die masterplanerin

Mit 30 Millionen Schauobjekten, 400 Mitarbeitern – darunter 60 Forscherinnen und Forscher – ist das Naturhistorische Museum Wien nicht nur eine der grössten ausseruniversitären Forschungseinrichtungen Österreichs, sondern auch eines der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Museen der Welt. Seit 2020 ist es mit Generaldirektorin Katrin Vohland erstmals seit 130 Jahren unter weiblicher Führung. Ein Rundgang.

Katrin Vohlands Lieblingsplatz im Natur­historischen Museum Wien (NHM Wien) ist der kleine Balkon ganz oben in der Kuppelhalle, von wo aus man einen uneingeschränkten Blick auf die ausnehmend schönen, schwarz-weiss strukturier­­­ten Fliesenböden in den Hallen bekommt und der von einem Fries mit allerlei Fi­guren, auch aus der Tier- und Fabelwelt, gesäumt ist. Im Rondeau stehen die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen der Sammlung geschrieben – von der Zoologie über die Anthropologie bis zur Botanik. Dieser Ort repräsentiert vielleicht auch Vohlands Rolle als Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin: Hier ist es möglich, sich für ein paar Augenblicke aus dem alltäglichen Tun herauszunehmen und sich einen Überblick zu verschaffen, vielleicht auch seine Gedanken zu sortieren. Hier oben ist es ruhig – und hier darf auch nicht jeder hin.

Katrin Vohland ist promovierte Biologin und war, bevor sie Generaldirektorin des NHM Wien wurde, zuletzt seit 2012 im Museum für Naturkunde Berlin tätig, wo sie ab 2014 den Forschungsbereich Museum und Gesellschaft leitete. Vor ­allem war sie im Feld der Citizen Science, in der Politik­beratung und in der Biodiversitäts­forschung ­aktiv; alles Themenbereiche, die auch in ­ihrer ­jetzigen Tätigkeit sichtbar sind. Ihr ­Amtsantritt in Wien war – zu Beginn der Coronapandemie – ­jedenfalls ungewöhnlich: „Am 13. März 2020 bin ich berufen worden und am nächsten Tag waren die Grenzen dicht“, fasst sie knapp zusammen. Darüber hinaus sei die mediale Einbegleitung als neue Generaldirektorin für sie „irritierend“ gewesen, blickt die gebürtige Hamburgerin zurück: Dass man nicht positiv über sie geschrieben habe, sei das eine; aber dass man sie zu ihrer Berufung damals kein einziges Mal befragt hat, das stört sie bis heute sichtlich.

Der Grund für die damaligen Misstöne lag ­dabei weniger an Vohland selbst, sondern an der Entscheidung der damaligen und kurze Zeit ­später zurückgetretenen Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek von den Grünen, die anstatt des langjährigen Leiters des NHM Wien, Christian Köberl, die deutsche Biologin einsetzte, die früher als grüne Landespolitikerin tätig gewesen war. Im Nachhinein betrachtet war bzw. ist die politische Erfahrenheit Vohlands für das Naturhistorische Museum nicht unbedingt von Nachteil. Mittlerweile haben sich diese Wogen geglättet; auch, weil Vohland in der Zwischenzeit ihre Kompetenzen sicht- und spürbar gemacht hat.

Es habe durchaus Vorteile gehabt, während des Lockdowns die Stelle anzutreten, sagt Vohland heute: Das Haus war leer, sie konnte sich quasi jeden Winkel des Museums in Ruhe anschauen und mit jedem einzelnen Kollegen und jeder einzelnen Kollegin sprechen. Was wurde gebraucht – aus Personalsicht, aus Forschungssicht und auch aus baulicher Sicht? Letztere, so sagt sie, hatte sie anfangs gar nicht wirklich am Schirm. Heute sei die bauliche Veränderung ein zentrales Thema im Rahmen ihrer Tätigkeiten und nehme die Hälfte ihrer Arbeitszeit in Anspruch, grinst sie.

Die Strategie, mit der sie angetreten war, sollte vor allem die Forschung sichtbar machen, so Vohland weiter. „Ich wusste einerseits, dass das Naturhistorische Museum Wien eine forschungsstarke Einrichtung ist, und habe anderer­seits beobachtet, dass es auf internationaler Ebene nicht als solche wahrgenommen wurde. Ich wollte, dass das NHM auch als Forschungseinrichtung – mit der so wichtigen Beziehung zu Osteuropa – eine zentrale Rolle in Europa einnimmt“, so Vohland weiter. Ähnlich verhielt es sich im Bereich der Digitalisierung, so die Generaldirektorin: „Wenn man die Dateninformation nicht sieht und findet, dann ist sie auch gefühlt nicht da“. Auch hier sei man mittlerweile gut unterwegs.

Kurzum: Es gab und gibt eine Menge zu tun und eine Vielzahl an Antworten auf die Frage „Wo wollen wir denn in 50 Jahren stehen?“, so Vohland weiter. Und so führten die ­Begehungen des Gebäudes, die Gespräche mit den Kollegen – „vom Aufseher bis zur Wissenschaftlerin“ – sowie mit externen Experten, für die sich ­Vohland aufgrund der Pandemie ein ganzes Jahr Zeit nehmen konnte, zum sogenannten „Masterplan“, ­einer Art Veränderungsleitfaden, anhand ­dessen die General­direktorin und ihre Teams zumindest bis zum Ende ihrer kürzlich erfolgten Vertrags­verlängerung bis 2030 arbeiten werden, um das Bestehende zu erhalten und das Neue zu ini­tiieren und integrieren bzw. zu gestalten. Die baulichen Gegebenheiten sowie die ­finanziellen Möglichkeiten setzen dabei die ­entsprechenden Rahmenbedingungen. Denn eines ­wiederholt Vohland immer wieder: „Das Naturhistorische Museum ist ein Gesamtkunstwerk.“ Und als ­solches gehöre es erhalten und fortgeführt.

Ich wollte, dass das NHM Wien auch als Forschungseinrichtung – mit der so wichtigen Beziehung zu Osteuropa – eine zentrale Rolle in Europa einnimmt.

Katrin Vohland

Es lohnt also ein kurzer Rückblick in die NHM-Geschichte: Die heute 30 Millionen Objekte zählende wissenschaftliche Sammlung, die zu den grössten der Welt zählt, wurde von Kaiser Franz Stephan von Lothringen (1708–1765) und seinem Naturalienkabinett in der Hofburg begründet. Nach seinem Tod vermachte seine Gattin Maria Theresia (1717–1780) die Sammlung dem Staat und machte diese auch öffentlich besichtigbar. Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) wiederum schuf, weil er die alten Festungs­anlagen Wiens schleifen liess, Raum für das ­Naturhistorische Museum als eines von zwei Hofmuseen, die nach den Entwürfen von Gottfried Semper errichtet wurden. Die Innen­ausstattung sowie die Konzeption des Museums wurden von Ferdinand von Hochstetter „entlang der neuen Evolutionstheorie und Charles Darwin als ihrem Begründer“, wie in einem der NHMW-Reports niedergeschrieben, entwickelt. Das NHM Wien war von Beginn an als Naturmuseum geplant und beherbergte mineralogische, botanische, zoologische, anthropologische und fossile Objekte neben einer ethnografischen sowie einer archäologischen Sammlung.

Ursprünglich als Tageslicht-Museum geplant wurde es in den 1950er-Jahren elektrifiziert (bis ins Jahr 1999). In den 1960er-Jahren wiederum wurden erste Pläne zum Dachgeschossausbau entwickelt; später, unter der General­direktion von Bernd Lötsch, wurde begonnen, die Photo­voltaik-Anlage aufs Dach zu setzen. Vohland und ihr wirtschaftlicher Geschäfts­führer Markus ­Roboch erweiterten die Dachfläche. Ein Game­changer war der Ausbau des Tiefspeichers, der im Rahmen des U3-Baus in den 1990er-Jahren „mitgenommen“ wurde: Die zusätzlichen 5.000 Quadratmeter Depotfläche stossen allerdings heute auch schon an ihre Grenzen.

Erwähnenswert ist die Raumaufteilung insofern, als sie einem auch die Dimension der Sanierungs- und Renovierungstätigkeiten im Museum erschliesst. Das meiste davon spielt sich dabei fernab jeglichen Besucherauges ab und betrifft quasi die „Infrastruktur“ dahinter. Von der Gesamtfläche von insgesamt 42.457 m2 nimmt die Sammlungsfläche für die bereits erwähnten rund 30 Millionen Objekte rund 28 % ein; weitere 27 % der Fläche sind Büros, Lagerräumen und Technikflächen gewidmet – wie die Sammlungsräume gehören sie zu den nicht öffentlichen Bereichen. Auf die Bibliotheken kommen 1.421 m2, auf die Labore und Werkstätten weitere 1.832 m2. Die Dauer- sowie Sonderausstellungen nehmen zusammen 19 % der Gesamtfläche ein; die sogenannte Gästeinfrastruktur (Café, Shops, WCs und Garderoben) weitere 4 %. Die grossen Prunktreppen, die Flure und Hallen – die mit den schönen schwarz-weissen Böden – nehmen stattliche 5.969 m2 ein.

Die Grössenordnung wirkt angesichts der Konservierungs- wie ­Modernisierungsarbeiten samt dem über allem stehenden Bildungs­auftrag als öffentliche Bundeseinrichtung respekt­einflössend. Vohland drückt das so aus: „Es war schon wichtig, das, was es zu tun galt, in eine Reihenfolge zu bekommen, um es dann entsprechend abarbeiten zu können.“ Viele der ­Renovierungsarbeiten erfolgen bei ­laufendem Betrieb – und betreffen nicht nur die Aus­stellungsobjekte sowie die sie fassenden prunkvollen Schaukästen und Räume per se, sondern auch die Anordnung der Ausstellungen einer der Evolution folgenden Logik, um den Besuchern möglichst viel Erkenntnisreiches und nicht minder wenige Zusammenhänge das Leben betreffend mitzugeben. Man versucht sich im grossen Bild, in den grossen Zusammenhängen, bevor durch die einzelnen Bereiche und Disziplinen ­geführt wird.

Konkret etwa zeigt sich das im ­ehemaligen „Kaisersaal“, der heute unter dem Titel „Die Erde. Ein dynamischer Planet“ zu besichtigen ist. Er präsentiert sich mit den Karyatiden und den restaurierten Ölgemälden und Wanddekorationen im Crossover zwischen Naturwissenschaft und Kunst. Einige geologische Schaustücke können angefasst, Zusammenhänge im wahrsten Sinne des Wortes begriffen werden, was besonders für Kinder wichtig ist. Ein weiterer Ecksaal, der am 20. Mai 2025 eröffnet wird, widmet sich in ähnlicher Logik der Eiszeit. „Wir haben ja viele öffentliche Aufgaben: die Bewahrung der Sammlung, ihre Beforschung, aber auch die Wissenschaftskommunikation gehört dazu“, so Vohland. Die Arbeit gehe in keinem Fall aus. „Man ist nie fertig“, so Vohland weiter.

Bei all der Komplexität in der Aufgaben­stellung bleibt die Frage nach der ­Finanzierung eines doch allumfassenden Aufgabenfelds, das aus der Leitung, Erhaltung und Fortführung ­eines Bundesmuseums besteht, nicht aus. Vohland holt aus: „Wir bekommen die sogenannte Basis­abgeltung, 2024 waren das knapp 18 Mio. €. Dazu kamen Umsatzerlöse in der Höhe von zehn Mio. € – davon waren acht Mio. € Eintritts­gelder. 2024 zählte das NHM Wien laut Bundesministe­rium Wohnen, Kunst, Kultur, Medien, Sport 971.061 Besucher, etwas weniger als im Jahr ­davor, wo es knapp mehr als eine Million Besucher – zahlende und nicht zahlende (Besucher unter 18 Jahren zahlen keinen Eintritt, Anm.) – im NHM gab. Ein grösserer Block ist auch die Forschung; das waren im Jahr 2024 3,2 Mio. €. Das heisst, wir finanzieren die Forschung schon stark über Drittmittel, also mit Geldern aus der EU und dem FWF, für die wir uns kompetitiv bewerben. Insgesamt hatten wir letztes Jahr einen relativ hohen Eigenfinanzierungsgrad von 46 %.“

Die Umbauten sind überwiegend mit ­öffentlichen Mitteln finanziert, da sie ja auch ­einem ­öffentlichen Zweck dienen, so Vohland weiter. Darunter falle der barrierefreie Besuchereingang, für dessen Umsetzung sich die Bundesmuseen nach einem Regierungsbeschluss 2023 insgesamt 100 Mio. € teilen können. Der Rundgang durch die Schausäle zeigt aber auch, dass das Museum für einzelne Räume auch Unter­nehmenssponsoren gewinnen konnte. Allerdings, sagt Vohland, sei man hier sehr vorsichtig: „Wir haben eine wahnsinnig hohe Glaubwürdigkeit, die wir auch nicht mit fragwürdigen Sponsoren verspielen werden. Wir sind eine Forschungs­einrichtung und alles, was wir machen, auch im Bereich der Wissenschaftskommunikation, ist wissenschaftsbasiert. Aber wir sind keine NGO.“ Eines müsse aber auch gesagt sein: Mit der Basis­finanzierung sind nicht einmal die Personal­kosten von 22 Mio. € gedeckt.

Das nächste grössere Projekt, so Vohland ­abschliessend, sei das „Haus der Botanik“. Gemeinsam mit den Lebenswissenschaften der Uni­versität Wien wurde dafür kürzlich ein Visions­papier unterzeichnet, sagt sie. „Unsere botanischen Sammlungen haben eine gemeinsame Geschichte und wir teilen die Vision, beide Sammlungen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen – auch ihre Beforschung. Es ist wichtig, dass diese Sammlungen einen Ort bekommen, wo sie dauerhaft bleiben können. Weil: Botanik ist ­alles“, verschafft sich die Biologin und ­Forscherin Gehör. „Ich glaube, das ist den Menschen gar nicht immer so bewusst, dass alles, was wir essen, an den Pflanzen hängt, die die Voraussetzung dafür sind, dass wir überhaupt leben.“ Und es wäre schon auch im Sinne der Erfinder, diese Sammlungen an einem zentralen Ort in der Stadt zu ­haben – mit der Universität um die Ecke, so Vohland weiter. Das mache ja Wien auch aus, sagt sie. „Da waren die Habsburger schon sehr weitsichtig, dass sie etwa hier nicht nur Gesteine oder Tiere bewahrten, sondern das gesamte Gebäude auch noch so prunkvoll und lehrreich ausgestattet haben – mit all den Gemälden und den Karyatiden – und damit bis heute Besucher aus aller Welt anziehen.“

Katrin Vohland (Jahrgang 1968) ist promovierte Biologin und seit 2020 Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Naturhistorischen Museums Wien. Davor war sie seit 2014 Leiterin des Forschungsbereichs Wissenschaftskommunikation und Wissensforschung im Museum für Naturkunde in Berlin. Sie ist u. a. Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Nationalparks Hohe Tauern.

Fotos: Gianmaria Gava

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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