Europa: Hightech-Rakete ohne Treibstoff

Ein Gastkommentar von Niklas Hagen Schwake.

Europa befindet sich im Digitalisierungs- und Innovationswettlauf mit dem Rest der Welt. Sieht man sich die Anzahl an Erfolgsgeschichten, etwa von Google, Facebook oder Amazon, an, scheint es, als seien uns die USA meilenweit voraus. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass wir Europäer in Bezug auf die Entwicklung neuer Technologien durchaus wettbewerbsfähig sind: Schlüsselkennzahlen wie die Anzahl der Patente pro Einwohner, wissenschaftliche Publikationen pro Einwohner oder Ausgaben für Forschung und Entwicklung (anteilig am BIP) zeigen, dass es keinen signifikanten Unterschied zu den USA gibt. Der Global Innovation Index (GII) führte 2018 acht europäische Länder in den Top Ten – neben Singapur und den USA. Zudem treiben 20 Millionen KMU in stark diversifizierten Industriestrukturen Innovationen voran. Warum gibt es dennoch kaum globale Tech-Unternehmen „made in Europe“?

Niklas Hagen Schwake ist als Director beim deutschen Venture-Capital-Investor Earlybird tätig. Earlybird fokussiert sich in seinen Investments auf Start-ups in West- und Osteuropa. Schwake ist Mitglied der „Forbes 30 under 30 Europe 2018“.

In den letzten Jahren hat sich viel getan: neue Investoren, Accelerator-Programme, Gründer, die ihr Know-how weitergeben. Gründungskosten sinken durch technologische Fortschritte. Und historische Hürden, etwa der fragmentierte europäische Markt, behindern die Skalierung europäischer Start-ups wegen des Internets nicht mehr. Die positiven Entwicklungen in der frühen Gründungsphase erzeugten einen steten Strom an durch Risikokapital finanzierten Start-ups in Europa. Diese Unternehmen haben einen gewissen Reifegrad erreicht. Die Verfügbarkeit von Geldmitteln ist für ihren letztendlichen Erfolg entscheidend, denn da werden die Weichen gestellt, ob sie ein Local Champion bleiben oder Global Player werden. Doch obwohl wir einen regen Innovationsfluss und viel frühphasiges Kapital sehen, mangelt es an europäischen Investoren, die „Tickets“ von mehr als zehn Millionen € in späteren Wachstumsphasen ausstellen. Damit stehen die erstklassigen Innovationen und neuen Technologien Europas in Widerspruch zur begrenzten Verfügbarkeit von Wachstumskapital. Jeder Dollar, der 2017 in den USA frühphasig investiert wurde, verursachte viereinhalb weitere Dollar Anschlussfinanzierung in der Wachstumsphase. In Europa war es im Vergleich nur ein Dollar. Relativ zur Wirtschaftsleistung ist der Risikokapitalmarkt in den USA 13-mal so gross wie der deutsche – ein Armutszeugnis. In Europa und vor allem den deutschsprachigen Ländern mangelt es an einer umfangreichen und reifen Risikokapitalbranche. Die Bereitstellung von Geldern durch Stiftungen, Pensionsfonds und andere institutionelle Investoren war bislang auf einen sehr geringen Prozentsatz des verwalteten Vermögens begrenzt – ein klarer Nachteil gegenüber den USA.

Die geringere Grösse der euro­päischen Risikokapitalindustrie und die gleichzeitig wachsende Anzahl an Neugründungen und Frühphasenfinanzierung eröffnen grosse Chancen für uns Europäer. Es gilt, sie wahrzunehmen, bevor es angloamerikanische Investoren tun. Europa ist ein Kontinent der Erfinder und Unternehmer, das Investitionsumfeld ist attraktiv wie nie zuvor. Wir müssen der steigenden Anzahl an Unternehmen in der Wachstumsphase also Innovationstreibstoff zur Verfügung stellen, damit die nächsten globalen Tech-Erfolgsgeschichten aus Europa kommen.

Illustration: Valentin Berger

Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2018 „Europa“ erschienen.

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