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Bas van Abel bietet mit Fairphone eine faire, nachhaltig produzierte Alternative zu Apple & Co. Doch lässt sich so Geld verdienen?
Ein Hotel nahe des Wiener Westbahnhofs. An der Bar: ein frühstückender Niederländer, grossgewachsen, blond, Anfang vierzig. Bas van Abel heisst der Mann, der ein schlichtes T-Shirt trägt. Vor ihm griffbereit: wie bei Millionen anderen frühstückenden Menschen ein Mobiltelefon. Doch sein Gerät unterscheidet sich von gängigen Telefonen. Das „Fairphone“ ist ein unter nachhaltigen Bedingungen produziertes Smartphone, das die oftmals fragwürdige Herstellung dieser Geräte umweltfreundlicher und sozialer gestalten soll. Van Abel ist nicht nur Nutzer eines Fairphones, sondern auch Gründer und CEO des gleichnamigen Unternehmens. Und er ist überzeugt, dass seine Idee auch wirtschaftlichen Erfolg haben wird: „Bewusster Konsum wächst. Nachhaltigkeit und Ethik sind keine Nische mehr, da gibt es enormes Potenzial. Beispielsweise ist das Unternehmen Tony’s Chocolonely, das Schokolade verkauft, in der keine Zwangsarbeit in der Produktion steckt, heute Marktführer in den Niederlanden.“
Doch bei van Abels Unternehmen ist der Name nicht zu hundert Prozent Programm – auch die Fairphones werden nicht vollkommen „fair“ hergestellt, wie der Niederländer betont: „Anfangs hoffte ich, dass ein einzelner Mensch im Detail verstehen könne, was in der Produktionskette eines Smartphones passiert – aber das ist unmöglich, ein Smartphone besteht aus 1.200 Komponenten. An der Herstellung sind Hunderte Fabriken und Zehntausende Arbeiter beteiligt. Im Grunde ist die gesamte Welt darin verwickelt.“ Da der Produktionsprozess derart kompliziert und breitgefächert ist, sei es notwendig, Nutzern ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass sie ein Bestandteil der Wertschöpfungskette sind: „Wie bei Fairtrade-Schokolade, ist es unser Ziel, das Fairphone den Kunden anhand seiner Entstehungsgeschichte ,schmackhaft‘ zu machen.“
Dass der Unternehmer aus Amsterdam in Wien ist, hat mit der Verleihung des Trigos-Ehrenpreises für nachhaltiges Wirtschaften zu tun. Diese wurde von der Unternehmensplattform RespACT gehostet. Fairphone sei in Österreich sehr beliebt, hier habe man besonders viele Kunden, so van Abel. Aber auch in Deutschland und der Schweiz kommt van Abels nachhaltiges Smartphone gut an. Warum? Weil sich laut van Abel viele Menschen den Luxus leisten könnten, das Risiko einzugehen, ein Mobiltelefon zu kaufen, das weitgehend unbekannt ist.
Das Fairphone 2 (das zweite Modell des Unternehmens) ist etwas klobig und in einem Blauton gehalten. Durch ein transparentes, milchiges Gehäuse ist das elektronische Innenleben des Geräts gut erkennbar – und erinnert ein wenig an einen GameBoy Pocket. Verglichen mit einem iPhone ähnelt es vielleicht sogar einem Spielzeug aus Lego. Denn das Fairphone 2 ist das weltweit erste modulare Smartphone. Wenn der Lautsprecher versagt, die Kameralinse kaputtgeht, der Akku schwächelt oder das Display springt, können Nutzer die betroffenen Module selbst austauschen – ganz einfach ohne Schraubenzieher. „Auch meine Mutter kriegt das hin“, sagt van Abel.
„Unser Ansatz stellt die Geschäftsmodelle von Unternehmen infrage, die möglichst viele Mobiltelefone in den Markt pushen wollen“, so der CEO. Um nachhaltiger zu wirtschaften, konzentrieren sich grosse Hersteller auf das Recycling von Smartphones. „Da jedoch nur zwanzig Prozent wirklich recycelt werden, gibt es heute mehr Mobiltelefone als Menschen auf diesem Planeten“, so van Abel. Ausserdem seien rund sechzig Prozent des ökologischen Fussabdrucks eines Smartphones auf einen sehr hohen Energieverbrauch in der Produktion zurückzuführen.
Van Abels Ziel in der Entwicklung des Fairphones war es daher, jene Komponenten zu isolieren, die schnell kaputtgehen. Damit soll die Nutzungsdauer eines Smartphones – diese macht üblicherweise vier bis fünf Jahre aus – verdoppelt werden. Im Gegensatz zu den etablierten Herstellern müssen Fairphone-Kunden ihr Gerät etwa nicht als Ganzes zur Reparatur schicken, wenn die kurzlebige Lithium-Ionen-
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Doch um modular zu sein, musste Fairphone einige Kompromisse eingehen. So ist das Gerät etwas klobiger als die schlanken Exemplare der grossen Elektronikunternehmen. Heutzutage seien Kunden von dünnen Geräten geradezu besessen. „In gewisser Weise leiden wir alle an einer Smartphone-Anorexie“, sagt der Niederländer. Dass Performance-
Tests dem Fairphone-Prozessor nur halb so viel Leistungskapazität wie jenen der zeitgleich erschienenen Highend-Modelle von Apple, Samsung und Co. attestieren, beunruhigt van Abel nicht: „Dieser technische Nachteil macht für neunzig Prozent der Nutzer keinen Unterschied aus. Ihr Whatsapp funktioniert auch mit einem schnelleren Prozessor nicht rascher.“
Bas van Abel
…ist gelernter Industrieingenieur. Nach dem Studium war er unter anderem für die gemeinnützige niederländische Stiftung Waag Society als Kreativdirektor tätig sowie Leiter des Open Design Lab. Im März 2012 gründete der Niederländer Fairphone. Bisher verkaufte die Organisation 160.000 Smartphones.
Die fehlende Schlankheit und Leistungsstärke des Fairphones will van Abel durch die doppelt so lange Lebensdauer aufgrund der modularen Bauweise ausgleichen – auch in finanzieller Hinsicht: Nach fünf Jahren rentiere sich der Kauf eines Fairphone 2 für rund 500 €, so der Niederländer. Zum Vergleich: Das Samsung Galaxy S9 ist ab rund 519 € erhältlich, Apples iPhone X ab 1.149 €.
Sämtliche Elektronikhersteller (einschliesslich Apple, Samsung und Sony) beziehen das für Lithium-Ionen-Akkus unersetzliche Cobalt laut der NGO Amnesty International nach wie vor aus Minen in der Demokratischen Republik (DR) Kongo. Dort bestünde ein sehr hohes Risiko an Menschenrechtsverletzungen. Doch in dem kriegsgeplagten Land befinden sich mehr als die Hälfte der weltweit bekannten Cobalt-Vorkommen. Knapp 74.000 Tonnen des seltenen Metalls wurden vergangenes Jahr dort abgebaut. „Die DR Kongo ist und bleibt die grösste Herausforderung. Rebellen gehen dort sehr brutal vor, um Minendörfer unter ihre Kontrolle zu bringen“, sagt van Abel. Doch gar kein Cobalt aus der DR Kongo zu beziehen, sei laut van Abel auch nicht die richtige Lösung: „Die betroffenen Unternehmen (die das Metall dort abbauen, Anm.) dürfen nicht einfach bestraft werden. Vielmehr sollte es positive Anreize geben, sie dazu zu motivieren, die Bedingungen vor Ort zu verbessern.“
Um zu demonstrieren, wie das funktionieren könnte, rief van Abel 2011 eine Initiative für transparente und soziale Wertschöpfungsketten in der Elektronikindustrie ins Leben. Zu Beginn plante er nämlich nicht, ein eigenes Gerät zu entwickeln. Er wollte lediglich den grossen Playern und ihren Kunden einen Spiegel vorhalten. Als 2013 van Abels erstes eigenes Smartphone auf den Markt kam, war es ihm gelungen, konfliktfrei geschürftes Zinn und Tantal (zwei zentrale Bestandteile des Chipsets, das das Kernstück des Smartphones ausmacht, Anm.) aus der DR Kongo zu beziehen. Mittlerweile kooperiert sein Unternehmen mit unzähligen lokalen NGOs sowie Betrieben wie der österreichischen Wolfram Bergbau und Hütten AG, um neben Zinn und Tantal auch Gold (für den Schaltkreis, Anm.) und Wolfram (Vibrationsmotor, Anm.) aus zertifizierten Minen in Südamerika und Afrika zu beziehen. Van Abel und sein Team konzentrieren sich zurzeit auf insgesamt zehn Metalle, die für zukünftige Projekte interessant sind, weil sie oftmals in Zusammenhang mit Konflikt, Umwelt- und Gesundheitsproblemen gebracht werden. Neben den oben genannten zählen dazu noch Indium (Display, Anm.), Gallium (Chipset, Anm.), Nickel (Hülle des Chipsets, Anm.) und diverse Seltene Erden (Lautsprecher, Anm.).
Auf die Frage, was ihn in seiner Arbeit antreibt, erwidert der Niederländer: „Ich liebe Technologie und entwickle diese gerne weiter – jedoch immer mit einem sozialen Zweck.“ Als Jugendlicher in Utrecht spielte van Abel noch mit dem Gedanken, Theologie zu studieren, entschied sich dann doch für den Besuch einer Kunstakademie sowie ein anschliessendes Maschinenbau-Studium. „Wer nur an Technologie arbeitet, kann sich leicht darin verlieren und ist nur noch mit der Lösung technologischer Probleme beschäftigt. In der Kunst musst du hingegen immer über den sozialen Kontext deiner Arbeit nachdenken. Ich kombiniere beide Herangehensweisen, um neue Wege für eine sinnvolle Nutzung von Technologie zu erschliessen.“
Mit seinen rund siebzig Mitarbeitern verkaufte Fairphone bisher knapp 160.000 Smartphones. 2017 wurde mit 27.500 abgesetzten Stücken ein Umsatz von rund 15 Millionen € erwirtschaftet. Doch aufgrund von Problemen mit der Versorgung konnte das Unternehmen im Vorjahr nur vier Monate produzieren: „Wir mussten sogar unsere Geschäfte schliessen, weil wir die Nachfrage nicht mehr bedienen konnten.“ Zum Vergleich: Die Marktführer Samsung und Apple verkauften 2017 317,3 beziehungsweise 215,8 Millionen Smartphones. Apple erwirtschaftete alleine im letzten Quartal 2017 einen Umsatz von 52,6 Milliarden US-$. Laut dem Beratungsunternehmen Strategy Analytics entspricht das einem weltweiten Marktanteil von über 50 Prozent.
Doch hier stellt sich die Frage ob sich angesichts dieser Übermacht tatsächlich Geld mit nachhaltigen Smartphones verdienen lässt? Fairphone ist zwar aktuell noch nicht profitabel – doch das soll sich laut van Abel schon bald ändern. Sohin versteht sich Fairphone als eine gewinnorientierte Organisation. Mit Produktionsengpässen sei in Zukunft jedenfalls nicht mehr zu rechnen: „Da wir unsere Versorgungsketten jetzt weitgehend im Griff haben, wird das Fairphone erstmals auf Lager produziert. Zwar können wir die Hunderten an der Herstellung beteiligten Minen und Fabriken nicht vollkommen kontrollieren. Doch wir können unsere Programme (zur Verbesserung der Wertschöpfungskette, Anm.) stetig weiterentwickeln – hier wollen wir unsere Gewinne investieren.“ Zudem finanziert sich Fairphone nicht mehr ausschliesslich durch Crowdfunding, mittlerweile stammen über zehn Millionen € von europäischen Impact-Investment-Communities wie der Doen Foundation und Pymwymic.
Mittlerweile hat van Abel das zuvor in all seine Einzelteile zerlegte Fairphone in Sekundenschnelle wieder zusammengebaut. Auch unser Gespräch neigt sich dem Ende zu. Also: Wohin geht die Reise als Nächstes? Für van Abel erst einmal zurück nach Amsterdam und „am Wochenende (das Interview fand Anfang Juli statt, Anm.) auf ein Festival mit einer guten Mischung aus Dance und Techno“. Fairphone soll in Zukunft „eine Plattform für mehr als nur Hardware und Technologie“ werden, nämlich für die „man eine Art Mitgliedschaft kauft“. Dafür will van Abel neue Geschäftsmodelle testen: Etwa möchte er Unternehmen Fairphones als Dienstleistung „vermieten“, sodass die modularen Geräte einfacher retourniert und weiterverwendet werden können. Durch diese Kreislaufwirtschaft würden alle Ressourcen eines Smartphones bestmöglich genutzt – und das Geschäftsmodell der grossen Hersteller wie Apple oder Samsung jedenfalls ein Stück weit herausgefordert.
Text: Florian Peschl
Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.