Die Macht der Schrift

Das Londoner Designstudio Dalton Maag entwickelt Schriften für die Kommunikation der grössten Konzerne der Welt. Dabei geht es nicht nur um ansprechendes Design, sondern auch um effizientes Handeln mittels passender Buchstaben.

Wer den Erfolg und Einfluss von Lukas Paltrams Arbeit verstehen will, muss nur durch eine westliche Grossstadt spazieren. Oder im Netz surfen. Oder in den ­sozialen Medien posten. Oder Nachrichten lesen und online einkaufen. Kurzum: Im Alltag ist es nahezu unmöglich, die Produkte des Österreichers und der Agentur Dalton Maag zu übersehen.

Das Londoner Designstudio entwickelt Schriften für die Tech-Konzerne Google, Meta, HP Inc. und Intel, zu den Kunden gehören auch DHL und Fedex. Wer bei Amazon einkauft, liest eine Schriftart von Dalton Maag, auch die Buchstaben des „Amazon Kindle“ wurden von den Londonern entwickelt; übrigens auch die Schriften für die Menüs der US-Fast-Food-Ketten McDonald’s oder Wendy’s. Und wer sich mit USA Today oder der BBC informiert, liest die News ebenfalls in Schriftarten, die Paltram ausgetüftelt hat.

„Unsere Schriften gehören zu den am meisten gelesenen der Welt“, sagt Paltram im Interview mit ­Forbes. Der Österreicher empfängt uns im ­Hauptquartier von Dalton Maag in einem 60er-Jahre-Bürobau im Süd­londoner Stadtteil Brixton, Heimat von David Bowie und der afro-karibischen Community. Durch die Fenster im neunten Stock reicht der Blick bis zu den Hochhäusern der Londoner City und des Canary Wharf, der beiden Finanzzentren der Stadt. Auch dort sitzen viele Kunden von Dalton Maag, etwa die US-Grossbank Goldman Sachs, für die das Studio die Schrift „Goldman Sans“ entwickelt hat, entsprechend den konkreten Stilvorgaben des Geldhauses. Paltram: „Zugänglich, ohne verspielt zu sein; neutral, mit einem Augenzwinkern.“

Durch den Erfolg der Nokia-Schrift ergaben sich viele weitere Projekte.

Lukas Paltram

Das Designstudio Dalton Maag, gegründet vom Schweizer Schriftdesigner Bruno Maag, entwickelt seit 30 Jahren Schriften für weltweit bekannte Marken und Firmenkunden. Die Arbeiten wurden durch den Type Directors Club, Red Dot, D & AD und das Design Museum London vielfach ausgezeichnet.

Paltram ist Executive Creative Director im ­Führungsteam mit den Co-Geschäftsführern David Marshall und Richard Bailey. Zu dritt managen sie ein internationales Team von 40 Mitarbeitern und setzen rund 40 ­Projekte pro Jahr um.

Paltram wurde 1986 in Wien geboren und studierte Grafikdesign in St. Pölten, wo er seine Liebe für Kalligrafie und Typografie entdeckte. 2008 startete er in London als Praktikant bei Dalton Maag und stieg in
den folgenden Jahren bis in die ­Geschäftsleitung auf.

Mit dem Aufstieg von Corporate Branding im vergangenen Jahrhundert nahm auch die Bedeutung von Schriften zu, vor allem durch Firmenlogos. IBM, Starbucks, Bosch, Apple – diese Marken sind mit einzigartigen Schriftarten verbunden. Steve Jobs, der Gründer von Apple, war ein begeisterter Schriften­liebhaber. Als Student besuchte er einen Kalligrafiekurs, der seine Laufbahn stark prägen sollte. „Es war wunderschön, historisch, künstlerisch subtil auf eine Weise, die die Wissenschaft nicht erfassen kann, und ich fand es faszinierend. Zehn Jahre später, als wir den ersten ­Mac­intosh-Computer entwarfen, fiel mir das alles ­wieder ein“, erinnerte sich Jobs später.

Die Entwicklung des Macintosh legte auch den Grundstein für Dalton Maag: Gründer Bruno Maag lieh sich von seinem Vater 20.000 CHF (21.600 €), um sich einen der ersten Macintosh-Computer zu kaufen. Das Gerät re­volutionierte viele Branchen, auch die kleine Industrie der Schriftartenentwicklung – ihr Markt wird auf rund eine Mrd. US-$ (0,9 Mrd. €) Umsatz weltweit im Jahr geschätzt. Sie stellt somit keine grosse Branche dar, aber eine mit Wachstumspotenzial, weil immer mehr Medienformate besondere Anforderungen an Schriftarten ­haben – vom Untertitel in Tiktok-Videos bis zu Texten, die auf Augmented-Reality-Brillen projiziert werden.

Paltram ist kein Logo-Designer. Zwar richten sich die Firmen-Schriftarten oft an etablierten Markenlogos aus, doch diese dienen eher als Inspiration. Vielmehr müssen die von Paltram entwickelten Schriftarten praktische Vorgaben erfüllen: Sind sie schnell und klar zu lesen? Lassen sie sich in andere Schriftsysteme über­setzen? Das sind stets die Kernfragen eines Projekts.

Für Firmen ist es oft günstiger, eine eigene Schriftartenfamilie entwickeln zu lassen, als bestehende Schriften zu lizenzieren – die Lizenzkosten sind stark gestiegen, da Schriften für viele verschiedene Zwecke benötigt werden. Historisch hat sich der Buchdruck aus der Kalligrafie entwickelt: Johannes Gutenberg schuf im 15. Jahrhundert für seine Bibel bewegliche Metall­lettern; es folgten – nach einer jahrhunderte­langen Weiterentwicklung – die Zeitungen des 20. Jahrhunderts, die mittels Setzmaschinen gedruckt wurden.

Durch die Digitalisierung sind Schriften heute auf Bildschirmen und Geräten – von Smartphone-Apps und Smartwatches bis hin zu Augmented Reality und später auch im Metaverse – ­präsent. Für jede lizenzierte Schriftart fallen ­Gebühren an, sofern sie für neue Technologien ver­wendet wird. Eine individuell gestaltete Schriftart von Dalton Maag gehört hingegen dem Auftraggeber allein und ist dessen Asset.

Kunden wollen nicht nur eine einheitliche interne und externe Firmenkommunikation – gerade globale Unternehmen, die von Paltram und dessen Team unterstützt werden, können sich darauf verlassen, dass auch ­Übersetzungen in andere Schriftsysteme reibungslos funktionieren. Denn ein DHL-Kunde oder BBC-­Leser besucht eben nicht nur Plattformen, die mit lateinischen Schriftzeichen arbeiten. Für globale Firmen ­liegen die Wachstumsmärkte ohnehin in Asien und ­jeder Grosskonzern muss seine Kommunikation an lokale Sprachen anpassen.

Operations Director Richard Bailey weiss, dass Schriften einen oft unterschätzten Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Firmen haben getestet, wie sich Standardschriftarten und Dalton-Maag-Entwicklungen auf das Klickverhalten in Onlineshops auswirken. Das Ergebnis: Die in London für den Kunden entwickelte Schriftart sorgte für einen messbar schnelleren Kaufprozess. Kunden klickten oder wischten schneller, das ergab mehr Bestellungen in weniger Zeit. „Das Investment in individuelle Schriften sorgt für mehr Umsatz und schlägt sich direkt in der Bilanz nieder“, so Bailey. Sein Kollege David Marshall, Managing Director, ergänzt: „Manche Kunden verlieren den Überblick, weil sie Hunderte Schriftarten gleichzeitig einsetzen und dafür Lizenzgebühren bezahlen.“ Ein wichtiger Teil der Arbeit: die Vereinheitlichung.

Darum ging es auch in einem Projekt von 2012, das sich für Dalton Maag zu einem Meilenstein entwickeln sollte: Damals schuf die Agentur die Schrift „Nokia Pure“ für die finnische Telekommunikationsfirma. Das Ziel: eine moderne, gut lesbare serifenlose Schrift, die vor allem auf kleinen Bildschirmen scharf und gut lesbar ist und einen fliessenden, rhythmischen Charakter hat, durch abgerundete Buchstaben, die eine „nahtlose, flüssige Bewegung“ implizieren.

Redakteur Reinhard Keck (2. v. li.) im Gespräch mit Executive Creative Director Lukas Paltram sowie den Co-Geschäftsführern Richard Bailey und David Marshall (v. li. n. re.).

Dalton Maag entwarf die Schrift in drei Gewichtungen (Light, Regular, Bold) und stellte sicher, dass sie neben Latein auch in den Schriftsystemen Griechisch, Kyrillisch, Arabisch, Hebräisch, Thai, Devanagari (die indische Basisschrift für Hindi, Marathi, Nepali und Sanskrit) und weiteren Schriftsystemen lesbar ist. Die Arbeit wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. „Durch den Erfolg der Nokia-Schrift ergaben sich viele weitere Projekte“, erzählt Paltram und zeigt auf ein gerahmtes Plakat mit den lateinischen Buchstaben von „Nokia Pure“ im Meetingraum.

Auch um sich gegenüber den Konkurrenten zu ­behaupten, hat Dalton Maag eine eigene „Font ­Library“ entwickelt. Der Umsatz des Studios ist von 2,7 Mio. Pfund im Jahr 2015 auf rund sechs Mio. Pfund im ak­tuellen Geschäftsjahr gewachsen. Ein neues Sub­scription-­Modell unter dem Namen „Fontpass“ gibt Kunden Zugang zu allen 1.600 Schriftarten der Sammlung und 70 Schriftfamilien unter einem vereinfachten Lizenz­system. Unternehmen können ab 36.000 Pfund pro ­Monat unbegrenzt Schriftarten für sämtliche Platt­formen lizenzieren.

Das Modell soll die Zukunft von Dalton Maag als grösste inhabergeführte Schriftdesign-Agentur sichern, auch gegenüber dem mächtigen Konkurrenten Monotype. Die Firma hat die Rechte an 22.000 Schriftarten und gehört zum Portfolio der Private-Equity-Firma HGGC, die 2019 mehr als 800 Mio. US-$ für das Unternehmen bezahlte.

Gründer Bruno Maag hat sich mittlerweile aus ­Dalton Maag zurückgezogen, seine Nachfolger um ­Paltram wollen die nach dem Gründer und dessen Frau Liz Dalton benannte Firma weiterhin unabhängig führen. Paltram sieht grosses Potenzial: „Der Markt für gut entwickelte Schriften entwickelt sich weiter, hier wollen wir als führendes Studio weiter unsere einzigartige Position behaupten.“

Natürlich hat Paltram keine ­Lieblingsschriftart, aber auf die Frage, welcher Font für seine Arbeit prägend ist, fällt ihm sofort „Univers“ ein. Die serifenlose Schriftart entstand Ende der 50er-Jahre und wurde von Adrian Frutiger entworfen. Der Schweizer schuf damit einen Stil, der das gesamte moderne Grafikdesign beeinflusste, dank einer klaren und vielseitigen Ästhetik. „Univers“ war auch eine der ersten Schriftarten, die ein systematisches Schriftfamilienkonzept mit mehreren Stilen einführte, was sich als richtungsweisend für die moderne Typografie erweisen sollte.

Das Erbe von Pionier Frutiger und Gründer Maag fortsetzen und dabei eigene Massstäbe setzen: Das ist das langfristige Ziel von Paltram und Dalton Maag. Und dass dem Designer und dem Studio das immer wieder gelingt, ist im Internet und in jeder europäischen und amerikanischen Einkaufsstrasse deutlich erkennbar.

Fotos: Rama Knight

Reinhard Keck

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