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Von der Neuköllner Oper zur Justizvollzugsanstalt Moabit: Sandra Weckert verschafft sich auf jeder Bühne Gehör für ihre Mission. Mit ihrer braintreeacademy will sie Menschen dazu bewegen, in Führung zu gehen. Weckert spricht über ihre Vergangenheit in der Männerdomäne Jazz, Werkzeuge zur erfolgreichen Unternehmensorganisation und die Vision für ihre Akademie.
Sandra Weckert liebt den grossen Auftritt – so viel steht bereits nach der ersten Minute im Gespräch fest. Als „Jazzkünstlerin goes Organisationsentwicklerin“ ist das aber nicht besonders verwunderlich. Obwohl: Wirklich an den Nagel gehängt hat Weckert ihr Dasein als Musikerin nie. Vielmehr verbindet sie ihr Können in beiden Disziplinen und hat damit ihre ganz eigene Interpretation einer Unternehmensberatung geschaffen.
Mehr als zehn Jahre lang war die in der damaligen DDR geborene Weckert in Musikensembles und grossen Orchestern aller Art aktiv, schrieb Kompositionen und Hörspiele, veröffentlichte zehn Studioalben und trat auch mit ihrer eigenen Band auf. „Das Leiten des Zusammenspiels von mehreren Dutzend Künstlern hat mich so einiges über Gesellschaft, Organisationen und Systeme gelehrt“, erläutert sie.
Ihr Erfolg in der Beraterszene war jedoch nicht von Anfang an klar. Denn ihren Traum zu leben dauerte ein wenig: Viermal bewarb sie sich an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin – und kassierte jedes Mal eine Absage. Beim letzten Antritt riet die Kommission ihr sogar davon ab, jemals professionell ins Musikgeschäft einzusteigen, und sprach ihr jegliche Musikalität ab. Ein traumatisierendes Erlebnis, so Weckert: „Ich musste mich dermassen bemühen, nicht vor den Herren in Tränen auszubrechen. Als ich den Raum verliess, schwor ich mir, dass mir das nicht noch einmal passiert.“
Bevor sie als Unternehmerin durchstartete, folgten dennoch mehrere Jahre des Scheiterns und der Selbstfindung. „Ich habe es schon immer geliebt, andere Menschen auszubilden und zu trainieren. Also begann ich vor gut 20 Jahren, Deutsch zu unterrichten.“ Als Lehrerin wurde sie im Bildungsauftrag vom Berliner Arbeitsamt an Schulen entsandt, wo sie vor heterogenen Klassen stand. Den Schülern mangelte es oft an Interesse für das Erlernen der Sprache, man merkte ihnen stark an, dass sie zum Erscheinen gezwungen wurden. Was Weckert ebenso auffiel: Die Lehrmaterialien waren in keinster Weise verständlich oder realitätsnah für die Schüler aufgebaut. Kurzerhand beschloss sie, den Unterricht mit eigenen Methoden und Materialien zu gestalten. Weckerts wichtigstes Hilfsmittel: die Musik. „Mir kamen sofort allerlei Lieder in den Sinn, die Themen wie den Konjunktiv einfach erklärbar machen. Mit Musik konnte ich die Schüler bewegen, motivieren und wach bekommen. Die Grammatiklektionen blieben im Kopf hängen. Die Schüler waren begeistert, meine Kollegen und Vorgesetzten aber empört.“
Es folgten zahlreiche Rausschmisse aus den verschiedensten Schulen, bis Weckert nach der ihr erneut widerfahrenen Ablehnung klar wurde, dass sie ihr eigenes Unternehmen aufbauen musste, um so zu arbeiten, wie sie das möchte. 2009 lieh sie sich 30.000 € von ihren Eltern, um ihrem Traum einer eigenen Schule näher zu kommen. Heute hat die braintreeacademy® zwei Standorte, der Hauptsitz befindet sich in der Neuköllner Sonnenallee in Berlin, während in Ulm eine zweite Niederlassung errichtet wurde. „Aus meiner Sicht ist es für jeden Menschen wichtig, zu verstehen, wie man ein Unternehmen als Führungskraft leitet; ganz egal, ob das ein Manager bei Daimler oder ein Handwerker aus dem Mittelstand in ländlichen Gegenden ist“, sagt Weckert.
Ein guter Manager geht sofort zum Bass, gesprächige Mitarbeiter aus Marketing oder Vertrieb greifen zu den Posaunen.
Ihr Talent, komplexe Prozesse aus dem systemischen Coaching – etwa das Spiral-Dynamics-Modell von Clare Graves, das die menschliche Bewusstseinsentwicklung erklärt – für jedermann verständlich zu machen, verbindet sie noch heute mit der Musik. Ihre patentierte Methode trägt den Namen „bigbandmethod®“. Neben vier selbst geschriebenen und aufeinander aufbauenden Büchern sowie Coachingsessions, die Kunden bei ihrer Entwicklung unterstützen sollen, beinhaltet Weckerts Methode auch das Musizieren mit Instrumenten. „Das Musikstudio in meiner Filiale dient dazu, dass die Menschen ankommen und sich mit der Situation und Umgebung anfreunden. Dabei zeigen sich Eigenheiten: Ein guter Manager geht sofort zum Bass, gesprächige Mitarbeiter aus dem Marketing und Vertrieb greifen zu den Posaunen oder den Mikros“, erklärt Weckert.
Ihre Methode findet heute Anklang bei Testimonials aus allen Bereichen; darunter auch die Unternehmerin und Bildungsexpertin Verena Pausder: „Ich bin ein grosser Fan von Sandra Weckert und ihrer braintreeacademy. Ich selbst war bereits Teil eines Big-Band-Experiments, habe mich nach wenigen Minuten am Schlagzeug wiedergefunden und war begeistert vom Elan und dem Selbstbewusstsein, das im ganzen Raum zu spüren war“, erzählt Pausder in einer Videobotschaft auf Weckerts Website.
Weckert liebt es, Coach zu sein und zu beraten. Doch sie ist nicht ganz einverstanden mit den aktuellsten Entwicklungen in ihrer Branche: „Die Pandemie hat ein weiteres Massenphänomen hervorgebracht: Plötzlich schossen sogenannte Lebens- und Unternehmensberater wie Pilze aus dem Boden. Dabei haben viele von ihnen nie eine vollwertige Ausbildung absolviert oder den Wissensstand erreicht, den es aus meiner Sicht für das Handwerk braucht. Ich möchte auf keinen Fall in einen Topf mit jenen geworfen werden, die nur auf das schnelle Geld aus sind“, stellt Weckert klar. Neben den Neuankömmlingen konnten auch Etablierte die Pandemie nutzen: Global agierende Strategieberatungsunternehmen wie die Boston Consulting Group (BCG) sind nach eigenen Angaben im Coronajahr 2020 um rund 8 % gewachsen.
Ihr handwerkliches Können hat Weckert bereits in zahlreichen Aufträgen unter Beweis gestellt: Einer davon führte die Beraterin ins marokkanische Casablanca. Nach dem verheerenden Terroranschlag im Jahr 2003, bei dem die Attentäter 33 Menschen in den Tod rissen, wurde in den Slums der Hafenstadt ein Jugendtreff gebaut. In diesem Haus der Begegnung war es Weckerts Auftrag, mit den Jugendlichen zu arbeiten, um dem radikalen Islamismus als Ideologie etwas entgegenzusetzen. „Die Jugendlichen haben meine Bücher sogar ins Arabische übersetzt. Es war toll, mitanzusehen, wie man dem Terrorismus den Nährboden entziehen kann – einfach dadurch, dass die Jugendlichen eine sinnvolle Beschäftigung bekommen haben und mit Unterstützung zu Führungspersönlichkeiten heranwachsen konnten.“
Auch die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit kennt Weckert „von innen“ – im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz wurden die oftmals auf ihre Straftaten reduzierten Gefangenen zu einer Big Band organisiert. Über die Musik soll die andere Seite der Individuen mit ihren Fähigkeiten „zum Klingen“ gebracht werden, erklärt Weckert, die selbst 18 Instrumente spielt. Die neue Kompetenz, nämlich im Gefängnis ein Musikinstrument erlernt zu haben, soll zusätzlich das Selbstbewusstsein der Inhaftierten stärken.
Sandra Weckert
...lernte bereits in frühen Jahren Geige und Klavier. Im Alter von 16 Jahren lernte sie Jazz kennen und war anschliessend viele Jahre als Musikerin tätig. Sie studierte Anglistik und Musik an der Universität Rostock. 2009 gründete sie ihr Unternehmen braintreeacademy, mit dem sie Führungskräfte berät. Die von ihr patentierte „bigbandmethod“ beruht auf ihren Erfahrungen in der Musikwelt.
Die Methoden und auch ihr eigenes Personal – Weckert beschäftigt zwei Standortleiterinnen, die sich um die Ausbildung der Coaches kümmern – seien nun so ausgereift, dass die umtriebige Unternehmerin in der Lage ist, zumindest einen Teil ihrer Tätigkeiten abzugeben. „Wir haben eine Onlineakademie mit mittlerweile rund 400 Tutorials aufgebaut. Um den grösstmöglichen Impact zu haben, muss ich wieder dahin zurück, wo ich herkomme: als Speakerin auf die Bühne – inklusive Musik.“
Um ihre Methode zu multiplizieren, bietet Weckert sie auch Franchisepartnern an. Diese können mit Methoden wie der „bigbandmethod®“ und einzelnen Tools aus Weckerts Werkzeugkasten ein eigenes Unternehmen starten. Besonders Frauen möchte sie dabei zu einer Existenzgründung und zur finanziellen Unabhängigkeit verhelfen: „Ich habe während meiner Zeit in der Männerdomäne Jazz gespürt, wie Frauen im Berufsleben Steine in den Weg gelegt werden. Wir können uns nur durchsetzen, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Die Weitergabe von Wissen ist dabei ein ganz zentraler Punkt“, so Weckert.
Ganz beiläufig erwähnt Weckert, dass bereits Filiale Nummer drei in Umsetzung ist; wo genau die dritte Niederlassung sein wird, wird jedoch noch nicht verraten. Klar ist nur, dass diese über smarte Haustechnik verfügt, umweltfreundlich und digitalisiert ist – die Energieversorgung soll über Solarpanels erfolgen. Wenn es nach Weckert geht, gibt es die braintreeacademy® in zehn Jahren in verschiedenen Regionen rund um den Globus. Sie will in den englischsprachigen Raum genauso wie nach China, Russland und in arabische Länder expandieren. Das Wachstum wird auch ihre Rolle verändern – Weckert: „Eine Eingebung sagt mir, dass ich dann gerne in Island oder Uruguay leben möchte, nach wie vor als Speakerin tätig bin und immer nur dann geholt werde, wenn es brenzlig wird.“
Text: Chloé Lau
Fotos: braintreeacademy
Dieses Advoice erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.