Frauen sind nicht risikoavers

Es wird geschätzt, dass jedes Jahr weltweit über 150.000 neue Start-ups ent­stehen – viele mutige Ideen, die die Welt verändern wollen. Doch eines bleibt seit Jahren konstant: Nur ein kleiner Teil davon wird von Frauen gegründet.

Selbst im Silicon Valley, wo Träume angeblich grenzenlos sind, liegt der Anteil weiblicher Gründer laut dem Report „2025 Silicon Valley Index“ bei gerade einmal 13,7 % – und das, ­obwohl Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung stellen und laut Nielsen bis 2028 für rund 75 % aller Konsum­entscheidungen verantwortlich sein werden, von Urlauben über Gesundheit bis hin zu Autos und Technologie.

Wenn Frauen also für drei Viertel des Konsums verantwortlich sind, warum entwickeln sie dann nicht in diesen Proportionen neue Unternehmen? Diese Frage stelle ich mir seit Jahren selbst. Die gängige Antwort auf diese Schieflage lautet oft: „Frauen sind risikoavers.“ Dies ist einer der bequemsten Mythen unserer Zeit.

Ich habe das Thema genauer betrachtet und mit mehreren Risikoexperten gesprochen. Die spannende Erkenntnis: Die risikoreichste Entscheidung im Leben einer Frau ist nicht die Gründung eines Unternehmens, sondern das Heiraten. Tatsächlich gilt die Heirat laut ­Risikoexperten als eine der unsichersten Entscheidungen im Leben einer Frau: Scheidung, finanzielle Abhängigkeit, gesellschaftlicher Druck, häusliche Gewalt, Verlust von Rechten – das volle Risiko-Paket. Und trotzdem sagen Millionen von Frauen weltweit „Ja, ich will!“, manchmal sogar zum wiederholten Mal. Das ist kein Zeichen von Risikoaversion – das ist Mut, Neugier und vielleicht auch ein bisschen verrückter Optimismus.

Ich habe mich gefragt, warum sie es trotzdem tun. Liegt es an der Kultur, an gesellschaftlichen Erwartungen, an Religion oder Tradition? Wahrscheinlich an all dem ein bisschen. Aber vor allem liegt es daran, dass Frauen in dieser Hinsicht Role Models haben: Mütter, Schwestern, Freundinnen – sie alle haben geheiratet. Es ist das, was sie sehen, was sie kennen, was ihnen vorgelebt wird.

Und genau das fehlt in der Start-up-Welt: sichtbare Vorbilder; Frauen, die zeigen, dass Unternehmertum nicht riskanter ist als die Hochzeit, nur deutlich produktiver. Mädchen und Frauen bringen viele der entscheidenden Gründerinnen-Skills längst mit: Resilienz, Durchhaltevermögen und Mut. Klingt das nicht nach perfekter Gründerinnen-DNA?

Natürlich kann ein Start-up scheitern – bei rund 95 % der Start-ups ist das der Fall. Aber mal ehrlich: Auch Ehen haben in letzter Zeit keine viel besseren Quoten. Der Unterschied? In einem Start-up bist du deine eigene Chefin – und du darfst mehrere gleich­zeitig „lieben“, ohne dass jemand eifersüchtig wird.

Frauen sind nicht risikoavers, sondern sie sind Risikomanagerinnen. Was ihnen fehlt, ist nicht der Mut, sondern die gesellschaftliche Ermutigung. Wir brauchen mehr Unternehmerinnen, die sichtbar sind, die über ihre Fehler und Triumphe sprechen – und damit andere inspirieren. Denn Veränderung passiert nicht von selbst; sie beginnt, wenn wir gemeinsam die Spielregeln neu schreiben. Also, liebe Unternehmerinnen, zeigt euch! Und bitte unterstützt mindestens eine junge oder neue Gründerin pro Jahr.

Ich habe das berühmte Zitat von Madeleine Albright ein wenig angepasst: „There is a special place in heaven for women who help other women grow, rise and shine.“ Natürlich müssen nicht alle Frauen, also die Hälfte der Weltbevölkerung, Unternehmerinnen werden, nur um die Statistiken zufriedenzustellen – aber jene, in denen das Feuer des Unternehmertums brennt, sollten die Chance bekommen, es zu leben.

Asetila Köstinger
Impact-Unternehmerin und Business Angelina
Koestinger & Partners FlexCo

Illustration: KI-generiert

Forbes Contributor

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