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Mit Ellen Blumenstein wurde eine der bekanntesten deutschen Kuratorinnen für Kunst und Kultur in der HafenCity Hamburg bestellt. Ihr Credo: urbane Räume brauchen Kultur.
Kunst regt den städtischen Wandel an, stellt in Frage und hat Auswirkungen auf Image, Wirtschaft sowie soziale und kulturelle Milieus einer Stadt. Sie kann als ein regelrechter Katalysator agieren – insbesondere als Kunst im öffentlichen Raum in noch wenig erschlossenen Stadtvierteln beziehungsweise Gegenden, die gerade erst „im Kommen“ sind. Wie eine übergreifende Einbindung von Kunst in ein noch junges urbanes Gefüge und damit in die Stadtentwicklung funktionieren kann, zeigt das Beispiel „Kunst und Kultur in der HafenCity“ in Hamburg. 2008 offiziell zum eigenen Hamburger Stadtteil erklärt, ist die HafenCity mit rund zehn Milliarden € an privaten und drei Milliarden € öffentlichem Investitionsvolumen aktuell Europas grösstes innerstädtisches Stadtentwicklungsprojekt. Bis 2025/30 soll auf dem vollständig von Fluss- und Kanalläufen umgebenen, rund 2,2 Quadratkilometer grossen Areal Wohnraum für bis zu 15.000 Menschen, 3.000 Hotelzimmer und Arbeitsplätze für bis zu 45.000 Personen entstehen. Bereits vor der Fertigstellung ist die HafenCity nicht nur wegen der Elbphilharmonie – dem bekanntesten und zugleich umstrittensten Bau des Stadtteils – und der Lage am Wasser für ihre Bewohner und Besucher attraktiv. Neben zahlreichen Bars, Restaurants, Cafés und Geschäften, einer Grünanlage mit Obstbäumen, die von Jedermann abgeerntet werden darf, und „Urban Fishing“, also Angeln mitten in der Grossstadt, tut sich auch in der Kunst so einiges.
Imagine the City – aus anderer Perspektive
Die Kooperation „Kunst und Kultur in der HafenCity“ wurde von der Hamburgischen Kulturstiftung und der HafenCity GmbH 2005 als Förderinstrument in der Frühphase der HafenCity-Entwicklung gegründet. Bis 2012 unterstützte und finanzierte die Kooperation insgesamt 24 Projekte, welche sich aktiv mit der damals neuen Umgebung und seiner spezifischen Ästhetik auseinandersetzten – mit dem Ziel, Interesse für das kulturelle Potenzial des neuen Stadtteils zu wecken. Um auch langfristig künstlerische Projekte in der HafenCity zu verankern beziehungsweise dieser eine kulturelle Identität zu geben, wurde die Kooperation 2017 in einen Verein umgewandelt. Mit Ellen Blumenstein wurde eine der bekanntesten deutschen Kuratorinnen für das Stadtviertel bestellt. Die Literatur-, Musik- und Kommunikationswissenschafterin wirkte zuletzt von 2012 bis 2016 als Chefkuratorin am Berliner KW Institute for Contemporary Art. Zuvor war Blumenstein 20 Jahre lang international im Bereich zeitgenössischer Kunst tätig, u.a. im Team der documenta X in Kassel und des MoMA PS1 in New York.
Der Verein „Kunst und Kultur in der HafenCity e.V.“ realisiert aktuell das Programm „Imagine the City“ und kümmert sich sowohl um die Verwaltung des durch die HafenCity Hamburg GmbH bereitgestellten Budgets von 250.000 € für zwei Jahre als auch um die Akquise zusätzlicher Mittel. „Unser Ziel ist nicht die Aufwertung des Areals im ökonomischen Sinne sondern im Hinblick auf seine Lebendigkeit, seine Offenheit für ganz unterschiedliche Nutzergruppen und seine Aufenthaltsqualität“, erklärt Blumenstein, die ihr Büro im Traditionsschiffhafen auf dem ehemaligen Seebäderschiff „Seute Deern“ eingerichtet hat.
„Urbane Räume brauchen Kultur“, so das Credo, „weil erst die Affekte, mit denen Menschen auf eine Stadt reagieren und durch die sie stabile Bindungen zu ihr entwickeln, sie mit Leben erfüllen.“ Als HafenCity-Kuratorin versucht Blumenstein daher zuallererst Strategien zu definieren, die Menschen ihrer Meinung nach darin unterstützen, sich emotional auf den jungen Stadtteil einzulassen. Diese Aufgabe sei für alle Beteiligten Neuland, da es keine Erfahrungswerte gäbe, auf die sie sich berufen könne: „Das ist aufregend, aber mitunter auch anstrengend; auch weil ich wichtige Akteure, die bisher noch nichts oder wenig mit Kunst zu tun hatten, von meinen Visionen überzeugen muss.“ Kooperiert wird hier bereits mit Institutionen wie der HafenCity Universität, dem Büro Heller Architects & Designers, der Stahlbaufirma Fr. Holst oder der Hamburg Port Authority (Hafenmanagement von Hamburg, Anm.) . Blumensteins wichtigstes Thema für die nächste Zeit sei dabei die Finanzierung: „Wir haben zwar ein solides Grundbudget (250.000 €, Anm.), aber für das Programm, das wir uns vorstellen („Imagine the City“, Anm.) und das im Stadtraum und medial gleichermassen wahrgenommen werden soll, hätte ich gerne eine Null mehr auf dem Konto.“ Zum Vergleich: Ein ähnlich gelagertes Projekt, „Urbane Künste Ruhr“ in Bochum, hat einen Etat von über drei Millionen €.
Bei ihrem im November 2018 gestarteten Kulturprogramm „Imagine the City“ setzt Blumenstein auf langfristig angelegte Kunstprojekte an frei zugänglichen Orten beziehungsweise sogenannten „Un-Orten“ und ist überzeugt: „Eine gute Stadt entsteht durch gute Planung. Aber lebendig wird sie durch unvorhergesehene Nutzungen.“ Sei es an Bord eines Schiffes, in einer Tiefgarage, einem Supermarkt oder, wie beim gerade eröffneten Auftaktprojekt, mittels eines Riesen-Smileys auf der Kibbelstegbrücke.
Kunst als Stimmungsbarometer
Auf der ältesten Brückenverbindung des Viertels, genau zwischen Altstadt und HafenCity, leuchtet derzeit in acht Meter Höhe ein gigantisches Lächeln aus Stahl und Neonröhren. Die Installation namens „Public Face“ der Künstler Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer wurde in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten u.a. bereits in Wien, Berlin und Stuttgart präsentiert. Nun soll der mit Unterstützung ortsansässiger Unternehmen überarbeitete Prototyp der Installation für mindestens ein Jahr die HafenCity als Kulturort sichtbar machen. Dabei reagiert er direkt auf sein urbanes Umfeld: der Smiley kann nämlich nicht nur lächeln, sondern auch traurig, zornig oder überrascht dreinschauen – je nach der durchschnittlichen Gefühlslage der Passanten im Stadtteil. Deren Gesichtsausdrücke werden von Sicherheitskameras im Stadtviertel erfasst und, ohne sie zu speichern, von einer Software in Echtzeit an die Mechanik der Installation gesendet. Ein von den Künstlern entwickelter Algorithmus übersetzt diese Informationen in eine konkrete Emotion, die sich dann in der jeweiligen Stimmung des Smileys widerspiegelt.
„Public Face beschäftigt sich künstlerisch mit den Auswirkungen von Überwachungsmechanismen und soll einen kritischen Diskurs befeuern“, so Richard Wilhelmer. Das Projekt geht auf ein bereits 2010 entwickeltes Konzept zurück, und ist nicht zuletzt auch ein Symbol unseres Digitalzeitalters: „Wir sind auf ein damals noch sehr neues Projekt des Fraunhofer Instituts gestossen, bei dem es darum ging, Emotionen aus Gesichtern abzulesen. Das Thema ,Metadaten’ war damals im Bezug auf Datenschutz in der Öffentlichkeit noch kein Thema. Heute zählen ähnliche, sehr viel komplexere Algorithmen zum Alltag und sind standardmässig in Smartphones und Digitalkameras integriert.“ Für Kuratorin Blumenstein ist das „Public Face“ das beste Beispiel für die zuvor erwähnte überraschende Perspektive: „Es macht die Menschen sichtbar, die die Stadt nutzen – und vor allem, wie sie sich darin fühlen.“ Dabei gehe es nicht um das Befinden einzelner, sondern um die kollektive Stimmung und um die Frage, ob das Smiley die typischen Schwellenängste, mit denen etwa Museen zu kämpfen haben, überwinden und mittelfristig das Bewusstsein für die Gemeinschaft stärken kann.
Positiv sieht die Kuratorin auch generell die Entscheidung, Kultur systematisch in die Stadtplanung einzubeziehen. Dies unterscheide sich grundlegend von klassischen Programmen für Kunst im öffentlichen Raum, bei denen bildende Künstler zumeist auf bestehende Räume reagieren. Hamburg nehme hier bereits eine Vorreiterrolle ein, denn anstatt wie üblich durch eine Jury Einzelwerke zu beauftragen und die inhaltliche Auseinandersetzung damit an unterschiedlichste Individuen zu delegieren, erarbeite sie als von der Kulturbehörde beauftragte Stadtkuratorin erstmals ein zusammenhängendes Programm, das zwischen städtischem Alltag, künstlerischen Anliegen und Nutzern vermittelt: „Dieser Schritt bedeutet eine Aufwertung von Kultur und die Anerkennung ihrer gemeinschaftsstiftenden Funktion. Kultur besetzt in der Stadtentwicklung so eine scheinbar unmögliche Position, nämlich das Nicht-Planbare in der Planung zu verankern.“
Blumenstein geht davon aus, dass ökonomische und kulturelle Nutzungskonzepte künftig noch stärker ineinander verschränkt sein werden als dies heute schon der Fall ist. „Die extreme Verdichtung von Raum einerseits und das flächenmässige Wachstum von Städten andererseits werden Modelle wie den Google-Campus – der Arbeit, Kreativität, Soziales und Gewinnmaximierung in einem Gesamtkonzept vereint – zwangsläufig auch für staatliche Institutionen attraktiv machen.“ Die Kehrseite der Fokussierung auf die Kreativwirtschaft sieht sie hier jedoch so gut wie vorprogrammiert: „Freizeitgestaltung bedeutet inzwischen allzu selbstverständlich Konsum, und Kultur ist dementsprechend – wie Bildung leider auch – ein gewinnorientiertes Unterfangen, bei dem die Inhalte letztlich austauschbar sind.“ Kultur ist für Blumenstein für die Entwicklung von Städten deshalb der massgebliche Sektor, in dem sich entscheiden wird, ob ökonomische Interessen und inhaltliche Ansprüche miteinander in Einklang zu bringen sind, oder ob bald nur noch das finanzielle Argument zählt. Und wie positioniert sich das Programm des Vereins in dieser Zukunftsdiskussion? „Wir erarbeiten spekulative Entwürfe, die Chancen und Risiken dieser Entwicklung aufzeigen und Menschen die Möglichkeit geben, unterschiedliche Variationen davon probehalber am eigenen Leib zu erfahren. Idealerweise erleben dabei einige die Freude, die nicht zweckorientierte Erlebnisse bereiten können.“
Text: Angelika Seebacher
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