In die „graue“ Zone

Die Energiewende ist eines der drängendsten Themen unserer Zeit – doch der Weg zu erneuerbaren Energien ist komplexer, als viele denken. Jonas Puck, Professor an der WU Executive Academy, plädiert für einen pragmatischen Ansatz: Unternehmen müssen oft erst „grau“ werden, bevor sie grün werden können.

„Das Ziel ist klar – das Ziel ist grün“, sagt Jonas Puck, der akademische Direktor des MBA in Energy Management an der WU Executive Academy. „Aber der Weg dorthin führt nicht nur über radikale Umbrüche, sondern oft über viele kleine Schritte. Wir müssen oft erst ‚grau‘ werden, bevor wir grün werden können.“ Erneuerbare Energien sind ein wichtiger Bestandteil der Zukunft, wenn Länder, Firmen und Haushalte die Erderwärmung stoppen wollen. Die Herausforderungen, die die viel diskutierte Energiewende mit sich bringt, sind vielfältig und gross. Der Ausbau der Netze kostet viel. Es ist mit heutigen Technologien und Stromnetzen schwierig, Versorgungssicherheit ausschliesslich mit erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Viele Bürger wehren sich dagegen, dass Windräder oder Wasserkraftwerke in ihrer Region gebaut werden – eine schlagartige Energiewende hält Puck für unwahrscheinlich.

Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Rückschritt klingt, ist für Puck die einzig realistische Strategie. Der Wirtschaftswissenschaftler, der vor 16 Jahren den Energy-Management-MBA an der WU aufbaute, kennt die Energiebranche aus verschiedenen Perspektiven: als akademischer Leiter des MBA-Programms, als Berater für Unternehmen wie Shell, OMV und Siemens – und als Forscher, der sich intensiv mit der strategischen Organisation von Öl- und Gasunternehmen beschäftigt.

„Wir sind global gesehen noch nicht so weit, dass wir von heute auf morgen auf grüne Energie umsteigen können“, erklärt Puck. „Und psychologisch fällt es vielen Menschen schwer, einen radikalen Wandel mitzumachen.“ Viele wären von der Grösse des Problems so überwältigt, dass sie kleine Massnahmen übersehen, die aber einen Unterschied machen könnten. Er plädiert dafür, das Problem in kleinere Bausteine zu zerlegen.

Für seine Analyse hat Puck die Energie-Wertschöpfungskette in drei Bereiche unterteilt: Upstream, Mid­stream und Downstream. In jedem dieser Bereiche können Unternehmen und Haushalte durch gezielte Massnahmen effizienter und damit zuerst „grauer“ werden, bevor sie später „grün“ werden.

Im Upstream-Bereich, der Energiegewinnung, sieht Puck enormes Potenzial. „Es gibt Tools, die mit KI die Effizienz in der Erdölproduktion verbessern“, nennt er ein Beispiel. Diese KI-Systeme, so Puck weiter, analysieren geologische Daten und können basierend auf der Erfahrung von Tausenden Bohrlöchern entscheiden, wo gebohrt werden soll. Puck: „Jeder erfolgreiche Bohr­vorgang bedeutet einen fehl­geschlagenen weniger – und damit auch weniger Emissionen.“ Bevor ­Ölunternehmen also Millionen in erneuerbare Energien investieren, können sie die bestehende Wertschöpfungskette effizienter machen, so Puck. Damit werden kurzfristig Kosten und Emissionen gespart; langfristig, betont der Deutsche, müssen Energieunternehmen aber sehr wohl in erneuerbare Technologien investieren, um relevant zu bleiben.

Ein besonders drastisches Beispiel für Ineffizienz findet er in Venezuela: Dort werde das Gas, das bei der Ölproduktion automatisch mitgefördert wird, verbrannt. „Das ist reine Energie, die man hervorragend weiterverwenden könnte“, sagt Puck. Das Problem: Es fehlt die Infrastruktur – Pipelines, Speicher, Verarbeitungsanlagen. Die Investi­tionen wären hoch, würden sich aber langfristig rechnen.

„Warum passiert das nicht?“, fragt Puck, und er beantwortet diese Frage gleich selbst: „Weil es teuer ist.“ Auch in Texas in den USA, wo Puck kürzlich Öl- und Gasunternehmen besucht hat, wird oft nicht effizient produziert – die Methoden, so Puck, seien veraltet. Der Grund, warum nicht mehr investiert wird,
sei simpel: Für Unternehmer im US-amerikanischen Öl- und Gasbereich würden sich die Investitionen erst nach Jahren rentieren – selbst wenn sie das Potenzial haben, die Emis­sionen des Unternehmens bereits früher zu reduzieren.

Im Midstream-Bereich, dem Transport und der Speicherung von Energie, sieht Puck einen weiteren Hebel. „Über 30 % des Seeverkehrs entfallen auf den Transport von Kohle, Öl und Gas“, erklärt er. Moderne Antriebstechnologien könnten hier viel bewirken.

Auch die Stromnetze seien ein Problem: Sie brauchen konstante Spannung, um zu funktionieren, Wind- und Solarenergie liefern aber unregelmässig Strom – mal zu viel, mal zu wenig. „Es gibt Tage, an denen es sehr windig ist und die Sonne stark scheint, und plötzlich wird die Zuleitung ins Netz so stark, dass das Netz überlastet ist“, erklärt Puck. In solchen Momenten gibt es manchmal negative Energiepreise – Produzenten müssen dafür bezahlen, dass jemand ihren Strom abnimmt.

Die Lösung sieht Puck in Speichern – entweder direkt bei den Wind- und Solaranlagen oder zentral im Netz. „Österreich hat mit seinen Pumpspeicherkraftwerken in den Alpen eine Möglichkeit, Energie in relativ umfangreichen Mengen zu speichern“, sagt er. Deutschland mit seinen weniger hohen Bergen müsse Österreich manchmal dafür bezahlen, überschüssige Energie abzunehmen.

Unternehmen und Regierungen, so Puck weiter, müssen aber auch in neue Technologien Geld investieren. Könnte man Energie besser speichern, würde das gesamte Energienetz effizienter funktionieren, sagt er. Auch die Verknüpfung der verschiedenen europäischen Energienetze hätte diesen Effekt und würde den Midstream-Bereich klimafreundlicher machen.

Im Downstream-Bereich, dem Energieverbrauch, sieht Puck den dritten Bereich der Energie-Wertschöpfungskette. Unternehmen könnten durch energiesparende Beleuchtung, bessere Isolierung oder effizientere Heizsysteme ihren Verbrauch deutlich senken.

Die Endkonsumenten könnten hier viel bewirken, sagt er. „Es geht um Regulierung und Käuferpräferenzen, aber vor allem geht es um Bewusstseinsbildung“, so Puck. Die meisten Konsumenten kennen den Energieabdruck vieler Produkte nicht. Initiativen, diesen etwa an der Produktverpackung anzubringen, hält er für richtig. Methoden, den Energieabdruck besser einzupreisen – etwa eine CO2-Steuer –, befürwortet Puck ebenso. „Manchmal funktionieren solche Anreize aber nicht“, relativiert er. „Dann muss man das durch Regulierung erzwingen.“

Die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir aufhören, in Schwarz-Weiss- Kategorien zu denken.

Jonas Puck

Pucks Fazit ist eindeutig: „Die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir aufhören, in Schwarz-Weiss-Kategorien zu denken. Wir müssen die Menschen mitnehmen, indem wir ihnen kleinere und einfacher realisierbare Ziele geben“, sagt er. Das gelte für Privatpersonen genauso wie für Unternehmen: Ein Öl-und-Gas-Konzern mit 250.000 Mitarbeitern könne nicht von heute auf morgen sein komplettes Geschäftsmodell umstellen – „aber er kann Stück für Stück effizienter und nachhaltiger werden“, so Puck.

Pucks Weg in die Energieforschung begann mit einem Beratungsprojekt. Ein Öl- und Gasunternehmen fragte bei der Universität an, ob jemand bei der Reorganisation helfen könne. „Es hatte mit Technik gar nichts zu tun“, erinnert sich Puck. Als Betriebswirt konnte er aber über Organisation und Effizienz sprechen. Das Projekt zeigte ihm ein Paradox auf, erzählt er: Die Energiebranche ist „das Rückgrat unserer Wirtschaft“, wie er sagt. Ohne sie gäbe es keine Digitalisierung, keine Industrie, keine Dienstleistungen. „Und gleichzeitig wollte sich vor 20 Jahren noch keiner damit beschäftigen“, so Puck.

Obwohl die Forschung das ­Thema mittlerweile aufgegriffen habe, existiere diese Diskrepanz weiterhin, sagt er: Nur wenige seiner Absolventen, schildert Puck, wollen in dem Sektor arbeiten – die Branche habe ein Imageproblem. Wer zu Shell oder BP geht, fürchte um seine Karriere­chancen in anderen Branchen. „Es ist ein sehr stark negativ besetztes Feld“, sagt Puck. Die Folge: Top-­Talente fehlen, Innovationen bleiben aus.

Bei seinen Forschungen stiess er ausserdem immer wieder auf hart­näckige Mythen – etwa dass Windenergieanlagen massenhaft Vögel töten. Tatsächlich schätzt der Naturschutzbund Deutschland, dass bundesweit jedes Jahr rund 100.000 Vögel durch Kollisionen mit Windrädern sterben. Zum Vergleich: Durch Katzen sterben laut Schätzungen bis zu 60 Millionen Vögel, durch Zusammenstösse mit Glasscheiben bis zu 115 Millionen Vögel pro Jahr. Dass Windenergieanlagen eine grosse Gefahr für Vögel seien, sieht Puck angesichts der Zahlen als kein gutes Argument gegen mehr Windkraft.

Ein dritter Grund, warum Puck das Thema interessiert, ist die mangelnde Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren der Energiebranche – von Öl- und Gaskonzernen bis zu grünen Start-ups. „Die Leute, die grüne Energie machen, wissen häufig gar nicht, wie sehr ihr Geschäft eigentlich von Öl und Gas abhängt“, sagt er. Diese Zusammenhänge zu entwirren und verständlich zu machen treibt ihn bis heute an.

Am Ende unseres Gesprächs nimmt sich Puck noch mal selbst bei der Nase: „Obwohl ich mich beruflich intensiv mit dem Thema auseinandersetze, erwische ich mich manchmal dabei, wie ich nicht auf meinen Energieverbrauch achte“, sagt er. Genau damit unterstreicht er aber seinen Punkt: Es gebe mit relativ kleinen Schritten viel Spielraum, den eigenen CO2-Fuss­abdruck zu senken – für Konsumenten und Unternehmen. Das kann damit anfangen, Energiesparlampen zu installieren, für die Fahrt ins Büro auf den öffentlichen Verkehr oder Carpooling umzusteigen oder Haushaltsgeräte nicht in den Stosszeiten zu verwenden. Oft sparen diese Massnahmen nicht nur Energie, sondern auch Geld. Puck: „Wenn wir alle ein bisschen reflektierter mit unserer Energie umgehen, können wir viel erreichen.“

Jonas Puck ist Professor an der WU Wien und akademischer Leiter des MBA Energy Management an der WU Executive Academy. Der gebürtige Deutsche forschte und lehrte unter anderem in den USA, China und Russland; er beriet Unternehmen wie Shell, OMV und Siemens und gründete die Beratungsfirma Intior GmbH mit.

Erik Fleischmann,
Redakteur

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