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Zur richtigen Zeit das richtige Produkt, scheint die aktuelle Devise bei LVMH zu sein: Der Luxuskonzern hat auf die Herstellung von Desinfektionsmittel umdisponiert – um dieses kostenfrei auszugeben. Was steckt dahinter?
Krisen bergen Veränderung: Während viele Betriebe ihre Geschäfte schliessen müssen, haben andere die Chance, zu zeigen, was der Blick auf das Wesentliche in schwierigen Zeiten bewirken kann. So agiert gerade auch LVMH: Der französische Luxusgüterproduzent, zu dem Marken wie Louis Vuitton, Hennessy, Dior und TAG Heuer gehören, hat Mitte März verkündet, den französischen Behörden bei der Bekämpfung des Coronavirus unter die Arme zu greifen. Drei Fabriken des Unternehmens, in denen normalerweise kostbares Eau de Parfum in Flakons der Marken Dior, Givenchy und Guerlain gefüllt wird, wurden auf die Herstellung von Desinfektionsmittel umgestellt. Dieses wird im Anschluss kostenfrei an die französischen Behörden abgegeben, besonders der Krankenanstaltenverbund APHP (Assistance publique - Hôpitaux de Paris), eine der grössten Einrichtungen seiner Art in ganz Europa, soll unterstützt werden.
Zusätzlich zu Handdesinfektionsmittel stellt LVMH auch Frankreichs Schutzmaskenvorrat sicher: Im Rahmen eines Abkommens mit einem chinesischen Hersteller werden seit vergangenen Montag für eine Dauer von mindestens vier Wochen wöchentlich zehn Millionen Masken nach Frankreich importiert. Die anfallenden Kosten pro Woche betragen laut LVMH etwa 5 Millionen € – und werden in der ersten Woche vom Luxuskonzern selbst getragen.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Geschwindigkeit LVMH auf den Notstand reagierte – binnen Tagen war die gesamte Produktion neu ausgelegt worden. Für LVMH ist klar: Luxus hat zurzeit für viele Menschen einen anderen Stellenwert als sonst. Früher galt Luxus als die Bereitstellung von Produkten in höchster Qualität – heute ist die Definition komplexer, und an eine Vielzahl von Faktoren geknüpft. Was in jeder anderen Situation als die unglücklichste Erweiterung der Produktpalette gelten würde, ist momentan genau das Richtige: Zu keinem anderen Zeitpunkt würde es für ein Luxusunternehmen Sinn machen, ein Handdesinfektionsmittel zu produzieren.
Auch die Ankündigung und Präsentation der Umstellung in der Produktion geschahen anders als sonst: Keine Werbekampagnen, keine Produktlancierung, kein Branding – LVMH produziert auf No-Name-Basis. Nichts deutet darauf hin, dass das Unternehmen die neuen Handdesinfektionsmittel für eine seiner Marken bestimmt hat – der Inhalt der Flaschen ist das einzige, was zählt.
Hinter Arnaults Vorgehen steckt neben Barmherzigkeit aber auch ein gutes Mass an Strategie: Natürlich, das Unternehmen reagiert in erster Linie auf einen Mangel an Handdesinfektionsmittel und Schutzmasken. Darüber hinaus signalisiert der Konzern Verbrauchern sowie Mitarbeitern, ein Unternehmen zu sein, das im öffentlichen Interesse handelt. Ausserdem kann LVMH so rechtfertigen, dass seine Fabriken geöffnet bleiben und seine Mitarbeiter weiterhin ihre Arbeit verrichten können. Das alles rückt den Luxuskonzern in ein neues Licht: Mehr Zielgerichtetheit, weniger Kommerz.
Der Blick auf das, was zählt, ist in Zeiten wie diesen essenziell. Während Betriebsschliessungen in aller Welt Profite verringern, müssen Unternehmen über den Tellerrand blicken und manifestieren, was zu tun ist, um die eigene Position zu wahren. Flexibles Denken ist also gefragt – dies scheint LVMH vorerst bewiesen zu haben.
LVMH-CEO Bernard Arnault war auf dem Cover unserer Januar 2020-Ausgabe Radical Change.
Zu unserem Artikel zu Arnault geht es hier.