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Die Nähe zu Flug- und Motorsport lässt es erahnen, Christoph Grainger-Herr betont es aber nochmals: IWC Schaffhausen sieht sich als Ingenieurshaus, das Probleme lösen, Experimente wagen und Abenteuer ermöglichen will.
Das Nokia 8810 – in einem Bilderrahmen an der Bürowand von Christoph Grainger-Herr platziert – dient nicht als Warnsignal, sondern als Inspiration. „Wenn ein Unternehmen das erste Mal über eine Kategorie in ganz neuen Dimensionen nachdenkt – und daraus auch noch ein Produkt kreiert –, ist das immer ein Meilenstein“, so der IWC-CEO. Denn Nokia hatte mit dem 8810 erstmals ein Mobiltelefon als Lifestyle-Statement positioniert, genauso Luxusobjekt wie Werkzeug. Zudem baute Grainger-Herr in seiner Studienzeit hobbymässig Telefone auseinander, bestellte Einzelteile nach und setzte die Geräte wieder zusammen. Und der Begriff „luxuriöses Werkzeug“ ist wahrscheinlich auch passend, um die Uhren von IWC zu beschreiben. Denn laut Grainger-Herr fokussiert sich IWC auf einen „Engineering-Ansatz“. Die geografische und emotionale Nähe zur deutschen Automobilindustrie sowie zum Flugsport verstärkt das Profil zusätzlich.
IWC steht für problemlösende, robuste, innovative Uhren; für Engineering – und Abenteuer.
Grainger-Herr: „IWC steht für problemlösende, robuste, innovative Uhren. Wir bauen keine Uhren, die wir künstlich so kompliziert wie möglich machen, nur um zu zeigen, dass wir das können.“ Alle komplizierten Funktionen hätten immer auch einen konkreten Zweck: Die neue Pilotenkollektion verfügt über Weltzeitfunktionen, Taucheruhren benötigen mechanische Tiefenmesser. „Engineering und Abenteuer“, nennt es Grainger-Herr. Bereits 1985 löste IWC-Legende Kurt Klaus das Problem des ewigen Kalenders: Statt mit wie üblich 200 Einzelteilen und mehreren Kronen für die verschiedenen Funktionen bewältigte Klaus die Herausforderung mit 80 Einzelteilen und einer einzigen Krone. Auch 2019 steht für IWC alles im Zeichen des Ingenieurs-Abenteuers: Die Fliegeruhr-Kollektionen „Spitfire“ und „Top Gun“ gehen zurück zum Ursprung. Und auch das Experiment, mit einer original Spitfire-Maschine einmal um die Welt zu fliegen – das Projekt läuft unter dem Namen „The Longest Flight“ –, soll dieses Image stärken.
Über Umwege zum CEO
Grainger-Herr übernahm 2017 das Ruder bei den Schaffhausenern. Der Deutsche, der die Uhren von IWC gerne und oft auf seinem 26.000 Follower starken Instagram-Kanal präsentiert, ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger Georges Kern (mittlerweile CEO bei Breitling) jedoch ein Branchenexot. Per Ausbildung ist er Architekt und Designer, kam über einen Auftrag zur Gestaltung des Museums zu IWC.
Das Timing seiner Bestellung war praktisch, konnte der neue Chef doch selbst noch Hand am im Sommer 2018 eröffneten Manufakturzentrum in Merishausen anlegen. Das zehn Minuten ausserhalb von Schaffhausen angesiedelte Gebäude sollte nicht nur ausreichend Platz bieten, sondern die Uhrenproduktion bei IWC von Grund auf neu aufstellen. Wie werden die einzelnen Produktionsbereiche angeordnet, welche Kollegen wo positioniert? Das Resultat: ein 13.500 Quadratmeter grosser Bau, vorrangig in Weiss und Holztönen gehalten, der im Inneren fast an ein Chemielabor erinnert: alles sauber, alles präzise.
Tüfteleien im neuen IWC-Manufakturzentrum
Eine der Neuheiten, die diesem Neubau entstammen, ist das Material Ceratanium. „Ceratanium ist eine Titanlegierung, die Keramik enthält. Die maschinelle Bearbeitung und das ,Backen‘ des Materials im Ofen ergibt eine tiefe schwarze Schicht, die die Schlagfestigkeit und Leichtigkeit von Titan mit der Kratzfestigkeit von Keramik verbindet.“ Zu sehen ist das Material etwa in der Pilot’s Watch Double Chronograph Top Gun Ceratanium. Für Grainger-Herr ist es ein selbstsicheres Understatement, das IWC begleitet, egal ob in der reduzierten Portugieser-Reihe oder in den mit Funktionen prall gefüllten Big Pilot’s Watches. Dieses Understatement kann seinen Preis haben, kosten IWC-Modelle doch gerne auch mal eine Viertelmillion €. Doch niedrigere Preispunkte sind auch für „First Timer“ erschwinglich. „Wir sehen uns immer als Feiern eines Meilensteins. Darin steckt die Attitüde, dass es immer weitergeht“, sagt Grainger-Herr.
Fertig ist auch Grainger-Herr noch nicht. Denn während IWC in der Schweiz und China einen hohen Bekanntheitsgrad hat, ist die International Watch Company in den Köpfen der Amerikaner quasi nonexistent. „Wir sind die einzige Schweizer Luxusmarke mit einem amerikanischen Gründer. Diese Geschichte werden wir in Zukunft noch intensiver kommunizieren.“ Doch Grainger-Herr sieht die eigene Marke in einer guten Lage, um auch in den USA endlich Fuss zu fassen. Dass der US-Markt für Luxusgüter laut Statista aktuell 192 Milliarden US-$ beträgt, dürfte zusätzlich Anreiz sein. Wäre ja langweilig, wenn alle Probleme schon gelöst wären.
Der Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2019 „Geld“ erschienen.