DIE HOTELIERS DER ZUKUNFT

Nach dem verlorenen Coronajahr bereiten sich Europas Hotels gerade auf die (hoffentlich geschäftige) Sommersaison vor. Ein idealer Zeitpunkt, um eine Karriere in der Hotellerie zu starten – das meint zumindest Inès Blal, Dekanin der renommierten Hotelfachschule École hôtelière de Lausanne.

In einigen Wochen wird die École hôtelière de Lausanne online ihre Abschlussfeier für die Sommer­absolventen abhalten. Inès Blal, die erste Frau an der Spitze der 1893 gegründeten Schweizer Hotelfachschule, weiss genau, welchen Rat sie den Absolventen geben wird: „Man muss kreativ sein – und offen für Neues“, sagt Blal. Genau diese Botschaft war es, die sie auch im vergangenen Jahr oft wiederholt hat, als sie die auf Hotel- und Gastronomieberufe fokussierte Schule durch die Coronavirus-Krise navigierte.

Die Absolventen stehen vor einer neuen Belastungsprobe. Während die Impfungen an Fahrt gewinnen, sind Hotels und Restaurants in Europa in verschiedenen Phasen der Wiedereröffnung. Doch nach den katastrophalen Verlusten der letzten zwölf Monate erwartet eigentlich niemand eine schnelle Erholung. Während einige ­Seg­mente, etwa Freizeitresorts, von der Abwanderung aus den Städten profitiert haben, sagen viele Ex­perten, dass eine branchenweite Rückkehr zum Niveau von 2019 noch Jahre dauern wird. Angesichts dieser Aussichten sollten selbst Absolventen einer erstklassigen Hotelfachschule zweimal darüber nachdenken, ob sie eine Karriere im Gastgewerbe anstreben. Blal sieht das jedoch naturgemäss ganz anders: Ihrer Meinung nach ist jetzt gerade eine ideale Zeit, um in der Branche durchzustarten. Die Pandemie habe Veränderungen beschleunigt, die ­bereits im Gange waren; das schaffe beispiellose Möglichkeiten, so Blal.

Inès Blal: „In den ersten Wochen der Pandemie habe ich wirklich meine ganze Energie verwendet. Das würde ich in der nächsten Krise nicht mehr tun.“

Nur wenige Branchen wurden so hart vom Coronavirus getroffen wie das Gastgewerbe. In Europa brach der Umsatz laut Schätzungen der Kreditversicherungsgesellschaft Euler Hermes im Jahr 2020 im Durchschnitt um 52 % ein und vernichtete 115 Milliarden €. Das Ausbluten setzte sich bis ins zweite Quartal 2021 fort, nachdem die neuerlichen Wellen von Covid-19-­Fällen weitere Reisebeschränkungen auslösten. Ein für Fachkräfte positiver Nebeneffekt ist der angespannte Jobmarkt: Während Europa seine Grenzen für geimpfte Reisende wieder öffnet, haben viele Hotels und Restaurants, die während der Pandemie Mitarbeiter entlassen mussten, Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen.

Das Gastgewerbe sei schon vor der Pandemie mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert gewesen, sagt Blal. Nun tritt das Problem jedoch noch deutlicher hervor, denn die Fähigkeit, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und auch zu halten, wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil für Unternehmen. Die Investition in Talente ist ein Thema, das der Dekanin der EHL sehr am Herzen liegt, da „ihre“ Absolventen zunehmend Karrieren ausserhalb des Gastgewerbes anstreben. Etwa 50 % der Alumni sind in ganz anderen Branchen tätig, darunter Vermögensverwaltung, Luxus-Einzelhandel oder Immobilien.

Die bevorstehende Abschlussfeier wird nicht nur einen Schlussstrich unter ein schwieriges Schuljahr ziehen, sondern auch das Ende von Blals erster Amtszeit als Dekanin markieren. In diesen vier Jahren hat sie sich von einer wenig bekannten Forscherin und Lehrerin zum öffentlichen Gesicht einer ange­sehenen akademischen Insti­tution entwickelt. Jetzt, wo eine Pandemie Teil ihrer Erfolgsgeschichte ist, strebt Blal eine zweite Amtszeit an. Die Zeichen, dass diese genehmigt wird, stehen gut. Bestä­tigen wollte die Dekanin das jedoch nicht.

Die 1893 gegründete EHL gehört zu den besten Hotelfachschulen der Welt. Das hat auch seinen Preis: Rund 160.000 CHF (etwa 146.000 €) kostet das vier­jährige Bachelor­programm für internationale Studenten. Dennoch – oder gerade deshalb – hat sich die Zahl der Studierenden in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die 44-jährige Blal leitet 170 Personen im Lehr­körper, die wiederum rund 3.700 Studenten ausbilden. Sie ist die erste Frau und die jüngste Person, die diese Position je innehatte. Blal, die sowohl die französische als auch die tunesische Staatsbürgerschaft besitzt, wuchs in Tunesien auf und verliess das Land nach der Schule, um in Frankreich internationale Wirtschaft zu studieren. Sie kam zuerst als Stu­dentin an die EHL und erwarb einen MBA in Hospitality Administration. Im Jahr 2006 kehrte sie als Dozentin zurück, während sie an der Virginia Tech (Virginia Polytechnic Institute and State University) einen Doktor­titel in Strategic Management in Hospitality and Tourism absolvierte. Während ihrer ersten Amtszeit arbeitete Blal daran, eine Kultur der Transparenz und Zusammenarbeit zu fördern und eine Strategie für digitalen Unterricht zu entwickeln. Die Pandemie war ihre erste Krise als leitende Angestellte – eine echte Feuerprobe. Eine frühe Lektion für Blal war die Notwendigkeit, sich selbst zu bremsen.

Inès Blal
...studierte Hospitality Management an der EHL und machte ihren PhD an der Virginia Tech. Seit 2017 ist sie geschäftsführende Dekanin der EHL.

Als die Schweizer Regierung Mitte März 2020 auch alle Hochschulen schloss, war die EHL mit ihrem Hauptcampus in Lausanne in weniger als drei Stunden zu. Mehr als 2.000 Studenten wurden in ihre Heimatländer geschickt – 90 Länder insgesamt. Innerhalb eines Monats nach der Schliessung der EHL hatten Blal und ihr Team alternative Prüfungsformate vorbereitet und eine neue Prüfungssoftware ge­testet. Doch der Aufwand forderte seinen Tribut: Die Dekanin arbeitete bis zu 16 Stunden pro Tag.

„In den ersten Wochen habe ich wirklich meine gesamte Energie dafür verwendet“, sagt sie. „Das ist etwas, was ich in der nächsten Krise jedenfalls nicht mehr tun werde.“ Eine weitere Herausforderung folgte dann im September, als die rund 2.500 Studenten des Bachelor­studiengangs für mehrere Tage unter Quarantäne gestellt wurden, nachdem mehrere Abteilungen Coronafälle gemeldet hatten, was eine gezielte Abriegelung unmöglich machte. Die Ursache waren wohl Studentenpartys, die stattfanden, bevor die regionalen Behörden die Beschränkungen verschärften.

Aufgrund der Erfahrungen mit der Pandemie gibt die EHL virtu­ellem Lernen Vorrang vor inter­nationaler Präsenz. In den nächsten Jahren will Blal das Bachelor­programm digitalisieren, um die physischen Standorte der EHL zu ergänzen. Diese befinden sich neben Lausanne auch in Singapur sowie der Südostschweiz. Auch der Ausbau des Campus in Lausanne ist indes in vollem Gange.

Blal möchte den Studenten mehr Möglichkeiten im Bereich der Praxisausbildung bieten – eine der grossen Stärken der EHL. Und: Sie will Fähigkeiten wie Problemlösung und Management als Kernkompetenzen in einer zunehmend digitalen Welt stärken. Kontaktlose Check-ins, mobile Zahlungsmethoden und schlüssellose Zugangssysteme seien normal; das Gastgewerbe sollte nun die Digitalisierung weiter voran­treiben, so Blal. „Die Kunden sind bereit für neue Konzepte“, meint die Dekanin.

Text: Cindy Ann Roberts
Fotos: École hôtelière de Lausanne

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.

Forbes Editors

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