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Als Justin Zhu, Gründer und ehemaliger CEO, des Zwei-Mrd.-US-$-Tech-Start-ups Iterable wegen einer Mikrodosis LSD entlassen wurde, rückte das Thema Microdosing im Silicon Valley erneut ins Scheinwerferlicht. Dass LSD nicht nur bei der Leistungssteigerung helfen kann, wissen Zhu und Forscherin Amanda Feilding von der Beckley Foundation aus erster Hand.
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Eddie Morra scheint es doch noch geschafft zu haben: Mithilfe von NZT-48, einer kleinen glasklaren Pille, eröffnen sich ihm ungeahnte Gedanken und Fähigkeiten – die ihm den Weg bis ganz nach oben ebnen sollen. Von einem brotlosen Dasein als Schriftsteller hin zum Daytrader an der New Yorker Börse. Das ermöglicht ihm die illegale Wunderdroge NZT-48. „Ich war blind, doch jetzt kann ich sehen“, damit beschrieb Mora, gespielt von Bradley Cooper in dem Actionfilm „Ohne Limit“, die Wirkungsweise der Tablette. Eine Aussage, die Justin Zhu – zumindest ansatzweise – nachvollziehen kann. Der 31-jährige Gründer der Kommunikations- und Marketingplattform Iterable erlangte das, von dem viele ein Leben lang träumen: Zu Beginn seiner Zwanziger zog er zusammen mit Andrew Boni ein erfolgreiches Tech-Start-up im Silicon Valley hoch, war als CEO für rund 470 Mitarbeiter zuständig, und gerade dabei, das mit 2 Mrd. US-$ bewertete Unternehmen zum langersehnten Börsengang zu führen. Am Höhepunkt angekommen, kam im Mai 2021 das für die Aussenwelt komplett Unerwartete: Wegen eines Verstosses gegen die unternehmenseigenen Regeln, wird Zhu seines Amtes enthoben. Er hatte im Jahre 2019 vor einem Geschäftstermin eine Mikrodosis LSD eingenommen. „Der wahre Grund“, so Zhu, „ist aber ein ganz anderer.“ Diesen wird er später noch kundtun. Die Nachricht machte schnell die Runde in Amerikas wichtigsten Tech- und Wirtschaftsmedien.
Microdosing ist die Einnahme niedriger Dosen an Psychedelika, um ein bestimmtes Erlebnis hervorzurufen. „Trips“ oder Halluzinationen sind dabei nicht das Ziel. Vielmehr sollen die geringen Dosen Nebeneffekte hervorrufen, die sich auf Produktivität oder Gemütszustand positiv auswirken. Zumeist schwankt die Einnahme zwischen 10 und 20 µg. Dies kann sowohl gelegentlich als auch wiederholt, etwa mehrmals die Woche geschehen. Ein weiteres Synonym für Stoffe in dieser Niedrigdosierung ist „Neuro-Enhancer“. LSD, die Abkürzung für Lysergsäurediethylamid, ist ein hochwirksames, chemisch hergestelltes Halluzinogen, das zu den beliebtesten Stoffen für diese Praxis zählt. Die US-amerikanische National Survey on Drug Use and Health erfasste 2019 dass 7,2 % der 2,4 Millionen Befragten im Alter von 18 bis 25 Jahren ein Halluzinogen wie LSD zumindest einmal im vergangenen Jahr konsumiert haben. In einer internationalen Online-Studie des Fachblatts Psychopharmacology zeigte sich auch: 39 % der Befragten nutzten Psychedelika, um psychische Probleme zu behandeln. 79 % dieser berichteten von positiven Effekten für ihr mentales Wohlbefinden.
Besonders im Silicon Valley hat LSD seit Anfang des letzten Jahrzehnts durch Befürworter wie James Fadiman, aber auch Ikonen wie Steve Jobs, die offen über ihre LSD-Erfahrungen sprachen, neuen Fahrtwind aufgenommen. Nicht verwunderlich, ist dies doch das Biotop der „Hustle“-Kultur, der 100-Stunden-Wochen und umkämpftes Terrain der wichtigsten und innovativsten Unternehmen der Welt. Auch Zhu wollte mithilfe von LSD 2019 wieder zu sich selbst finden. „Ich war erledigt. Als Gründer erhältst du tagtäglich Absagen: Von Investoren, Mitarbeitern und Kunden. Das Jahr zuvor, 2018, war ein ziemlich hartes. Von so ziemlich jedem Investor in ganz Silicon Valley kassierten wir Absage nach Absage“, erinnert sich Zhu. „Es hat mich meine ganze Kraft gekostet, weiterzumachen. Das hat auch an meiner Psyche genagt. Und ich wusste, nach diesem Tief brauchte ich etwas, das mir dabei hilft, wieder zu physischen und mentalen Kräften zu kommen.“
Um mehr über die Funktionsweise des Microdosings, im Speziellen mittels LSD, zu erfahren, treffen wir Amanda Feilding. Im überschaubaren britischen Oxford gründete diese vor 23 Jahren die Beckley-Stiftung, die sich mit der wissenschaftlichen Forschung und Reformen rund um LSD beschäftigt. Feilding selbst gilt seit rund 50 Jahren als Koryphäe auf dem Gebiet, und prägte die aktuelle Renaissance von LSD ausschlaggebend mit. Sogar eine Freundschaft mit dem Chemiker Albert Hofmann, dem Entdecker von LSD, pflegte Feilding. „Richtig und kontrolliert angewendet, kann LSD in kleinen Dosen die Wirkung entfalten, Denkprozesse und Erfahrungen reichhaltiger wirken zu lassen. Teile des Gehirns werden aktiviert, die normalerweise nichts von sich geben“, sagt sie.
Feildings Beckley Foundation arbeitet konsequent an neuen Erhebungen zur Wirksamkeit von Substanzen wie LSD. Und das ist auch notwendig, denn: Es existiert noch sehr wenig Forschung, die untermauert, dass LSD die Wahrnehmung, Produktivität und Stimmung verbessert. Doch Feilding hält an den bisher gemessenen positiven Effekten fest. In einer klinischen Studie, die sie 2019 mit der Maastricht Universität abgeschlossen hatte, wurde bewiesen, dass LSD Potenzial zur Schmerzbewältigung körperlicher und kognitiver Natur aufweist und dabei die Stimmung erhellt. Präklinische Untersuchungen der Beckley Foundation haben gezeigt, dass psychedelische Substanzen wie LSD, Psilocybin und DMT sowie die in Ayahuasca enthaltenen Alkaloide die Neuroplastizität des Gehirns beeinflussen. Eine kürzlich durchgeführte In-vitro-Studie an Neuronen von Tieren zeigte eine verstärkte Bildung neuer Neuriten – am stärksten hervorgerufen durch LSD.
Justin Zhu
...immigrierte mit acht Jahren von Shanghai nach Toronto. Er studierte Computer Science an der Carnegie Mellon University. 2013 gründete er mit Andrew Boni die Plattform Iterable und war bis April 2021 CEO. Seit März 2021 ist er Teil der Organisation „Stand with Asian Americans“ (SWAA).
Das Geschäft mit Halluzinogenen floriert. Erst kürzlich erfolgte der Börsengang von Atai Life Sciences aus Berlin, eine Forschungsplattform, die an der Heilung psychischer Erkrankungen mittels psychedelischer und nicht-psychedelischer Substanzen forscht. Die Marktkapitalisierung wird mit 2,6 Mrd. US-$ bewertet. Was fehle, seien die Investments in Recherche und Non-Profits: „Ich finde gut, dass durch neue Unternehmen eine breitere Bekanntheit und womöglich auch Akzeptanz für diese Substanzen entsteht. Doch die Gelder für die wissenschaftliche Forschung und Studien sollten das Allerwichtigste sein.“
Für Justin Zhu war die Erfahrung mit LSD eine einmalige. Doch diese habe ihm gereicht. „Es war definitiv ein einschneidendes Erlebnis. Ich habe bewusst darauf gesetzt, nur einmal eine Dosis zu nehmen. Es war, als würde man mir eine neue Richtung weisen. Ich profitiere nach wie vor von den Effekten. Besonders emotional hat sich viel in mir getan. Ich konnte danach beispielsweise das erste Mal zu meiner Mutter sagen, dass ich sie liebe.“ Nicht zuletzt dürfte dies Zhu auch den Mut dafür gegeben haben, den Druck und die Missstände, die seine Rolle im Unternehmen betreffen, publik zu machen. Denn für ihn war der Vorfall des Microdosings nur eine Teilwahrheit für seinen Exit. „Rassismus und Mobbing habe ich bereits als Grundschüler erlebt, nachdem ich von Shanghai nach Toronto gezogen bin. Nun widerfuhr mir Ähnliches als Geschäftsführer meines eigenen Unternehmens“, erklärt Zhu. „In meinem Führungsstil habe ich mich an den friedlichen Lehren des Konfuzius oder Daoismus orientiert. Ich bin meinen Werten und den Werten meiner Firma treu geblieben. Den Investoren passte ich nicht in ihr Bild des CEOs eines börsennotierten Unternehmens.“ Einer der ersten Investoren, selbst von asiatisch-amerikanischer Herkunft, riet ihm sogar dazu, Platz für einen „weissen CEO“ zu machen, sobald Iterable grösser werde.
Die Zeit nach dem erstmaligen Ausbruch des Coronavirus war eine bewegte für Zhu – der enttäuscht von den rassistischen Vorfällen gegen Menschen asiatischer Herkunft und der Anti-China-Politik in den USA ist. Bereits zehn Monate zuvor begleitete eine Reporterin von Bloomberg Businessweek Zhu auf seinem Weg, geprägt von Schikanen und Dissonanz mit Investoren. „Ich wusste, dass es womöglich zu Repressalien kommt, würde ich dies öffentlich machen. Aber es war mir wichtig das zu tun.“ Zhus neue Berufung nennt sich „Stand with Asian Americans“, ein anti-rassistischer Zusammenschluss asiatisch-amerikanischer Unternehmer, Investoren, Wirtschaftsführer und Aktivisten, darunter Eric Yuan, CEO und Mitgründer von Zoom oder Youtube-Mitgründer Steve Chen. Denn ganz im Gegensatz zu Eddie Morra in „Ohne Limit“ steht für Zhu heute das Kollektiv über jeglichem persönlichen Leistungsstreben.
Text: Chloé Lau
Fotos: Rebecca Chen, Robert Funke
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.