Der Visionär mit Zug zum Tor

Mitten in der Krise seines Lieblingsvereins entwickelte Leroy Bächtold eine Idee, die Fussballfans und die Führungsebenen von Vereinen näher zusammenbringen soll: Über sein Fintech Crowdtransfer können Anhänger ihre Klubs finanzieren und erhalten im Gegenzug Belohnungen aller Art.

Der Einstieg von schwerreichen Investoren bei Sport-Traditions­vereinen ist im deutschsprachigen Raum ein heikles Thema. Trotz der Tatsache, dass einstige Spitzenklubs aufgrund viel zu geringer Budgets längst den Anschluss an Europas Fussballelite verloren haben, gehen wütende Fans auf die Barri­kaden, wenn nur das Wort „Investor“ ins Spiel gebracht wird. Ihre Haupt­argumente dagegen sind der Verlust der Identität, eine mögliche Kommerzialisierung des Sports sowie Veränderungen in der Vereinskultur.

Beim Grasshopper Club Zürich, dem erfolgreichsten Fussballverein der Schweiz (27 Meistertitel und 19 Cuptitel), besteht seit Jahren ein immer wieder auf­keimender Konflikt zwischen der aktiven Fanszene und der Vereinsführung. Nach dem überraschenden Abstieg aus der Super League im Jahr 2019 erwarb die chinesische Geschäftsfrau Jenny Wang, Ehefrau von Guo Guangchang, Milliardär und Gründer von Fosun, dem grössten im Privatbesitz befindlichen Mischkonzern in China, die Hauptanteile am Verein. Ein Jahr später gelang zwar der Wiederaufstieg, aber grosse Erfolge wie in den glorreichen Zeiten blieben aus. Anfang 2024 übernahm der Multi-Club-Owner Los Angeles FC die Mehrheit der Aktien – riss das Ruder bis jetzt aber auch nicht herum. Aktuell kämpft der Grass­hopper Club Zürich wieder um den Verbleib in der obersten Spielklasse.

Während der eine Teil der verärgerten Anhänger das Stadion Letzigrund meidet, leben andere ihren Groll kreativ mit Transparenten und Gesängen aus. Und dann gibt es noch Leroy Bächtold: Er entwickelte gemeinsam mit seinen Fankollegen Richard Lauper und Roger Grossenbacher eine Idee, wie die Fanszene wieder näher zum Verein gebracht werden kann.

Das Ziel des Fintech-Unternehmens Crowdtransfer besteht darin, die Welt des Fussballs ­transparenter und interaktiver zu gestalten. So können Fans die Transferpolitik eines Vereins unterstützen, indem sie einen Geldbetrag zur Finanzierung eines Spielers oder eines Transfers beisteuern. Im Gegenzug definiert der Verein Belohnungen für den Fan – einerseits interessante Fan-Specials und andererseits Renditechancen, die mit den Leistungen des Fussballspielers zusammen­hängen. Crowdtransfer behält eine Gebühr von 1 % der Einnahmen ein, während dem Verein 99 % der Einnahmen zugutekommen. Das Fintech plant, im Juli 2024 auf den Markt zu kommen, zwei Wochen nach dem Finale der Fussball-Europameisterschaft 2024. Bis jetzt gibt es Zusagen von fünf Profiklubs aus der Schweiz, zwei aus Deutschland und zwei aus Österreich, um ihre Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

In einem konkreten Beispiel führt Bächtold vor, wie das Modell aussehen könnte: Das Management eines Fussballklubs möchte einen neuen Stürmer verpflichten und teilt den Finanzierungsbedarf für den Neuzugang auf der App von Crowdtransfer. Wenn das Finan­zierungsziel erreicht ist, erhält jeder Fan je nach Höhe seines Anteils Belohnungen, die im Vorfeld defi­niert wurden.

Auf nicht monetärer Ebene könnten das ein persönliches Treffen mit dem neuen Spieler oder VIP-­Tickets für Heimspiele sein. Aber abgesehen von den Fan-Momenten gibt es auch die Chance auf finanzielle Gewinne: Erzielt der Stürmer z. B. zehn Tore für den Verein, erhält der Fan in dem Beispielszenario 75 % seines Investments zurück. Für jedes Tor des Stürmers gibt es auch eine Torprämie, die an den Fan geht. Falls er im Trikot des Fussballvereins sechsmal im Europacup aufläuft, werden 12 % ausbezahlt.

„Wir sehen uns schon als Finanzierungsplattform, aber klar mit Fan-Engagement-Element, das dem Verein ermöglichen soll, mit seinen Fans in Kontakt zu sein und ihnen etwas anzubieten“, stellt Bächtold klar. Das Kollektiv hat Vorrang, daher ist die individuelle Investitionssumme pro Fan auf 10.000 € (rund 9.700 CHF) begrenzt.

Die Mission der drei Gründer ist durchdrungen von ihrer leidenschaftlichen Verbundenheit zum Fussball. Bächtold verliess seine Position bei einem führenden Anbieter von Open-Source-Lösungen, für den er zuletzt eine neue Niederlassung in Polen aufbaute, um CEO von Crowdtransfer zu werden. Lauper beendete seine Position als COO einer Insurance-Tech-Plattform und stieg als CPO (Chief Product Officer) im Start-up ein. Das Gründerteam komplettiert Roger Grossenbacher als CFO, der zuvor CRO bei einer Business-Softwareplattform war.

Neben ihren traditionellen Lebensläufen teilen alle drei eine Leidenschaft, die man auf den ersten Blick nicht erwarten würde: „Wir kommen alle ursprünglich aus der Kurve, unsere Sicht ist Fan-­getrieben. Wir sehen uns als Gegenangebot zu externen Inves­toren. Man hat ja in Deutschland zuletzt gesehen, wie gross die Ablehnung dagegen ist. Wir haben die Hoffnung, dass externe Finanzierungen nicht mehr gebraucht werden, wenn mehr über die Fans ­finanziert wird“, so Bächtold.

Nachdem im Dezember 2023 24 von 36 Profiklubs für den Ein­stieg eines Investors bei der Deutschen Fussball Liga gestimmt hatten, begannen die Fans mit Protesten. Diese führten dazu, dass geplante Investitionen eines Private-Equity-Unternehmens im Umfang von einer Mrd. € gestoppt wurden. Dies verdeutlicht die Stärke der organisierten Fanszene und ihre Fähigkeit, Veränderungen im deutschen Fuss­ball herbeizuführen.

Crowdtransfers Geschäfts­modell wurde von renommierten Wirtschafts­prüfungsgesellschaften umfassend rechtlich geprüft und mit der Fifa besprochen. Der Fussball-Welt­verband hat bestätigt, dass er keine Verstösse des Geschäftsmodells gegen seine Richtlinien sieht. Wie risikoreich das Investment ist, hängt hauptsächlich vom jeweiligen Verein ab: „Einige Klubs wählen eine konservative Variante ohne grosses Risiko mit einem variablen Zinssatz zwischen 3 und 5 % pro Jahr, während andere den Marktwert des Spielers berücksichtigen und beispielsweise das Doppelte zurückzahlen, wenn der Spieler erfolgreich ist und etwa in die Premier League verkauft wird“, sagt Bächtold.

Die App wird voraussichtlich im Juli 2024 zum Download bereitstehen, zwei Wochen nach dem Finale der Fussball-Europameisterschaft 2024.

Obwohl die Spielräume für Fans gross sind, sind nicht alle Ideen erlaubt. „Wir waren entschlossen, nur dann anzufangen, wenn die Fifa zustimmt. Nachdem wir uns mit ihnen beraten hatten, wurde uns klar, dass die Beeinflussung sport­licher Entscheidungen nicht erlaubt ist. Ursprünglich dachten wir daran, dass die Fans durch die Finanzierung ein Mitspracherecht bei der Mannschaftsaufstellung haben könnten, aber die Fifa lehnte das strikt ab. Also haben wir diesen Teil entfernt und Schritt für Schritt ein Modell entwickelt, das für alle Beteiligten akzeptabel ist“, erklärt Bächtold.

Das endgültige Modell stimmte nicht nur Fussballfunktionäre und Anhängerschaft zufrieden, sondern lockte auch Kapitalgeber an: Eine erste Finanzierungsrunde wurde auf Basis von 12,4 Mio. CHF durch­geführt, unter anderem durch eine Investmentgesellschaft aus Zug. Zum Schluss bleibt nur die Frage, ob Fans nun beim Grasshopper Club Zürich mitfinanzieren dürfen: „Zu viel will ich noch nicht verraten, aber es wird bald spannende Neuigkeiten geben, auf die ich sehr stolz bin“, sagt Bächtold lächelnd.

Im Frühjahr 2023 gründete Leroy Bächtold die digitale Plattform Crowdtransfer, die Fussballfans, -klubs und -spieler im Transferprozess miteinander verbindet – Fans investieren in Spieler und erhalten exklusive Belohnungen sowie eine Rendite basierend auf der Spielerleistung.

Fotos: Crowdtransfer

Paul Resetarits,
Redakteur

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