Der regulierte Weg zum Mainstream

Der europäische Krypto-Markt steht vor einem Wendepunkt: Mit neuen Regulierungen und Compliance-Anforderungen werden die Karten neu gemischt. Bybit EU will davon profitieren – und hat dafür nicht nur einen neuen Co-CEO mit viel rechtlicher Expertise ausgewählt, sondern auch Wien als Standort der europäischen Zentrale.

Georg Harer ist ein Tech-Nerd. Auf seinem Gaming-PC hat der damalige Student im Jahr 2012 seinen ersten Bitcoin gemint – sein bester Freund hatte ihn auf die neue Erfindung hingewiesen. „Mining betreibe ich schon lange nicht mehr“, sagt Harer. Dafür ist er an der Seite von Mazurka Zeng nun Co-CEO des Europa-­Ablegers der zweitgrössten Krypto-Handelsbörse der Welt. 9,3 % des Spot-Handelsvolumens für Krypto­währungen, also des direkten Kaufs und Verkaufs digitaler Vermögenswerte, wurden 2024 über die Bybit-Plattform abgewickelt. Seit CEO Ben Zhou das Unternehmen im Jahr 2018 in Singapur gegründet hat, konnte es weltweit 78 Millionen Nutzer für sich gewinnen. Harer, der interimistisch auch als Head of Legal bei Bybit EU agiert, soll eine ähnliche Erfolgsgeschichte für Europa nachzeichnen. Der Standort Wien könnte der ideale Ausgangspunkt dafür sein.

Wer die U-Bahn-Linie U1 in der österreichischen Hauptstadt bei der Station Kaisermühlen verlässt, ­erblickt gleich die Türme des Vienna International Center (VIC). Der beige 70er-Jahre-Bau, der als Amtssitz inter­nationaler Organisationen, etwa der Vereinten Nationen, fungiert, kürt Wien zumindest aus Sicht der internationalen Diplomatie zu einem Standort von Weltrang. Nur ein paar Hundert Meter weiter befindet sich der DC Tower; dunkel schimmernd steht er im harten Kontrast zum VIC. Geht es nach Harer, könnte Wien erneut Zentrum einer globalen Entwicklung werden, zumindest für Europa: als Dependance der wichtigsten Kryptobörsen der Welt, die den Handel mit Bitcoin, Solana und Co möglich machen. Seit dem 30. Dezember 2024 setzt die EU-Kommission dafür im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die sogenannte Micar-Lizenz („Markets in Crypto-Assets Regulation“) voraus. Erwirbt ein Unternehmen diese, kann es erstmals im ­gesamten Wirtschaftsraum tätig sein. Vergeben wird sie von den nationalen Finanzmarktaufsichtsbehörden – die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) hat sich in diesem Bereich schnell einen guten Ruf erarbeitet. Ein Blick auf die Website der Aufsichtsbehörde verrät, dass sie abgesehen von Bybit EU auch Bitpanda, Cryptonow und Amina (Austria) eine solche Lizenz zugesprochen hat. Im gesamten EWR-Raum verfügen aktuell 40 Unternehmen darüber.

Wir wollen die 90 % der Bevölkerung erreichen, die noch Berührungsängste mit dem Thema Krypto haben.

Georg Harer

Abseits eines spezialisierten FMA-Teams ­bietet der Standort Wien laut Harer einiges, um die europäischen Expansions­pläne von Bybit EU zu verwirklichen: ein hohes Englischniveau, internationales Publikum und eine gute Anbindung an andere Länder des Kontinents. Bybit habe damals auch mit Aufsichtsbehörden in Litauen, Malta und den Niederlanden gesprochen, aber die österreichischen Vertreter hätten mit ihrem professionellen Auftreten überzeugt. Im November des vergangenen Jahres hatte Bybit EU um die Micar-Lizenz angesucht, im Mai dieses Jahres hat das Unternehmen sie erhalten. In Kernfragen sind das Mutterunternehmen Bybit und Bybit EU rechtlich und organisatorisch getrennt, erklärt der Co-CEO des europäischen ­Ablegers; in der Produktentwicklung arbeiten die Teams aber täglich zusammen. Anbieter, mit denen sie konkurrieren, sind etwa Coinbase, Crypto.com und OKX. Das öster­reichische Krypto-Start-up Bitpanda geniesst naturgemäss einen Heimvorteil – Bybit möchte sich durch Features vom Konkurrenten abgrenzen; Genaueres wird Harer erst verraten, sobald die ent­sprechenden weiteren Lizenzen vorliegen. Mehr als um Lizenzen und womöglich auch Kunden müssen die Kryptobörsen aber ohnehin um Fachkräfte ringen: ­Aktuell arbeiten 28 Personen am Wiener Standort von Bybit EU, ursprünglich sollten es bis Jahresende 100 sein. Harer ist klar, dass sich das nicht mehr ausgeht.

Nicht nur die schnelle Umsetzung der EU-Ver­ordnung, auch das verglaste Büro im 46. Stock des DC Tower soll ein Exempel gegen das zwiespältige Image der Kryptowelt statuieren. „Wir wollen ein offener Hub für die Krypto-Community sein“, so der Co-CEO; „das heisst, man kann jederzeit hier vorbeikommen.“ Ob alle Bybit-Nutzer willkommen seien? Harer überlegt kurz, nickt anschliessend. Ein starker Zulauf dürfte vorerst ohnehin nicht zu erwarten sein – die Mehrheit der Österreicher steht Kryptogeld neutral bis eher negativ gegenüber. Das Krypto-Barometer, eine Befragung der Marktforschungsagentur Marketagent, verdeutlicht: Zwar ist vor allem Bitcoin über 80 % der Österreicher ein Begriff, aber nur etwas über ein Drittel der Befragten hält Kryptowährungen für „eher“ oder „sehr“ vertrauenswürdig. Ausserhalb Österreichs zeigt sich ein ­etwas anderes Bild: Millionen Nutzer nehmen die Dienste von Bybit weltweit in Anspruch. Das Unternehmen verdient primär an den Gebühren, die es für Transaktionen auf der Plattform einhebt. Der Wert wird prozentual an der Transaktionssumme ­bemessen. „Das Geschäftsmodell ist relativ einfach“, so Harer. Die Gebühren sind gestaffelt, je nach Aktivitätslevel der ­Kunden. Für Kryptokäufe und -verkäufe ­betragen sie maximal 0,2 %. Damit liegt Bybit im mittleren Preis­segment, verglichen mit anderen Anbietern. Der Co-CEO von Bybit EU sieht wenige Vorteile in ­höheren ­Gebühren: „Wir bieten niedrige Gebühren, damit ­Nutzer auch handeln können.“

Harer selbst handelt kaum noch – aus Zeit- und Compliance-­Gründen, sagt er. Nach dem Rechts- und BWL-Studium sammelte er Berufserfahrung in einer Beratung und wechselte in die Rechtsabteilung des Wirtschaftsprüfers und Consulters EY, bevor er sich bei den Grosskanzleien Wolf Theiss und Cerha Hempel ganz dem Rechtlichen zuwandte. Dort setzte er einen Schwerpunkt auf den sogenannten „TradFi“-Bereich, also Kreditfinanzierungen, Restrukturierungen, Übernahmerecht. Ihn interessiere vor allem das rechtliche Neuland, das sich rund um Bitcoin auftut, sagt er. Die Frage, wer wie Bitcoin besitzen kann, war lange ungeklärt – ­Harers Kollegen holten vermehrt Auskunft zu Fragen der Krypto-Regulierung bei ihm ein. Das weckte die Lust auf Veränderung: „Die Kanzleiwelt war mir persönlich zu starr und archaisch“, so Harer. Bybit suchte zu diesem Zeitpunkt einen Rechtsanwalt mit Kanzleierfahrung und Kenntnissen im Kryptobereich. Harer bezeichnet es augenzwinkernd als „Liebe auf den ersten Blick“ – im Oktober 2024 wurde er zum EU Head of Legal and Compliance von Bybit EU bestellt, etwa ein halbes Jahr später übernahm er zusätzlich die Position des Geschäftsführers. Im Dezember 2025 steigt er nun zum Co-CEO von Bybit EU auf.

Harer und Bybit arbeiten daran, eine Finanz-App zu schaffen, die ähnlich wie die Digitalbank ­Revolut Finanzdienstleistungen aller Art abwickelt – von Wertpapieren bis hin zu Kartenzahlungen mit Krypto­geld. Letztere sind seit September zumindest dort ­möglich, wo Mastercard-Zahlungen akzeptiert werden, ab 2026 ­sollen die Zahlungen auch ohne Umweg über Karten­netzwerke möglich sein. Die zwei weiteren dafür benötigten Konzessionen hat das Unternehmen bereits angefragt. Während Konzessionen bestimmen, welche Dienstleistungen die Akteure anbieten dürfen, entscheiden EU-Verordnungen wie DORA (Digital ­Operational Resilience Act) über das „Wie“ – etwa wie die IT-­Sicherheit ausgestaltet sein muss. Finanziell und organisatorisch sei die Umsetzung der Verordnungen ein grosser Aufwand, sagt Harer. „Aber sie schaffen einen fairen Wettbewerb und schliessen unseriöse, nicht regulierte Anbieter mehr und mehr aus, was wir brauchen, wenn wir den Mainstream erreichen wollen“, so der Co-CEO. Die grösste Herausforderung für das Unternehmen klingt dann doch recht profan: ein Bankkonto zu eröffnen. Das hätte der Bybit-EU-Chef gerne bei einem österreichischen Finanzinstitut getan. „Wir haben bei allen grossen Banken in Österreich angeklopft“, sagt er – erfolglos. Harer ist sichtlich bemüht, etablierte Player des Finanzsystems davon zu überzeugen, dass die Krypto-Welt keinen Gegenspieler darstellt. Er ist Vorstandsmitglied der Digital Assets Association Austria, eines Vereins, der das österreichische ­Ökosystem für digitale Vermögenswerte fördert. Neben den Kryptobörsen sind dort unter anderem auch Deloitte, Austrian Startups und die Raiffeisen Bank International vertreten.

Harers Engagement dürfte auch mit dem zusammen­hängen, was sich im Februar 2025 zugetragen hat – Hacker hatten Ethereum im Wert von 1,3 Mrd. € von der globalen Bybit-Plattform gestohlen. Geld haben die Kunden damals nicht verloren; dafür hat Bybit in die eigenen Taschen gegriffen. Bybit-CEO Zhou beteuerte damals, dass nicht die Infrastruktur des Unternehmens betroffen war, sondern die eines Drittanbieters. Harer bestätigt, dass Bybit mittlerweile eine eigene Lösung nutzt. „Für die EU-Nutzer hätte das keine Auswirkung gehabt, weil wir eine komplett separate Infrastruktur haben“, erklärt er. Der Hackerangriff wurde an einem Freitag publik; ein Wochenende lang stand die Zukunft des jungen Unternehmens dann in der Schwebe. Doch die schnelle Krisen­kommunikation von CEO Zhou verhinderte das Schlimmste. „Am Montag­morgen gab es ein All-Hands-Meeting, bei dem verkündet wurde, dass wir die Kundenvermögen vollständig aufgefüllt ­hatten, Bybit weiter bestehen würde und ab sofort wieder ‚­Business as usual‘ gelte“, erinnert sich Harer.

Mitte Oktober verkündete Bybit EU, dass das Unternehmen offizieller Partner von Ski Austria für die Saison 2025/26 ist – die erste Partnerschaft zwischen einem nationalen Skiverband und einem Krypto-Unternehmen. „Wir wollen nicht nur eine globale Plattform sein, sondern auch regional präsent“, so Harer. Skifahren ist in Österreich Mainstream – und damit das, was Bybit werden möchte. „Wir wollen die 90 % der Bevölkerung erreichen, die noch Berührungsängste mit dem Thema Krypto haben“, sagt Harer. Wo steht die Kryptobörse, die ihren europäischen Betrieb am 1. Juli dieses Jahres auf­genommen hat? Bis Ende 2025 will Bybit EU eine Million ­europäische ­Nutzer für die Bybit-Plattform gewonnen haben, sagt Harer. Wie nah das Unternehmen diesem Ziel ist, weiss aktuell nur sein Team.

Fotos: Gianmaria Gava

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