenn ein deutscher Autohersteller auch damit beginnt Tesla hat schon einen Vorsprung.“ Und weil der kalifornische Autobauer weiterhin Daten sammelt und das System verfeinert, ist es für den besagten Konkurrenten kaum mehr möglich, den Rückstand aufzuholen.
Doch die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley zementieren ihre Vormachtstellung noch auf eine andere Art: „Die US-Unternehmen kaufen strategisch sehr erfolgreich zu“, erläutert Westerheide. Den europäischen Unternehmen würden so Talente und Forscher weggeschnappt. Beispiele dafür gibt es auch aus dem deutschsprachigen Raum: Im Herbst 2016 hat Facebook die auf maschinelles Sehen spezialisierte Firma Zurich Eye übernommen eigentlich eher ein Hochschulprojekt von zehn Forschern der ETH Zürich und der Universität Zürich als ein Unternehmen mit Geschäftsmodell. Zahlen des Forschungsdienstes CB Insights zeigen einen massiven Anstieg von Übernahmen im KI-Bereich: Gab es im ersten Quartal 2012 nur zwei, waren es fünf Jahre später, im ersten Quartal 2017, schon 37. Die Tech-Grössen der USA liefern sich dabei ein Wettrennen um die Vormachtstellung im KI-Bereich. Google hat zwischen 2012 und 2017 zwölf auf KI spezialisierte Start-ups zugekauft. Apple hat sich im selben Zeitraum acht solcher Jungunternehmen einverleibt. Microsoft, Facebook und IBM kommen auf jeweils drei KI-Übernahmen. Insgesamt haben Konzerne 2016 nach Zahlen des Datendienstleisters Pitchbook 21,3 Mrd. US-$ in den Kauf von KI-Start-ups gesteckt ein Anstieg von über einem Viertel gegenüber dem Jahr zuvor.
Das prominenteste Beispiel für eine solche Übernahme ist wohl DeepMind. Rund 600 Mio. US-$ soll Google im Jahr 2014 für das damals erst vier Jahre alte britische Start-up hingeblättert haben. Damit stach Google Facebook aus Mark Zuckerberg hatte zuvor ebenfalls mit DeepMind verhandelt. Wohlgemerkt: Das Jungunternehmen hatte nicht nur keine nennenswerten Umsätze, es hatte nicht einmal ein Produkt vorzuweisen. Trotzdem sei es „eine der besten Transaktionen gewesen, die Google je gemacht hat“, meint Fabian Westerheide. Google habe sich so ein fähiges Team geholt, das jetzt den Kern seiner KI-Forschung bilde. Und aufgrund des Renommees von DeepMind sei es möglich gewesen, zahlreiche weitere KI-Talente für Google zu rekrutieren. 2016 sorgte DeepMind für Aufsehen, als eines seiner Programme im Brettspiel Go den als weltweit stärksten Spieler geltenden Südkoreaner Lee Sedol schlagen konnte.
Dass das britische Start-up in die USA ging, ist für Westerheide kein Zufall: „Wir in Europa sind super in der Forschung und sind total mies darin, daraus Unternehmen zu schaffen. Aber am Ende sind es Unternehmen, die Märkte erobern, und nicht Forscher.“ Teilweise seien daran die Geldgeber schuld: So habe Google DeepMind forschen lassen, ohne zu verlangen, dass das Unternehmen Umsätze generiert. In Europa hingegen sind Investoren Westerheide zufolge für solche Experimente zu ungeduldig: „Ich habe das bei einer der Firmen in meinem Portfolio erlebt. Investoren sehen nicht, dass die eine richtig tolle KI bauen, sondern jammern, dass die Umsätze noch nicht hoch genug sind.“ Westerheide ist der Ärger anzumerken, wenn er davon spricht.
Europa, so befürchtet der Investor, drohe aufgerieben zu werden zwischen den USA und China. „Ich würde sagen, es ist Halbzeit und es steht 4:0 für die anderen“, sagt Westerheide aus europäischer Sicht. Die führenden chinesischen Internetkonzerne Tencent, Alibaba und Baidu investieren wie ihre US-Pendants massiv im Bereich KI. Und haben dabei einen grossen Vorteil: die entschlossene Unterstützung des chinesischen Staats. Die Regierung in Peking hat einen Plan erstellt, wie China bis 2030 globaler KI-Vorreiter werden soll. Erste Erfolge gibt es bereits: Anfang 2018 schnitt eine Alibaba-KI in einem Lesewettbewerb der Universität Stanford erstmals besser ab als die menschlichen Teilnehmer.
Einer, der mit der Situation in Asien aus eigener Erfahrung bestens vertraut ist, ist Clemens Wasner. Der Österreicher hat als Berater zehn Jahre in Asien gelebt und gearbeitet zuerst in Japan, dann in China. Jetzt hat er in Wien das Start-up „Enlite.AI“ gegründet. Die Firma berät Unternehmen beim Einsatz von KI, arbeitet aber auch selbst an KI-Anwendungen. „In China konkurriert man immer gleichzeitig mit Unternehmen plus Staat“, sagt Wasner. Wie Westerheide bezweifelt auch er, dass ein KI-Start-up aus Europa es in den nächsten Jahren mit den Googles und Facebooks dieser Welt aufnehmen wird können. Wichtiger sei allerdings ohnehin, dass die Technologie in Europa in die bestehende Industrie integriert werde, meint Wasner. Hier gebe es in unseren Breiten viele Anwendungsgebiete, während in den USA die klassische Industrie schon längst verschwunden sei. Ein Industrieunternehmen wie Siemens beispielsweise nutze jetzt schon KI, um zu prognostizieren, wann eine Maschine wahrscheinlich kaputt gehen wird, um so den Wartungszeitraum zu optimieren. „In zehn Jahren wird man so etwas überall haben“, erwartet Wasner.
Und für Konsumenten? Die schnellste Veränderung sieht Wasner im Bereich von Support-Hotlines kommen. „Wenn mein Modem nicht funktioniert, werde ich künftig wahrscheinlich mit einem Chatbot kommunizieren“, meint Wasner. Punkto Servicequalität dürfte dies nicht schlechter sein und der Bot stünde sofort und ohne Wartezeit zur Verfügung. Auch in der Medizin dürfte KI rasch Einzug halten: So könnten Ärzte etwa bei Radiologie-Analysen unterstützt werden. Dass die Skepsis der Patienten gegenüber KI diese Entwicklung aufhalten könnte, glaubt Wasner nicht: „Für den Patienten macht es wenig Unterschied, ob der Arzt aufgrund einer KI-Analyse bedeutungsschwangere lateinische Floskeln von sich gibt oder aufgrund von etwas anderem.“
Langfristig könnte KI noch viel mehr verändern. Das Potenzial der Technologie werde eher noch unterschätzt, glaubt VC-Investor Fabian Westerheide. „So, wie die Digitalisierung viele Branchen komplett umgekrempelt hat, wird das auch mit KI passieren, wenn all die grossartigen Technologien, die es jetzt schon gibt, nach und nach marktreif werden“, sagt er. Deep-Learning-Vorreiter Andrew Ng glaubt, dass KI das Wirtschaftsleben so stark verändern wird, wie es vor hundert Jahren die Elektrizität tat.
Fabian Westerheide hat aber auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft im Blick. Mit KI, so sagt der Unternehmer, könne er sowohl seine Kindheitsträume erfüllen als auch für eine bessere Welt eintreten. „Als Kind habe ich Fantasy und Science-Fiction geliebt. Und jetzt liebe ich es, ein Science-Fiction-Buch zur Hand zu nehmen und dann Unternehmen zu suchen, die an den dort beschriebenen Technologien arbeiten“, erzählt Westerheide. Als Unternehmer mit gesellschaftlichem Interesse wünsche er sich, dass KI dazu beitrage, dass die Menschen weniger arbeiten müssten und mehr Freiheiten hätten. Mit KI könnten die Träume und Visionen einer besseren Gesellschaft real werden, meint der Investor. Sollten sich Westerheides Hoffnungen erfüllen, ist eines jedenfalls sicher: Der erste Schritt in diese bessere Welt waren Katzenvideos.
Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.