IN 17 JAHREN UM DIE WELT

Booking.com ist eine der grössten europäischen Erfolgsgeschichten des digitalen Zeitalters. Gillian Tans arbeitete sich dabei als eine der ersten Mitarbeiterinnen bis zur CEO hoch.

Googles Hauptsitz im kalifornischen Mountain View erstreckt sich auf 185.000 Quadratmeter, nach dem Anbau werden es sogar 287.000 Quadratmeter sein. Auch Facebook bewohnt einen eigenen Campus im Silicon Valley, und bei Amazon, das seinen Hauptsitz mitten in Seattle hat, bilden drei eindrucksvolle Türme die Heimat. Big Tech lives big, könnte man sagen.

Wer sich mit diesem Wissen ausgestattet auf die Suche nach dem Hauptquartier von Booking.com macht, wird enttäuscht: An einem von Amsterdams Grachten gelegen, läuft man relativ leicht am Hauptquartier des Tech-Unternehmens vorbei. Ein kleines Schild über ­einem unscheinbaren Eingang zeigt nur sehr dezent, dass hier eine der grössten Erfolgsgeschichten von Tech-Europa beheimatet ist – kein Turm, kein Campus, keine 300.000 Quadratmeter. Booking verfügt über 200 Büros weltweit, das Hauptquartier ist dabei eines von 12 Büros in Amsterdam. Die Aussage: Wo andere Tech-Unternehmen laut sind, ist Booking bescheiden. „Unsere Kultur ist sehr offen, aber dennoch zurückhaltend. Wahrscheinlich kommt das von unseren niederländischen Wurzeln“, sagt Gillian Tans, ehemalige CEO und heutige Chairwoman des Unternehmens. Wir treffen Tans in einem der vielen Loungebereiche des Standorts, die zwischen den zahlreichen Grossraumbüros für Abwechslung sorgen. Einzelbüros sind hier Mangelware – auch die Führungskräfte sitzen „mittendrin“.

Gillian Tans ist das Cover der Dezember-Ausgabe 2019 „Sicherheit“.

Die Buchungsplattform Booking.com gilt für viele als die grösste Erfolgsstory europäischer Tech-Unternehmen – noch vor Spotify, Zalando oder Skype. Das niederländische Unternehmen macht heute den Grossteil des Umsatzes des Mutterkonzerns, der auf Reiseportale fokussierten Booking Holdings, von 14,5 Milliarden US-$ aus (genaue Zahlen für die Submarken weist Booking Holdings nicht aus). Booking.com hat rund 17.000 Mitarbeiter, Booking Holdings kommt insgesamt (inklusive Booking.com) auf rund 24.000. Tans kam bereits 2002 als eine der ersten Mit­arbeiterinnen zum Unternehmen – und stieg bis zur CEO auf. Im Sommer 2019 verliess sie die Position jedoch wieder; heute ist sie als Chairwoman tätig. „Ich kenne das Unternehmen, habe es von der Start-up-Zeit bis heute begleitet. Es gibt einige hier, die schon lange dabei sind; dennoch kennen nicht viele Booking.com so gut wie ich – auch in schlechten Zeiten“, sagt Tans.

Denn Booking muss sich verändern. Um die von Tans und Co für Kunden gewünschten „Connected Trips“ aus einer Hand anbieten zu können, benötigt es eine engere Abstimmung der Submarken des Mutterkonzerns Booking Holdings. Dazu gehören neben Booking.com auch das ­Flugportal Kayak, die Hotelbuchungsplattform Agoda, der Reisedeal-Anbieter Priceline, der Online-Autoverleih Rentalcars und die Reservierungsplattform OpenTable. Um diese Verschränkung auch personell zu untermauern, führt Booking-Holdings-CEO Glenn Fogel seit Sommer auch die Flaggschiffmarke Booking.com als CEO.

Gillian Tans
... ging nach Abschluss einer Hotelfachschule für drei Jahre in die USA. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie für die Hotelkette Golden Tulip Hotels, bevor sie 2002 als eine der ersten Mitarbeiterinnen zu Booking.com kam. Sie wurde 2011 COO, 2015 President und 2016 CEO. Im Sommer 2019 verliess sie diese Position; heute ist sie als Chairwoman für die strategische Ausrichtung des Unternehmens zuständig.

Tans selbst kümmert sich als Chairwoman vorrangig um strategische Themen. Dabei will sie helfen, Bookings Wachstum zu befeuern, das Produkt für die Kunden zu optimieren und zudem die Kultur des Unternehmens beizubehalten. „Ich war immer stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Kultur bei Booking zu bewahren“, so Tans. Doch lässt sich die europäisch geprägte Kultur in einem US-Konzern, mit einem US-amerikanischen CEO und einem Anspruch auf globale Marktführerschaft so einfach weiterleben?

Booking.com wurde in den frühen Tagen des Internets gegründet, um Hotels die Suche nach Gästen zu erleichtern. Die beiden Vorläufer des heutigen Unternehmens, bookings.nl (gegründet von Geert-Jan Bruin­sma) und Bookings Online (gegründet von Sicco und Alec Behrens, Marijn Muyser und Bas Lemmens), fusionierten im Jahr 2000 und fingen nach der Anstellung von Gillian Tans 2002 an, sich neben den Niederlanden auch auf europäische Märkte zu fokussieren. Das Geschäft lief gut; um zu wachsen und die internationale Expansion voranzutreiben, brauchte das Unternehmen jedoch externes Kapital. Dieses war für Start-ups im Jahr 2005 in Europa Mangelware – weshalb sich das Managementteam entschied, das Unternehmen an das US-Unternehmen Priceline zu verkaufen, das sich auf Reiseportale fokussierte.

Heute gilt dieser Verkauf (für 135 Millionen US-$) als eine der lukrativsten Akquisitionen in der Tech-Geschichte überhaupt. Booking.com wuchs rasant und wurde für Priceline so relevant, dass sich das Unternehmen 2018 in Booking Holdings umbenannte. Gillian Tans erzählt, dass die damaligen Umstände keine andere Option ermöglich hätten: „Heute bekommt man in Europa viel leichter Kapital. Damals war das einfach nicht möglich.“ Mit seinen rund 29 Millionen Listings ist Booking.com die grösste Buchungsplattform für Hotels, und auch in Sachen alternative Unterkünfte – ein Feld, das Airbnb stets für sich beansprucht – ist man mit rund sechs Millionen Listings gleichauf mit dem US-Konkurrenten. Neben Unterkünften will Booking aber zunehmend auch andere Kategorien erobern, etwa Museumstickets oder Kulturaktivitäten integrieren.

 

Booking in Zahlen
(Quelle: Booking)

Währenddessen ist Airbnb aber schon einen Schritt weiter und setzt zunehmend auf „Experiences“, also Aktivitäten, die die Reisenden bei lokalen Hosts vor Ort buchen können, etwa Kochkurse. Die Umsätze der Sparte halten sich allerdings noch in Grenzen: In den ersten drei Quartalen 2018 verdiente Airbnb laut der Tech-News-Seite The Information mit der „Experiences“-Sparte 15 Millionen US-$ – eine ordentliche Summe, bei einem Jahresumsatz von 3,5 bis 4 Milliarden US-$ aber nur ein Tropfen auf dem heissen Stein. Doch für Gillian Tans ist das Feld dennoch spannend: „Es geht nicht nur um die reinen Zahlen. Vielmehr wollen Kunden Hilfe auf ihrem connected trip.“ Der Vorteil: Booking Holdings könnte die Erwartungshaltung mit seinen Submarken abdecken. So könnten Nutzer ihren Flug über Kayak buchen, das Hotel über Booking.com, das Mietauto über Rentalcars und die Tischreservierung über OpenTable – alles aus einer Hand.

Dafür denkt das Unternehmen sogar eine „Travel-Super-App“ an. Tans ist vorsichtig: „Es kommt darauf an, wie man das macht. Einfach nur Marken zu verknüpfen bringt nichts. Man muss sich überlegen, ob man den Nutzern hilft – dann kann man natürlich Dienste hinzufügen, etwa die Tischreservierung.“ Mit den Herausforderungen, die Booking bevorstehen – neue Märkte wie die USA und Asien erobern und Konkurrenten in Schach halten –, geht auch eine veränderte Rhetorik einher: Fogel ist als CEO lauter, als man es von Tans gewohnt war. Wird Booking amerikanisch? Tans winkt ab: „Booking ist sehr europäisch, das hat sich nie verändert. Insbesondere, wenn wir in den USA und Asien Erfolg haben wollen, benötigen wir jedoch eine starke, sichtbare Marke.“

Gillian Tans lernte in ihrer Kindheit zwei Welten kennen. Ihr Vater war in einem Automobilunternehmen tätig, arbeitete hart, verbrachte viel Zeit im Büro und nahm seine Tochter oft dorthin mit. Harte Arbeit lohnt sich, das war die Botschaft. Tans’ Mutter war wiederum künstlerisch veranlagt: Sie fertigte Skulpturen und unterrichtete zudem Kunst an der Universität. „Meine Mutter zeigte mir, wie man aus nichts etwas erschaffen kann“, erzählt Tans.

Für eine der mächtigsten Frauen in der europäischen Tech-Szene – und in ihrer Zeit als CEO mit 14 Millionen € Jahresgage eine der bestbezahlten – hat Tans einen ungewöhnlichen Lebenslauf: kein Studium, keine Erfahrungen in Führungspositionen, keine Corporate-Vergangenheit. Aufgewachsen in einem kleinen Ort nahe Utrecht, der vor allem für seine Apfelplantagen bekannt ist, fing sie früh an, ihr eigenes Geld zu verdienen. „Ich wuchs in einer Gegend voller Apfelbäume auf. Das war auch mein erster Job – Äpfel zu pflücken.“ Sie wollte in die Hotelbranche, ging nach dem Abschluss der Hotelfachschule 1993 aber erst einmal für drei Jahre in die USA, wo sie für die Entertainmentsparte des Schokoladeherstellers Hershey’s tätig war. „Ich durfte verschiedene Tätigkeiten ausüben. Ich war in die Eröffnung eines Restaurants involviert, arbeitete aber auch viel im Bereich Marketing und Sales“, so Tans. Als sie in die Niederlande zurückkehrte, fing sie bei der ­Hotelkette Golden Tulip Hotels an, wo sie auch mit Geert-Jan Bruinsma, dem Gründer von Booking.com, erstmals in Kontakt kam. „Alle dachten damals, seine (Bruinsmas, Anm.) Idee, Hotel­buchungen online anzubieten, sei verrückt. Aber ich war dafür zuständig, neue Kunden zu akquirieren, und ich habe früh erkannt, dass das Internet mir vielleicht behilflich sein kann.“

 

Gilian Tans Erfolgsgeschichte in Etappen
(Quelle: Eigenrecherche)

Die Zusammenarbeit funktionierte – wenig später erhielt Tans das Angebot, bei Booking.com anzufangen. „Das war eigentlich eine eigenartige Entscheidung, denn ich hatte ja schon einen Job, in dem ich erfolgreich war. Aber ich glaubte an diese Idee, also sagte ich zu.“ Tans war in verschiedenen Rollen tätig, etwa für Sales oder IT verantwortlich, bevor sie 2011 erst COO, 2015 dann auch President wurde und damit de ­facto die operative Leitung des Unternehmens übernahm. Die Rolle festigte sie mit der Beförderung zur CEO 2016, bevor sie diese Position 2019 räumte, um sich als Chairwoman vorrangig strategischen Themen zu widmen.

Den in Medien beschriebenen angeblichen Machtkampf zwischen Holdings-CEO Glenn Fogel, dem sehr präsenten Kayak-CEO Steven Hafner und sich selbst sieht die Niederländerin nicht: „Wir haben die Entscheidung gemeinsam getroffen. Die Gruppe verändert sich, die Marken rücken enger aneinander. Es macht Sinn, dass eine Person Booking.com und Booking Holdings führt.“ Insbesondere Hafner ist jedoch kritisch bezüglich der Strategie von Booking: So will er etwa, dass Booking.com seine Technologie kleineren Hotels zur Verfügung stellt – so, wie es auch die indische Plattform Oyo macht. Bookings Führungscrew empfindet die Idee jedoch als zu teuer. „Ich denke, wir könnten das tun“, sagt Hafner gegenüber The Information, „und kommuniziere das auch eindeutig.“ Doch Tans betont, dass es keine Machtkämpfe gebe: „Ich war immer davon überzeugt, dass man kooperativ arbeiten muss. Ich bin keine Person, die einfach ihr eigenes Ding macht.“ Neben Airbnb sehen viele Beobachter aber auch Google als Konkurrenten für Booking – denn der IT-Riese setzt neben Flugbuchungen (Google Flights) mit Google Travel auch zunehmend auf das Kerngeschäft von Booking: die Buchung von Unterkünften. Tans: „Wir nutzen Google, um Kunden zu finden. Dabei helfen sie uns, wir arbeiten eng zusammen.“ Und selbst wenn, so Tans: Der Travel-Markt mache rund 10 % der globalen Wertschöpfung aus – es gebe also genug Platz in der Branche.

Sie selbst wolle in ihrer neuen Rolle vor allem eines: lernen. „Ich habe immer darauf fokussiert, Neues zu lernen. Das war mir sehr wichtig. Ich zwinge mich stets dazu, besser zu werden“, sagt die Niederländerin. Laut Tans hat sich trotz aller Veränderungen an der Unternehmenskultur von Booking.com nicht viel verändert: „Ich war immer stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Kultur beizubehalten. Das ist harte Arbeit, das passiert nicht einfach so.“ Und als ob es von langer Hand geplant war, blinken gegen Ende des Fotoshootings auf einem Monitor hinter Tans die Leitbilder des Unternehmens auf. „Think Customer First“ steht dort, aber auch „Succeed Together“, „Own It“, „Learn Forever“ – und „Do The Right Thing“.

Text: Klaus Fiala
Fotos: Aron Süveg

Der Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2019 „Sicherheit“ erschienen.

Forbes Editors

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.