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Es war letztendlich ziemlich knapp: Zwar lag der Demokrat Joe Biden im Popular Vote deutlich vor dem amtierenden US-Präsidenten, doch auch Donald Trump überzeugte bei dieser Wahl mit über 70 Millionen Stimmen fast acht Millionen Wähler mehr als 2016.
Im Electoral College war es so eng, dass die endgültige Verkündung des Sieges von Joe Biden vier Tage dauerte. Viele Beobachter fragten sich trotz seiner Niederlage, wie Trump so gut abschneiden konnte. Leider blieben die meisten auch diesmal wieder bei Trumps Aussagen hängen, anstatt die Situation ernsthaft zu analysieren. Ich bin zwar nur ein einfacher Wirtschaftsjournalist, will aber hier trotzdem versuchen, mich aufs politische Glatteis zu wagen.
Aus der Sicht eines Trump-Wählers erfüllte der Präsident zahlreiche seiner Wahlversprechen: Er senkte die Steuern, griff bei der Einwanderung hart durch, baute die angekündigte Mauer zu Mexiko, erhöhte die Militärausgaben und ernannte drei neue, erzkonservative Richter für den Supreme Court – insbesondere Letzteres wird die USA auf Jahrzehnte prägen. Der Haken: Die Staatsschulden explodierten in dieser Zeit. Zu Trumps Amtsantritt lagen sie bei 19,9 Billionen US-$, heute haben die USA rund 27 Billionen US-$ Schulden – ein Anstieg um 36 %. Wie auch in seinem Leben als Geschäftsmann wollte Trump um jeden Preis Erfolg haben – und tat es auf Pump. Und wie auch im Geschäftsleben nahm er den Mund oft zu voll: Den Korruptionssumpf trocknete er nicht aus, sondern vergrösserte ihn nur, in der Gesundheitsversicherung präsentierte er nie ein nennenswertes Konzept – und die Mauer zu Mexiko mussten die USA entgegen Trumps Ankündigung selbst bezahlen.
Dass er die Coronavirus-Krise völlig falsch managte, war für Wähler nicht der wichtigste Faktor. Exit Polls zeigen, dass die Wirtschaft für 35 % der US-Wähler – und zwar Demokraten wie Republikaner – das mit Abstand wichtigste Wahlmotiv war. Die Coronavirus-Pandemie kam, nach „Racial Inequality“, an dritter Stelle. Wäre Corona nie passiert, wäre die Wirtschaft nicht eingeknickt und Trump noch besser dagestanden – er hätte die Wahl wohl gewonnen. Das US-BIP schrumpfte in den ersten zwei Quartalen 2020 deutlich, erholte sich im dritten Quartal jedoch wieder und wuchs um 33 %.
It’s (still) the economy, stupid. Die Menschen sorgen sich zuerst und vor allem darum, ihre Familie ernähren und ihre Rechnungen bezahlen zu können. Trump hat verstanden, worum es geht – die Demokraten noch zu wenig: Ölarbeiter in Pennsylvania interessiert der Klimaschutz herzlich wenig, wenn sie um ihren Job bangen. Taxifahrer spüren von den Chancen der Digitalisierung nichts, wenn autonome Fahrzeuge sie zu verdrängen drohen. Und Kellner haben nichts von einem Mindestlohn, wenn die Coronavirus-Krise sie um ihre Tätigkeit bringt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Milliardär aus New York diese Sorgen ähnlich gut oder besser adressierte als der Sohn eines mehrmals arbeitslosen Ölarbeiters aus Pennsylvania.
Auch wir in Europa müssen verstehen, dass grosse Visionen nur dann funktionieren, wenn sie die kleinen Sorgen nicht ignorieren. Dass eine Transformation der Wirtschaft alle mitnehmen muss, weil uns sonst zu viele verloren gehen. Und dass die Welt nicht gut und böse ist, sondern mit wenigen Ausnahmen voll von Menschen, die sich lediglich ein kleines bisschen Wohlstand und Sicherheit aufbauen wollen.
Text: Klaus Fiala
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–20 zum Thema „Handel“.