Ein Leben für den Wettkampf

Mit Bwin fasste Carsten Koerl erstmals Fuss in der Sportdatenbranche. Der grosse Durchbruch gelang dem Deutschen dann aber mit Sportradar. Das Unternehmen aus St. Gallen ist seit September 2021 an der Nasdaq notiert – und Koerl seit 2022 mit einem Vermögen von einer Mrd. US-$ auch auf der Forbes Billionaires List vertreten. Doch was genau macht Sportradar so wertvoll?

Die Meetingräume im neu eröffneten Sport­radar-Standort am Austria Campus in Wien tragen jeweils die Namen von Sportlegenden. Auf die Frage, ob das Interview im Raum von Roger Federer oder Hermann Maier stattfinden soll, fällt die Wahl letztendlich auf den österreichischen Skifahrer – was sich als durchaus passend herausstellen soll. Koerl spricht nämlich das bekannte Comeback des Österreichers bei den Olympischen Winterspielen in Nagano 1998 an, als dieser nach einem schweren Sturz in der Abfahrt nur wenige Tage später zurückkehrte und noch zwei Goldmedaillen gewann. Dieser unbändige Siegeswille ist für den Sportradar-Gründer eine Quelle der Inspiration. «Ich bin sehr kompetitiv. Der Wettbewerb macht mir Spass, ganz besonders das Gewinnen. Sport allein wegen des Sports zu betreiben, macht müde», sagt er lächelnd. Diese Aussage spiegelt sich in seinem beruflichen Werdegang durchaus wider. Carsten Koerl hat mit Bwin und Sportradar zwei Unternehmen gegründet, in denen sich alles um den sportlichen Wettkampf dreht.

Mit Sportradar – seiner zweiten grossen Gründung – hat Koerl einen der führenden Sportdatenanbieter der Welt. Das Unternehmen, das seinen Hauptsitz in St. Gallen hat, aber an 35 Standorten in 19 Ländern vertreten ist, erfasst Daten und transformiert diese in digitale Inhalte. Zu den Kunden gehören Buchmacher und Medienunternehmen, aber vor allem auch Sportklubs und -verbände, darunter der europäische Fussballverband UEFA, die Basketballliga NBA, die NHL (Eishockey), NASCAR (Autorennen) und die ATP (Tennis).

Seit 2021 notiert Sportradar an der US-Techbörse Nasdaq. Doch der Kurs entwickelte sich bisher ganz und gar nicht nach Koerls Vorstellungen. Der Ausgabepreis betrug 27 US-$, was eine Marktkapitalisierung von rund acht Mrd. US-$ bedeutete. Seither ging es jedoch bergab mit dem Kurs, aktuell liegt Sportradar bei 10,9 US-$ und einer Marktkapitalisierung von 3,24 Mrd. US-$. Koerl sagt: «Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nicht enttäuschend ist.» Das natürlich auch, da Koerls Nettovermögen mit seinen 32 % der Anteile massgeblich vom Aktienkurs abhängt. 2022 schaffte es der Deutsche erstmals auf die Forbes Billionaires List, aktuell liegt sein Vermögen bei rund einer Mrd. US-$.

Doch für Koerl ist das alles erst der Anfang. Er will Anleger überzeugen, zu investieren und mithilfe von Daten das Sporterlebnis transformieren.

Die Geschichte von Sportradar startete auf einer Australienreise von Koerl, nachdem er sich aus dem operativen Geschäft seiner ersten Gründung, dem Sportwettenanbieter Bwin, zurück­gezogen hatte. Das Unternehmen hatte Koerl gemeinsam mit dem ehemaligen Skifahrer und heutigen Sportmarketier Harti Weirather sowie Varta-Mehrheitseigentümer Michael Tojner gestartet. Koerl hatte einen Serviceprovider aufgebaut und seinen Wohnsitz extra nach Österreich verlegt, da dort vorteilhaftere Lizenzierungsmöglichkeiten für Wettanbieter galten. 1998 war die Seite online gegangen. Eine der bedeutendsten Entwicklungen in der Firmengeschichte war die Einführung des eigenen Live-Wettprodukts, das es Spielern ermöglicht, während eines laufenden Ereignisses Wetten abzuschliessen. Dieses Feature, das mit Blick auf Glücksspielsucht auch immer wieder scharf kritisiert wird, war äusserst lukrativ für das noch junge Unternehmen.

2000 ging Bwin (damals Betandwin) an die Börse in Wien, 2001 stieg Koerl aus dem operativen Geschäft aus. Die mittlerweile grossen Strukturen kamen dem Unternehmer nicht entgegen, wie er betont: «Wenn man fünf, sechs Jahre daran gewöhnt ist, schnelle unternehmerische Entscheidungen zu treffen, dann wird es schwierig, wenn da ein Aufsichtsrat dazwischen sitzt, der womöglich andere Interessen hat. Es war ein wichtiges Learning für mich. Ich funktioniere besser, wenn ich Unternehmer sein und Entscheidungen treffen kann.»

Er machte eine Auszeit und bereiste mit seiner Frau Australien. Dort lernte er Petter Fornass and Tore Steinkjer kennen. Die beiden Entwickler aus Norwegen hatten kurz zuvor das Start-up Market Monitor gegründet. In ihrer Technologie zur Extraktion und dem Vergleich von Quoten von Buchmachern erkannte Koerl viel Potenzial, aber auch Schwachstellen. Er gab ihnen Tipps und empfahl, Buchmachern Systeme anzubieten, um Inkonsistenzen zu erkennen, anstatt diese auszunutzen. Doch Koerl wollte nicht nur beraten – er stieg als Hauptinvestor ein.

«Am Times Square zu
sitzen, wo die Bilder von
Bill Gates und Mark Zuckerberg hängen,
die dort auch ihr IPO hatten,
ist ein cooles Gefühl.»

Carsten Koerl

«Das waren damals etwa 145.000 CHF. Sicherlich war das nicht viel Geld, aber ich habe danach nie mehr investiert, weil von Anfang an klar war, dass wir etwas geschaffen haben, was der Markt braucht. Ich kannte natürlich einige Kunden im Sportbereich, und so hat sich das Unternehmen entwickelt», erzählt er. Noch im selben Jahr gründeten die Market-Monitor-Eigentümer die Sportradar AG, die fortan als Mutter­unternehmen fungierte. Market Monitor wurde in Sportradar AS umbenannt und als Tochter­unternehmen weitergeführt. Koerl war Mitglied des Gründungsteams und wurde zum CEO der Sportradar AG ernannt. Eine Entscheidung, die sich als goldrichtig erwies, wie die Expansionen und Erweiterungen der Geschäftsbereiche in den nächsten Jahren zeigen sollten.

Sportradar wuchs in der Folge rasant – vor allem auch über Zukäufe. 2012 kaufte man das slowenische Unternehmen Klika und erhielt eine Investition über 43 Mio. CHF von EQT. 2013 sicherte sich das Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an Sportstat, dem Datenpartner von Rugby World Cups und World Snooker. 2014 wurde Sportdata (heute Sportradar US) übernommen, gefolgt von der Sicherung exklusiver Vertriebsrechte für NASCAR, NFL und NHL sowie Investitionen von Michael Jordan und Mark Cuban im Jahr 2015. Im April 2016 übernahm Sportradar das Kerngeschäft der Sportsman ­Media Holding GmbH, einschliesslich Laola1.at.

Das umfangreiche Wachstum führt zu einem breit gefächerten Tätigkeitsfeld. Sportradar bietet etwa auch Dienste zur Wettmanipulationsbekämpfung an, im Kern stehen aber Sports-Content-Produkte sowie umfassende Dienstleistungen für Wettanbieter über die Submarke Betradar. Heute beschäftigt das Unternehmen knapp 4.000 Mitarbeiter und ist in 120 Ländern aktiv.

Obwohl Koerl mit der Kursentwicklung nicht zufrieden ist, war der Börsengang im Jahr 2021 dennoch der bedeutendste Meilenstein für Sportradar. «Dort am Times Square zu sitzen, wo die Bilder von Bill Gates, Mark Zuckerberg und anderen hängen, die dort ihr IPO (Initial Public Offering, erstmaliges öffentliches Angebot von Wertpapieren, Anm.) hatten, ist ein cooles Gefühl. Das wird nur dadurch noch getoppt, wenn man dort mit Michael Jordan sitzt – ein wirklich tolles Erlebnis. Mir war es wichtig, dass möglichst viele dabei waren», erzählt Koerl.

Bei der grossen Inszenierung an der Nasdaq, bei der ein Buzzer zum Start des Handels betätigt wird, machte Koerl eine bemerkenswerte Beobachtung in Bezug auf Sportradar-Investor Michael Jordan. Die Basketball-Legende war entschlossen, als Erster den Buzzer zu betätigen, doch Koerl war schneller (er schlug beim Countdown bereits bei eins drauf). «Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der ehrgeiziger ist als Jordan. Das zeigt sich in allem, sogar beim Münzwurf. Er wollte besser im Golf werden – und baute sich seinen eigenen Golfplatz», so Koerl. Im direkten Vermögensvergleich hat Jordan die Nase vorn. Laut Forbes beträgt Jordans Vermögen 3,2 Mrd. US-$, während Koerl mit einer Mrd. US-$ gelistet ist.

Dass die Entwicklung des Aktienkurses überhaupt nicht dem entspricht, was Koerl im eigenen Unternehmen sieht, verschleiert der Unternehmer nicht. «Es ärgert mich kolossal. Meiner privaten Meinung nach verdienen wir einen besseren Kurs, aber da kann ich jetzt Purzelbäume schlagen», meint Koerl. «Der Kurs an der Börse ist nun mal festgelegt und ich muss ständig dazulernen, um die Aktionäre zu begeistern und sie zum Investieren zu motivieren.» Das Management einer börsennotierten Firma mit Quartalsberichterstattung in den USA betrachtet Koerl nicht unbedingt als förderlich für die langfristige Unternehmensentwicklung. Er bevorzugt eher einen nachhaltigen Weg, «der konsistentes Wachstum über die Jahre zeigt, anstatt sich auf kurzfristige Quartalsschwankungen zu fokussieren».

Seit dem Börsengang gibt es jedoch auch etwas, worüber er sich freut. «Ich halte ungefähr 30 % der kommerziellen Aktienpakete und zusätzlich klassische Aktien im Verhältnis eins zu zehn. Diese Kombination verleiht mir die Kontrolle über mehr als 80 % der Stimmrechte», sagt er. «Das ist das Learning von Betandwin (heute Bwin, Anm.), wo ich merkte, dass es für mich nicht passt, wenn ich nicht massgeblich über die Geschicke der Firma bestimmen kann.»

Denn Koerl weiss genau, wie er die Zukunft von Sportradar gestalten will – mit einer klaren Vision, die auf Offenheit, Datenaggregation und strategischer Partnerschaft basiert. Als Gründer und CEO des Unternehmens hat er einen klaren Kurs für Sportradar gesetzt, der auf der Überzeugung beruht, dass Daten der Schlüssel zur Transformation des Sporterlebnisses sind. Zentral für seine Strategie ist die Entwicklung einer offenen Plattform, die es ermöglicht, Sport- und Fan-Daten global zu sammeln, zu aggregieren und in einem nutzbaren Format bereitzustellen. «Für uns geht es darum zu verstehen, dass wir nicht die einzigen Akteure in dieser globalen Arena sind», betont Koerl. «Es geht darum, Standards zu setzen und den Austausch von Daten zwischen allen Beteiligten zu erleichtern. Unsere Plattform soll agnostisch sein, sodass Partner ihre eigenen Applikationen einfach integrieren können.»

Koerl sieht in dieser Positionierung eine enorme Chance, indem das Unternehmen sich von einer linear verlaufenden Datenquelle zu einem integralen Teil eines breiteren Datenökosystems transformiert. «Durch strategische Partnerschaften und B2B-Modelle haben wir bereits gezeigt, wie erfolgreich diese Strategie sein kann», erklärt Koerl. «Unser Ziel ist es, weiter zu wachsen, indem wir unsere Dienste verbessern und gleichzeitig neue Datenquellen integrieren, um unsere Position als führendes Unternehmen im Bereich Sportdaten zu stärken.»

Fotos: Philipp Horak

Paul Resetarits,
Redakteur

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