Family Business

International aufgestellt waren die Gründer des argentinischen Softwareunternehmens Belatrix schon immer. In den USA wird sich entscheiden, wie wettbewerbsfähig das Unternehmen sein wird.

Es ist ein interessantes Bild, das sich dem Betrachter bietet: Mitten im Herzen der argentinischen Stadt Mendoza, unweit des Plaza Independencia und der belebten Einkaufsstrasse Avenida San Martin entfernt, gelangt man über zwei Stockwerke in das Büro von Belatrix. Das Unternehmen gehört zu den am schnellsten wachsenden Südamerikas in der Softwarebranche. Und das ausgerechnet aus der 15.000-Einwohner-Stadt Mendoza nahe den chilenischen Anden heraus, die für über 70 Prozent der argentinischen Weinbauproduktion verantwortlich ist. Erst kürzlich wurde Belatrix bei dem jährlichen American Business Awards für die „Company of the Year“ ein Silver Stevie Award verliehen. Zudem wurde Co-CEO Luis Robbio vom argentinischen Präsidenten Mauricio Macri zu einem der Top 20 „Business Leader der Zukunft“ gewählt.

Belatrix war nach eigenen Angaben eines der ersten südamerikanischen Unternehmen, das „Agile“ (Ansätze in der Softwareentwicklung, die sich durch besonders viel Interaktion der Teammitglieder auszeichnet, um schneller zu Ergebnissen zu kommen) und „Scrum“ andwandte. Jeder Mitarbeiter, insgesamt sind es rund 600, ist in Agile geschult, 25 Prozent haben eine „Scrum Master“-Zertifizierung (spezielles Modell des Projekt- und Produktmanagements, das insbesondere in der agilen Softwareentwicklung eingesetzt wird). 1993 gegründet, fokussierte sich Belatrix zu Beginn auf industrielle Prozessautomatisierung für die Automobilindustrie in Argentinien. Heute zählen Konzerne wie Disney, Adobe, Disney, AO, PwC und Farmacity zu den Kunden von Belatrix. In den offen textierten Büroräumlichkeiten im „El Guipur“ genannten Gebäude sitzen vorrangig junge Informatiker und Softwareentwickler, die aus Universitäten aus dem Umkreis stammen. Internationalität wird ebenso gross geschrieben, so gibt es einen regen Mitarbeiter-Austausch mit südamerikanischen Nachbarländern sowie mit den USA.

Mittlerweile befinden wir uns im Raum der Chefetage. Zwei Männer Anfang 40 diskutieren angeregt mit einem älteren Herren, der einen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte trägt. Ab und zu unterbrechen sie sich, werfen ein Argument ein, widersprechen sich – doch zu keinem Zeitpunkt wird es dabei richtig hitzig. Vielmehr ist die Diskussion spürbar von gegenseitigem Respekt geprägt. Belatrix ist ein rein familiengeführtes Unternehmen.  Luis, Federico und Alex Robbio sind Co-CEOs und zu einem Drittel Miteigentümer. Unternehmerisch geprägt waren sie schon immer, die beiden Söhne Federico und Alex erzählen lachend von ihrem ersten „Business“: im Alter von 15 Jahren kauften sie Computer in Buenos Aires an und verkauften sie wiederum in Mendoza. Oder sie verlangten Geld für ein eigens für ihre Freund veranstaltetes „Kino“, bis ihre Mutter ihnen die Aktivität verbat.

Allesamt bringen die Gründer einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund mit. Vater Luis Robbio ist gelernter Elektroingenieur, der, vor seiner unternehmerischen Tätigkeit in leitenden Positionen des argentinischen Maschinenbauunternehmens Impsa (mit Sitz in Mendoza, Anm.) oder der Macri Group tätig war. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeiten arbeitete er in Brasilien, in den USA und Norwegen, wo ihn die gesamte Familie begleitete. Federico studierte nach dem Familienaufenthalt in den Vereinigten Staaten Wirtschaftsingenieurwesen in Buenos Aires und arbeitete anschliessend bei der Techint-Gruppe (auf Bauwesen und Stahlproduktion spezialisiert, Anm.), bevor er nach Mendoza zurückkehrte. Alex absolvierte wiederum einen Abschluss in Psychologie an der Nationalen Universität von San Luis (Region San Luis). In den frühen 2000er-Jahren entschied er sich, mit seiner Frau und seiner damals fünfjährigen Tochter in die USA zu ziehen. Dort arbeitete er als Reinigungskraft eines Supermarktes und als Telefonist in einem Callcenter, um sich über Wasser zu halten.

„Anschliessend stellte mich ein Softwareunternehmen ein (Brooklyn Technologies; existiert heute nicht mehr, Anm.), das später der erste Kunde von Belatrix wurde. Sie schätzten meine Arbeit – aber ich sagte: ,Es gibt noch bessere Softwareentwickler als mich in Argentinien. Organisieren wir doch einen Trip nach Mendoza.“ Dies markierte den eigentlichen Startschuss für Belatrix, so gilt auch Juli 2002 als Geburtsstunde des Unternehmens. Dieses kristallisierte sich zusehends zu einem Dreh- und Angelpunkt in der Region, mehr und mehr junge Menschen fanden dort Arbeit. Generell wächst die IT-Branche seit Beginn der 2000er-Jahre stetig an: Damals arbeiteten laut Federico noch 20.000 Menschen in dieser Sparte, heute sind es 100.000. Ein wichtiger Hebel war hierbei ein argentinisches Gesetz, das Softwareunternehmen Steuervorteile verschaffte.

Dennoch war es alles andere als leicht den Betrieb in Mendoza aufzusetzen. Lächelnd erzählen die Gründer davon, dass die ersten Mitarbeiter ihre eigenen Laptops mitbringen mussten oder Bürotische von ihnen selbst zusammengebaut wurden. Auch die Finanzierung stemmte man von Beginn an zu 100 Prozent von selbst, das Wachstum verlief in weiterer Folge organisch. Doch kam bzw. kommt es nicht nach wie vor gerade aufgrund des Familienbandes zu Streit? „Luis ist zwar unser Vater, aber im Betrieb verhält er sich nicht so. Vielmehr sind wir in diesem Umfeld Partner, und als solche diskutieren wir auch miteinander“, sagt Alex, „Bei strategischen Fragen versuchen wir einen Konsens zu finden. Es gab noch keine wichtige Entscheidung, wo zwei von uns den dritten überstimmt haben.“

Dennoch wurde die interne Entscheidungsfindung 2008 auf eine harte Probe gestellt. Damals eröffnete Belatrix einen Standort in China, man erhoffte sich besonders durch gut ausgebildete Softwareentwickler und (vermeintlich) niedrigere Lohnkosten einen Wettbewerbsvorteil. Denn das Unternehmen wuchs zu der Zeit derart rasch, dass es schwierig wurde, im eigenen Land genügend Talente zu akquirieren. „Ich wollte den Standort eigentlich nicht schliessen. Vielleicht war es einfach das falsche Timing“, sagt Luis. Zahlreiche Diskussionen folgten, schliesslich entschlossen die drei Robbios 2010 die Pforten dicht zu machen – kulturelle Unterschiede, besonders was das Verständnis von Führung betrifft, die grosse Differenz durch die Zeitzone sowie die teilweise sogar höheren Lohnkosten bewogen sie dazu.

Dennoch hat dies Belatrix nicht geschadet – mittlerweile betreibt man Zentren quer durch Südamerika (Buenos Aires, Lima, Bogotà, Mendoza, Chacras de Coria). 2017 eröffnete Belatrix ein eigenes Headquarter im Silicon Valley. In den USA wird sich wohl entscheiden, wie wettbewerbsfähig das Unternehmen in Zukunft sein wird. Denn dort fällt die Konkurrenz weitaus höher aus als in Südamerika.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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