ein hype made in hamburg

Es geht um Kraft, Ausdauer – und Instagram: Der noch junge Fitnesssport Hyrox begeistert Millionen Athleten und gilt als neues Milliardenbusiness. Wie verwandelten die deutschen Gründer Moritz Fürste und Christian Toetzke die Prinzipien des altbackenen Zirkeltrainings in den angesagten Fitnesstrend?

Schweiss glänzt auf erschöpften Gesichtern. Lungen keuchen, Oberschenkel brennen. Techno-Pop dröhnt durch die Halle – der Bass hämmert wie der Puls je­ner Frauen und Männer, die Kugelhanteln schleppen, ­Medizinbälle werfen oder mehr als hundert Kilogramm Gewicht auf Schlitten durch die Messehalle schieben.

Im „London Olympia“, einem historischen Veranstaltungsort im Westen der britischen Hauptstadt, versammeln sich an diesem Wochenende im Mai rund 5.500 der fittesten Menschen des Landes zum Hyrox. Bei diesem Schaulaufen der Fitnessfreaks geht es we­niger um Gewinnen oder Verlieren – vielmehr wirkt das Event wie ein Circus Maximus für die Gladiatoren des Social-Media-Zeitalters.

Hyrox ist ein globaler Hype. Zwar wird gefeiert, wer am schnellsten den Kraft-Ausdauer-Parcours ­absolviert, und auch die Performancedaten werden präzise erfasst. Aber wie beim Marathon oder Ironman verspricht allein die Teilnahme an den Wettbewerben schon ­Anerkennung und einen gewissen Grad an Ruhm.

Was als lokales Fitness-Event in Hamburg im Jahr 2018 mit gerade einmal 650 Teilnehmern begann, hat sich in wenigen Jahren zu einem globalen Massen­phänomen mit bald mehr als einer Million Teilnehmern entwickelt. Dass ihre Idee den Nerv der Zeit treffen würde, hätten auch die Gründer nicht erwartet. „Hyrox ist die am schnellsten wachsende globale Bewegung“, sagt der Hamburger Sportmanager und Hyrox-CEO Christian Toetzke. Mitgründer Moritz Fürste, ein Olympia­sieger im Hockey von 2012, Medienmanager und Wirtschaftspsychologe, sagt: „Das astronomische Tempo des Wachstums hat uns schon überrascht, das ist crazy. Wir übertreffen das optimale Szenario unseres Businessplans um hundert Prozent und müssen die Erwartungen permanent nach oben korrigieren.“

Das Ziel der Gründer war es, den vielen Millionen Fitnessstudiobesuchern weltweit einen neuen Grund zu geben, Tag für Tag Eisen zu stemmen und Kilometer um Kilometer auf dem Laufband zu rennen. Toetzke: „Niemand spielt Tennis nur, um Kalorien zu verbrennen und im Spiegel gut auszusehen; niemand übt dauerhaft Golfabschläge für sich allein. Man will sich mit anderen messen.“ Mit Hyrox wurde für Fitness-Enthusiasten eine Plattform geschaffen, die den Wettkampfgedanken in jedes Workout bringt.

Für die Saison 2024/25 und ihre Events in mehr als 80 Städten in 30 Ländern wurden mehr als 425.000 Starts erwartet – doch auch diese Prognose wurde weit übertroffen. Die Veranstaltungen sind oft innerhalb von Sekunden ausgebucht. In London wird das nächste Hyrox-Event in eine noch grössere Halle verlegt werden. Auch in den USA ist Hyrox stark gewachsen. Dass ein in Deutschland gegründetes junges Business in den USA einen Trend setzt und in New York Tausende Athleten und Zuschauer anlockt, ist ein Novum.

Das Schweizer Sportmarketing-Unternehmen ­Infront hat früh bei Hyrox investiert und vor drei Jahren seine Beteiligung auf mehr als die Hälfte erhöht. Hans-Peter Zurbrügg, Senior Vice President Personal and Corporate Fitness, sagt: „Die Serie hat das Potenzial, eine grosse Marke im Fitnessbereich zu werden.“ Und: „Das Markenangebot für Sponsoren kennt keine Grenzen und wir freuen uns, diese Expansion weiter voranzutreiben.“

Das Sportevent will bis 2026 über eine Million Teilnehmer jährlich erreichen. Auch diese Prognose muss vielleicht noch nach oben korrigiert werden. Toetzke und Fürste, die beide die Geschäftsleitung ­innehaben, investierten in den Anfangsjahren rund 15 Mio. € und verdienten kaum Geld, glaubten aber an den Erfolg ihrer Idee. Heute wird der Umsatz auf mehr als 140 Mio. US-$ geschätzt. Der Wert der Marke Hyrox könnte sogar fast eine Mrd. US-$ erreichen. Als vor
fünf Jahren die Ironman Group, Eigentümerin der gleich­namigen Triathlon-Marke, gekauft wurde, lag
ihr Wert bei 730 Mio. US-$. Toetzke: „Wir wachsen schneller und haben mehr Teilnehmer als Ironman.“

Marken wie Ironman oder Events wie Crossfit werden immer nur eine begrenzte Zahl an Teilnehmern anziehen, weiss der Unternehmer. Nur sehr wenige Menschen haben die körperliche Fitness für einen Triathlon; Crossfit erfordert Kraft, Ausdauer und turnerische Fähigkeiten, die hartes Training voraussetzen. Bei Hyrox kann hingegen jeder mitmachen und sich irgendwie bis zum Schluss durchkämpfen.

Die Teilnehmer absolvieren einen Parcours, der eine Mischung aus Kraft- und Ausdauerübungen an verschiedenen Stationen bereithält, die aber für sich genommen keine besondere Vorbereitung erfordern. Die Einstiegshürde ist somit gering; ausserdem sind alle Wettkämpfe standardisiert: Darunter sind Ski-Ergo­meter (die Armbewegungen wie beim Langlauf er­fordern), das Ziehen und Drücken von mit Gewichten beschwerten Metallschlitten, Liegestützsprünge (Burpees genannt), Rudergeräte, Ausfallschritte mit Gewicht auf den Schultern und als Abschluss hundert „Wall Balls“-Kniebeugen, bei denen ein Medizinball an eine Wand geworfen und wieder gefangen werden muss. Zwischen jeder Station muss ein 1.000-Meter-Lauf absolviert werden.

Der durchschnittliche Hyrox-Athlet ist 35 Jahre alt, der Frauenanteil liegt bei fast 50 %. Hobbysportler, Ehepaare, Schwangere, Senioren und Menschen mit Behinderung treten einzeln oder als Duo an. Der älteste bekannte Hyroxer ist der aus Manchester stammende 80-jährige Roger Davernport – er absolvierte den Parcours, zwei Monate nachdem er den Krebs besiegt hatte, was ihm den Spitznamen „Roger the Resilient“ einbrachte.

Toetzke hat jahrelange Erfahrung als Unternehmer im Sport- und Eventbereich. In den 90er-Jahren, kurz nach seinem Volkswirtschaftsstudium, erfand er die Cyclassics, das Kult-Radrennen durch die Hamburger Innenstadt; später schuf er Events rund um Triathlons und Marathons mit seiner Agentur Upsolut Sports AG, die er später an die französische Firma Lagardère Sports verkaufte und so schon mit 40 Jahren ausgesorgt hatte. Heute ist Toetzke Mitte 50 und zeigt noch dieselbe Leidenschaft für das Unternehmertum, die ihn so früh so erfolgreich gemacht hat.

Bei Hyrox bringt er seine Erfahrung aus bald drei Jahrzehnten zusammen: Er setzt auf eine schlank geführte Firma, die wenige Junior-Stellen schafft und dafür auf einen kleinen Kreis an erfahrenen Experten setzt. Das mache die Operation effektiv. Toetzke vermeidet Administration, wo es nur geht – er bucht sich jeden Flug und jedes Hotelzimmer selbst. Ein effizientes, schlankes Unternehmen mit einem Pool an Experten in Schlüsselbereichen sei auch für die Mitarbeiter von Vorteil: „Je weniger Mitarbeiter wir haben, desto höher ist das Durchschnittsgehalt. Das motiviert sie, und darum bleiben sie“, so Toetzke. Doch das Gebot der schlanken Operation erwies sich in manchen Fällen als Wachstumsbremse: Der Manager gibt zu, dass die Events in den USA nicht so rasant ausgebaut werden konnten, weil es dafür mehr Ressourcen und Personal gebraucht hätte. Die USA seien zu gross, um allein von New York aus eine rasche Expansion zu organisieren.

Die Leute überlegen sich: „Gehe ich zu einem Konzert von Taylor Swift oder schaue ich beim Hyrox-Race vorbei?

Christian Toetzke

Eigentlich war Hyrox als Outdoor-Event geplant. Doch beim ersten Wettkampf in Hamburg war das Wetter so mies, dass es in die Halle verlegt wurde – ein Glücksfall, der die Hyrox-Erfahrung heute prägt: Indoor-Events erfordern weniger Genehmigungen, die Infrastruktur ist schon da, Sicherheitskonzept, Toiletten und Catering auch. Jede Grossstadt weltweit verfügt über Messehallen, die sich über mehr Auslastung freuen. Egal ob in Berlin, Mumbai oder Birmingham – das Hyrox-Race ist immer dasselbe und kann unabhängig von Wetter und Klima ausgerichtet werden. Selbst der Aufbau der Geräte ist somit standardisiert und effektiv.

Hyrox erzielt 90 % seiner Umsätze durch die Einnahmen bei den Events, durch Sponsoring (Red Bull und Myprotein gehören zu den Unterstützern), Merchandising und Kooperationen mit anderen Marken – so hat etwa Puma eine eigene Kollektion für Hyrox-Athleten auf den Markt gebracht. Nur 10 % steuern Lizenzeinnahmen von Tausenden Fitnessstudios ­weltweit bei. Die Lizenzgebühr liege bei etwa 130 €
pro Monat. Dieser Teil des Modells bringt zwar wenig Umsatz, ist aber für den Geschäftserfolg entscheidend.

Anfangs veranstaltete Hyrox kostenlos in Studios Events für Mitglieder und schuf so eine Win-win-Situation: Die Gym-Mitglieder hatten einen Anlass, regel­mässig für ein Race zu trainieren, gingen also konstanter ins Studio. Das Gym konnte spezielle Trainings anbieten und am Erfolg der Events auch im Alltagsgeschäft teilhaben. Je mehr Menschen Hyrox-Trainings absolvieren, desto mehr melden sich bei Hyrox-Events an, desto grösser wird der Hype – was letztlich auch wieder mehr Business für das lokale Fitnessstudio bringt.

Toetzke und Fürste sagen, dass Hyrox-Rennen längst mit anderen Ereignissen in der globalen Unterhaltungsindustrie um Zeit und Aufmerksamkeit konkurrieren. „Die Leute überlegen sich: ‚Gehe ich zu einem Konzert von Taylor Swift oder schaue ich beim Hyrox-Race vorbei?‘“, sagt Toetzke.

Die Macht der Hyrox-Marke lässt sich nicht nur wirtschaftlich erfassen. Der Sport profitiert auch von gesellschaftlichen Entwicklungen (und prägt diese auch): Triathlon und Ironman sind – bei Letzterem schon im Namen ablesbar – fast reine Männerveranstaltungen. Beim ­Marathon liegt der Anteil an weiblichen Starterinnen weit unter 40 %, nimmt allerdings zu. Dass Hyrox zu fast gleichen Teilen Männer und Frauen begeistert, gilt auch als Hinweis für ein sich veränderndes Körperideal.

Angela Lanz, die Ex-Frau von Talkshow-Mode­rator Markus Lanz, dokumentiert als Hyrox Global Ambassador auf Instagram, wie der Sport sie ver­ändert – und warum stark und nicht mehr dünn das neue Ideal ist. Schwitzen, sich quälen, bis zur Erschöpfung ­kämpfen: Das galt früher als Ausweis für Maskulinität. Bei Hyrox zeigen auch Frauen stolz ihre gestählten Muskeln. Zu Bikinifotos aus dem Urlaub schreibt Lanz, eine Mutter von zwei Kindern: „Drei Jahre und +9 kg später – und dabei fühle ich mich mehr wie ich selbst als jemals zuvor.“

Die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien ist der Raketenantrieb des Hyrox-Hypes. Bei Hyrox ist Exhibitionismus nicht verpönt, sondern fast schon eine Teilnahmebedingung: Männer bewältigen den Kraft-Ausdauer-Parcours meist mit nacktem Oberkörper; Frauen tragen figurbetonte Shorts und Tops – ein Look, der in anderen Sportarten tabu wäre. Auch Erschöpfung und Plackerei sollen maximal instagramable sein.

Doch wie lange hält der Hype? Und was könnte sich daraus noch entwickeln? „Wir sind überzeugt, dass Hyrox in zehn, 15 Jahren als olympische Disziplin existiert“, so Toetzke. Fürste, Vater zweier kleiner Kinder, glaubt, dass sich Hyrox auch als Schulsport etablieren könnte, als „gesunde Form von Training“. Einige Fitnessstudios bieten bereits Kinderkurse für Hyrox an.

In der Spitze schliessen Hyrox-Athleten Sponsorenverträge mit Nike oder Adidas ab – wie die 28-jährige deutsche Elite-Athletin Seka Arning aus Düsseldorf. Die Polizistin kann sich dank der Sportförderung wie eine olympische Athletin auf Wettkämpfe vorbereiten. Die Preisgelder bei den Hyrox World Championships liegen unter 100.000 US-$ – doch Athleten können den Hype und die Aufmerksamkeit, den die Marke bringt, für sich selbst kommerzialisieren und die Plattform für Selbstvermarktung nutzen.

Auch die Marke Hyrox erschliesst immer neue Geschäftsfelder und Plattformen – im kommenden Jahr wird erstmals ein Hyrox-Kreuzfahrtschiff Richtung Mallorca in See stechen. Für Toetzke und Fürste ein weiterer Meilenstein ihrer Erfolgsstory.

Eigentlich müsste Seriengründer Toetzke nicht mehr arbeiten, er hätte sich schon vor Jahren in den Ruhestand verabschieden können. Doch er sieht Hyrox mehr als ein Business, das es zu skalieren und irgendwann zu verkaufen gilt. Für die beiden Hamburger ist Hyrox jedenfalls „unser Lebenswerk“.

Fotos: Hyrox

Reinhard Keck

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